8/20/2005 Mosambik / Moatize
Es ist vollbracht!
Ende der Radtour
(Harald) Die Nacht war warm, zweimal hatte ich Muecken im Zelt und Malaria ist hier haeufig. Ich habe, ausser fuer kurze Zeit in Aethiopien, nie eine Malariaprophylaxe eingenommen und hatte schlichtweg Glueck. Aber zweieinhalb Jahre lang Medikamente einzunehmen, waere mir nie in den Sinn gekommen. Niemand, der in Malaria-Afrika lebt, nimmt Medikamente ein, sondern schuetzt sich so gut es geht durch Vermeidung. Ansonsten wartet man, bis man krank wird und begibt sich bei Auftreten der ersten Symptome, wie Kopfschmerzen und Fieber, sofort in aerztliche Behandlung. Jedes Provinzkrankenhaus kann hier Malaria gut behandeln, jeder Arzt ist hier Malariaexperte, denn das ist die haeufigste, schwere Erkrankung Afrikas und der groesste Killer, noch vor Aids. Beim ausgiebigen Fruehstueck sticht es kurz und heftig im Magen und der vorangegangene Gedanke war: "Heute ist es vorbei! Heute fahre ich zum letzten Mal Rad in Afrika, meine Radtour ist vollendet." Es ist einer der vielen Momente im Leben, wo etwas endgueltig zu Ende geht und das Neue noch nicht zu erkennen ist. Man steht im Tuerrahmen, die Klinke in der Hand, schaut in den Flur mit vielen Tueren vor sich (mein Bild ist ein grosser, runder Flurraum, hell und freundlich mit weisslackierten, messingbeklinkten, altmodischen Tueren und gruenen Strukturtapetenwaenden) und schliesst leise die Tuere hinter sich (oder mit Schwung, je nach Situation und Anlass) und weiss nur eins sicher: DAS ist vorbei. Was sein wird, welche der vielen Tueren vor sich man oeffnen soll, wird, steht noch offen. Da ist dann immer Unruhe, ja Angst, der Panikstich sogar im Magen: “Was jetzt? Was wird sein? Hab ich einen Fehler gemacht?” Ich beruhige mich jedoch in Sekunden. Ich bin mit mir im Reinen, ich bereue wenig und ueberhaupt- wozu soll Reue gut sein? Ich habe mir stets alles gut ueberlegt und bewusst entschieden und was schief lief, ist der Preis fuer diese Entscheidungen und was besser als erwartet lief, das sind die Belohnungen. Was auf der Abschlussrechnung stehen wird, ist noch offen, Haben wie Soll, die Zeit wird es zeigen. Meine Richtung steht fest, aber in dieser Richtung gibt es viele Tueren, durch die ich in neue Raeume treten kann, unbekannt zwar, aber neugierig will ich sie entdecken, erforschen und ihren Inhalt annehmen. Und wie ein Flashback hoere ich aus Lautsprechern “Fool again”, das Lied, dass mich geradezu verfolgte, als ich um Renata trauerte. Renata ist in Deutschland, wir sind nicht in Kontakt und das ist gut so. Aber sie wird immer ein Teil dieser Reise sein. Sonnenschein am letzten Tag, auf den letzten 22 Kilometern bis zur Grenze. Es ist ein guter Tag zum Radfahren, die Leute gruessen freundlich, die Kinder wie immer aufgeregt, erpicht darauf, dass ich sie zur Notiz nehme, anlaechle, winke, dann sind sie gluecklich, strahlen, glucksen und erzaehlen sich kichernd, stolz, dass der Muzungu sie angeschaut und gewunken hat. Es ist so leicht Kinder gluecklich zu machen. Ich werde das vermissen. Es wird mir fehlen, diese schnelle, einfache Freundlichkeit, Waerme. Vielleicht ist es in Deutschland moeglich, durch Fensterscheiben zu gruessen, zu laecheln, das aufrecht zu erhalten, obwohl es oft nicht erwidert wird. Ohne Feedback vertrocknet die Freundlichkeit, sie erschoepft sich, wenn sie nicht an vielen Tankstellen aufgefuellt werden kann. Ich schuettle regelmaessig den Kopf, wenn ich Weisse in Afrika erlebe, wie sie ueberall hereinplatzen ohne zu Gruessen, ohne ein Laecheln, ihr Begehren kundtun, ihre Anliegen vortragen und die Afrikaner dann, fast verloren, traurige Hilflosigkeit, vergebliches Murmeln von Hoeflichkeitsfloskeln (“I am fine, thank you…”, obwohl sie niemand nach ihrem Befinden gefragt hat) aus dem Tritt gekommen versuchen, trotzdem!, eine positive Atmosphaere herzustellen. Die gute Strasse wellt sich auf und ab, fuehrt vornehmlich geradeaus, die braeunliche Buchlandschaft, die Akazien, Lehmhuetten, Kuehe, der graue Dunst vor den fernen Huegeln, zieht langsam an mir vorbei, Gerueche in meiner Nase, Wind in meinem Gesicht, meine sonnengeblondeten Haare auf den Unterarmen wehen, die Beinmuskeln arbeiten einwandfrei, wie gewohnt, hart geworden, wie nie zuvor in meinem Leben, Bodenwellen uebertragen sich durch Pedale, Lenker und Sattel auf meinen Koerper, Vogelstimmen ringsum, die Sonne brennt auf meinem blauen Hut, auf den Schultern, Hitze, Schweiss, die Zunge schmeckt das klare Wasser, kuehl noch von der Nacht, alle Sinne sind involviert, gefragt, benoetigt, sie verschaffen ein intensives Erlebnis, dass durch Autofahren nicht zu ersetzen waere. Dort schaut man durch die TV-Scheiben, durch Rahmen aus Metall und Kunststoff auf die vorbeirasende Landschaft, abgetrennte, reduzierte Eindruecke, keine Zeit fuer Zurufe, kein haeufiges Anhalten, einen Schwatz, Einladungen zu einem Tschai, einer Rast. Radfahren ist durch nichts zu ersetzen. Man kommt voran (wer kann schon Afrika durchwandern?) und reist doch gemaechlich (selbst Motorradfahren ist zu schnell, zu laut, zu gepanzert), die Anstrengung macht den Koerper bewusst, vereint ihn wieder mit dem Gefuehl, dem Geist. Genug des Schwaermens. Es wird mir fehlen. Finito. Da ist die Grenze! Ich erkenne sie wieder, Nyamapanda, kleiner Grenzort, eine LKW-Kolonne, Diesel- und Abgasgeruch, das Roehren der 400-PS-Motoren, das Quitschen der Bremsen, das Zischen der Pressluft, das Rufen der Fahrer. Im Spar-Supermarkt, der "groessten Kette der Welt", kaufe ich etwas ein. Schaue hinunter zur Grenzstelle, Busse warten, oben auf dem Abhang stehen die Container der Versicherungs- und Speditionsagenten, vor den verbogenen, rostigen Schlagbaeumen schlurfen die uniformierten Zoellner mit vorne nach unten gerichteten, schwarzen Guerteln, schlagen schallend in ausgestreckte Haende der Fahrer ein (man hat hier keine Angst vor zuviel Vertraulichkeit, ein Polizist ist ja auch nur ein Mensch und er geniesst die Aufmerksamkeit, die bemuehte Hoeflichkeit, die ihm ohne Uniform nicht widerfahren wuerde und die Fahrer stehen sich gerne gut mit ihnen, man weiss ja nie wozu das mal gut sein wird). Ausreiseformalitaeten. “Wieviel Geld haben sie noch bei sich?” “Was geht sie das an?”, platze ich heraus. Solche Frage ist mir noch nirgends gestellt worden. Die Frau bleibt gelassen:”Sie duerfen nur eine bestimmte Menge an Fremdwaehrung ausfuehren,” erklaert sie. Verdammtes Regime, gierig auf fremde Waehrung, selbstverschuldetes Finanzdisaster. “Und sonst was?” frage ich angriffslustig. Man werde mich nicht durchsuchen, beruhigt sie mich, ich solle einen Betrag angeben. Ich schwindle auf den Wisch irgendeinen Betrag um 20 Dollar. So macht sich Zim keine Freunde. Auch der, nach den Sanktionen der EU, wieder durch das Mugabe-Regime eingefuehrte Visazwang ist nicht gerade geeignet, mehr Besucher ins Land zu locken. Die Gepaeckkontrolle erlaesst man mir. Auf der mosambikanischen Seite dauert das Ausstellen des Visas zwei volle Busse lang, die komplett vor mir abgefertigt werden. Schikane, die nicht verhehlt wird. Mein Protest gegen diesen Rassismus verhallt ungeruehrt. Dann soll ich- erhoehen wir doch einfach den Einsatz, wenn der Kerl nicht muckt!- zusaetzliche 10 Rand fuer das Formular fuer den Visaantrag bezahlen. Die aushaengenden Preislisten sagen nichts ueber diesen “Sonderposten”. Zaehneknirschend zahle ich diese Zusatzeinnahme der Zollbeamten. Man hat mich lange genug schmoren lassen, Backpacker, die alleine oder in kleinen Gruppen reisen, kennen solche Situationen. Die Stimmung Zims hat hier deutlich auf die mosambikanische Seite abgefaerbt. Der Schlagbaum. Ohne Gruss sagt der Beamte aus seinem Wachhaeuschen heraus: “Kommen sie her!” Kein “Bitte”, kein freundliches Gesicht. Er bleibt an die Mauer geflaezt stehen, Machtdemonstration. Ich stehe auf meinem Rad und kann so nicht ins Kabuff. “Was sonst noch?” fragt er in gebrochenem Englisch. Erst verstehe ich nicht. “Wie bitte?” "Was haben sie sonst noch mitgebracht?” Eine ueberfluessige Frage, offensichtlich, denn wo soll ich noch Gepaeck versteckt haben, hier alleine auf der Strasse? Bevor ich meinen Satz: “Das ist alles was ich habe” zu Ende gebracht habe, kommt der Mann energisch auf mich zu und droht mir: “Sie kooperieren besser,sonst werden sie den ganzen Tag hier stehen, hier bei mir!” Er schickt mich nochmal zurueck zur Gepaeckkontrolle. Als ich zum zweiten Mal ans Kabuff komme, steht draussen ein anderer, der mich sofort abfertigt. Im letzten Moment sieht mich der Kerl aus dem dunklen Kabuff heraus doch noch, stuerzt heraus, “Warten sie! Wo wollen sie hin?” rufend. Ich habe nicht die geringste Lust mich erneut auf Provokationen einzulassen, sitze auf und fahre los. “Du kannst mich mal im Mondschein besuchen” murmelnd, das Rufen ignorierend, denn was will der Kerl geltend machen, wenn er mich jetzt festhalten liesse? Hier an dieser Grenze bin ich im Dezember 2004 vom Rad gestiegen und hier vollendet sich ergo mein Radfahrzyklus, die Tour-epic de afrique. Von Krefeld nach Kapstadt, ueber 20.000 km (genau werde ich das nie wissen und es ist auch nicht wichtig), 22 Laender, unzaehlige Pannen, tausende Begegnungen. Es sind weniger als 100 km, die ich nicht radeln konnte auf der Gesamtdistanz, (vornehmlich von Abu Simbel nach Wadi Halfa). Ich bin nicht um einen Rekord gefahren, nicht um etwas Einmaliges, Guinessbuchartiges. Das Ziel wurde immer unwichtiger unterwegs und die vielen Eindruecke verwischten die Einmaligkeit Kapstadts. Die Minibusse wollen kein Rad mitnehmen. Ich tausche 3.500 Metikasch fuer einen Rand, d.h. rd. 28.000 fuer einen EUR, einige mich mit einem LKW-Fahrer auf Mitnahme. Da ich des Diskutierens fuer heute muede bin, zahle ich zuviel fuer den Transport, einfach um es kurz zu machen. Es kostet viel Kraft stets um jeden ueberzogenen Betrag zu feilschen. Ich bitte den Fahrer unterwegs zweimal anzuhalten, um ein Foto zu machen, denn dies ist ja der Grund fuer meine Rueckreise nach Nairobi auf dem Landweg. Die Huetten sehen hier anders aus. Nach 30 Monaten Afrika erkenne ich Unterschiede in den Baustilen, hoere ich Sprachunterschiede. Unterwegs Buergerkriegsruinen, zerschossene, weissgetuenchte Haeuserwaende, ausgebrannte Dachstuehle, zerschossene, rostige Strassenschilder. Narben. In Changara gehts links ab Richtung Tete. Hier habe ich die zwei Radfahrer aus Frankreich getroffen, die meinen Brief an Leudschi in Lokologo mitgenommen haben und die mir sogar dessen Antwort per Mail uebermittelten. Hinab, hinab bis das Trommelfell knackt. Dann erreichen wir Tete, heissester Ort Mosambiks, das Zambezital, gruen an den Ufern. Der Fluss braun, breit und traege wie der Nil, Wasserhyazinthen saeumen die Ufer, auf denen weisse Reiher stehen. Eine LKW-Schlange, stundenlanges Warten vorauszusehen. Die Bruecke ist einsturzgefaehrdet und nur je ein LKW darf darauf im Schritttempo fahren. Der Beschuss der Rhodesischen Luftwaffe hat der Bruecke schwere Schlaege versetzt und die vielen Panzer russischer Bauart haben im Eifer des Gefechts sicher nicht die Belastungsgrenzen eingehalten. Geschmueckt fuer den nahen Besuch des Staatschefs mit Faehnchen der Frelimo-Partei. Ich radle noch einmal, ein letztes Mal, zum indischen Caeé, wo es “Bolasch Berlin” gibt, Berliner Ballen, einen exquisiten Kaffee, Schweineoehrchen, Sandplaetzche. In der Auslage auch “Cadbury”-Schokolade, eine “Milka”-Kopie. Ankommen. Ausruhen. Es ist Samstag, das Netcafe ist geschlossen. Mein Ziel ist die Familie, die mich hier so freundlich aufgenommen hat. An der Busstation (ich weiss noch wo sie ist) lade ich das Rad aufs Dach eines klapprigen Busses. Ueber den Zambezi, wieder, nach Moatize, 20 km, Schweissgeruch, Enge, viel Gelaechter, ich lasse ungern eine Gelegenheit zum Albern aus. Im Dunkeln abladen, Orientierung. Wo ist die Schule? Da ist das Cafe, aber Manuela und Alberto sind nicht mehr die Besitzer. Man weist mir den Weg, ja, da ist es! Und auf dem Hof steht im Dunkeln unverkennbar Manuela und sagt ganz trocken: “Hallo. Guten Abend. Willkommen.” Und dann lacht sie breit und weisse Zaehne blitzen im Dunkeln. “Dein Bett steht noch bereit.” Netter haette sies kaum sagen koennen. Alberto auf der Terrasse. Der baumlange Kerl umarmt mich herzlich, das tut gut. Melu ist da, ein Backfisch, junge Lady, sie knospt und spriesst jetzt schon mit ihren 14 Jahren (“…eine schmucke Jacht, in voller Takelage, aber ohne rechten Kompass, ungewiss kreuzend zwischen den Gestaden Kindheit und Weibstum.” G.F.Leznik) und da ist der 12-jaehrige Bruno, der sehr verlegen ist und mir mit gesenktem Blick die Hand schuettelt. Ich werde im Kinderzimmer einquartiert, es gibt Manuelas Gute Kueche, ich erzaehle, Fragen nach Renata und wies denn gewesen waere und mir ergangen sei. Dann mit beiden Kindern im Zimmer, die Klimaanlage bollert und die Moskitos summen. Letzter Gedanke: Es ist vollbracht! geschrieben am 2.10. in Addis Abeba
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