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Reisetagebuch

8/21/2005   Mosambik / Moatize

Wo sind die Stars? Will Smith, Sidney Portier, Denzel Washington, ...

...Samuel L.Jackson,James Earl Jones, Bill Cosby, Bernie Mac, Halle Berry, Whoopy Goldberg, Morgan Freeman, Richard Roundtree, Icecube

(Harald) Manuela geht haeufig zur Kirche- wie viele Frauen in Afrika, die sich dort Trost, Solidaritaet und Staerke ausserhalb ihres Zuhauses holen, dass traditionell von ihren Maennern beherrscht wird. Dies kurzfristig zu aendern ist kaum moeglich und wuerde auch das Kind mit dem Bade auskippen. Schon heute sind in allen staedtischen Bereichen in SSA die Familien zerstoert- der Versuch, einfach Sozialauffassungen aus Industrienationen Afrika quasi ueberzustuelpen, ist misslungen. Auch in Sachen Frauenemanzipation braucht der Kontinent Zeit und Augenmass. Auch hier gilt: besser irgendeine Ordnung, die aber funktioniert, stabil ist, als eine, die zwar erstrebenswert erscheint, aber nicht funktioniert. Polemisch gesagt: man wird aus einem Afrikanischen Mann keinen europaeischen Softie machen, indem man ihm ein Nike-TShirt gibt und ihm sagt, dass seine Frau meist Recht hat. Orientierungslosigkeit der Maenner, der Verlust der traditionellen Werte und die Unerreichbarkeit westlicher Ideale, haben zur Entwurzelung gefuehrt. Maenner fluechten sich in Alkohol, Prostitution, schlagen ihre Frauen und Kinder, verlassen ihre Familien. Die traditionelle Sozialkontrolle ist abhanden gekommen. Frueher haetten Familienmitglieder des Ehepaares oder der Chief eingegriffen, Rat erteilt, Grenzen gesetzt oder Sanktionen verhaengt. Die endlosen Freiheiten einer westlichen Lebensweise setzen aus Bildung erachsenes, erweitertes Verantwortungsbewusstsein voraus- und daran mangelt es in Afrika.

Alberto sagt am Fruehstueckstisch, dass Manuela viel in die Kirche gehe, irgendeine der tausenden christlich-evanglischen Sekten, und das er nicht so glaeubig waere, ihm sei das egal. Die viel zu stillen Kinder, die fast geduckt durch die Wohnung huschen, die Traurigkeit in Albertos Gesicht, Manuelas muehsam versteckte Frustration -das alles sagt mir: hier wird viel gestritten und wahrscheinlich auch geschlagen. Ich bin zu kurz hier, um mich einbeziehen zu lassen und vermeide jedes heikle Thema.

Draussen sind es bereits 33 Grad, es ist diesig, ein heftiger Wind zerrt an den Daechern.

Ich habe Bruno gestern abend mein Fahrrad geschenkt- wie ich es seit vielen Monaten geplant hatte. Und heute stelle ich ihm den Sattel ein, zeige ihm, wie er schalten und was er pflegen muss.

Alberto und ich fahren nach Tete, ich mache Fotos. Der morbide Charme der zerfallenden Kolonialarchitektur geht z.Zt. in voelligen Zerfall ueber. Einstmals waren das wunderschoene Villen, grosszuegig, schattig-kuehl, mit Vor- und Hofgaerten, breiten, tiefstufigen Treppen die einladend ausschweifen, gerundeten Mauern, verschnoerkelten Gusseisengittern, Fenstern und Tueren mit Lisenen und Saeulen mit Kapitelen, palmenflankierte, bougainvilleenbestandene Eingaenge. Jetzt ist alles baufaellig oder bereits eingestuerzt. Das Schlimmste ist der Dreck und der Gestank nach Exkrementen. Ich habe als Kind Armut erlebt, jedenfalls solche nach deutscher Definition und ich habe den Unterschied zwischen Armut und Verwahrlosung verstanden. Das hier Faekalien um die Huseingaenge liegen, die niemand beseitigt, ist weniger eine Frage der Armut, als der Achtlosigkeit. Wie kann man Kinder in diesem Dreck spielen lassen? Die vielen Eltern im Haus sollten sich nur einen Tag lang aufraffen und Saubermachen und etwas Kontrolle aufrecht erhalten. Hier fehlt es nicht an Zeit oder Wasser.

Das Netcafe und alle Geschaefte, sogar die Cafes haben heute geschlossen- man arbeitet Sonntags eben nicht, Umsatz hin oder her.

Alberto hat einen Termin mit zwei australischen Geologen. Er ist 20 Min. zu spaet und hat sich nicht um die einzige Sache gekuemmert, die zu erledigen war. Die Australier wollen ihm eine Menge Arbeit uebergeben, aber ich habe in seinem Haus gesehen, dass auch nach 16 Jahren, die die Familie dort lebt, die bei Erstbezug des Hauses vor ca. 30 Jahren verklebten Tapeten nicht erneuert wurden. Grossflaechig faellt alles von den Waenden, die Wasserleitung ist seit Jahren nicht repariert usw. Aber es gab stets Geld jemanden zu bezahlen, der kocht und sauber macht. Die Australier stolpern schnell ueber Albertos Unwissen. Es geht um 2000 Holzstaebe zum Abstecken, die Australier haben keine Ahnung von Afrika und der Vermessungsingenieur Alberto hat keine von Holz und Organisation. Der lukrative Auftrag scheint zu platzen, Alberto schaut mich wiederholt hilfesuchend an- deshalb hat er mich mitgenommen! Die Geologen werden unruhig, aber sie wissen nicht wer ich bin. Also notiere ich rotzfrech einfach eine Vorgehensweise: 2000 Holzstaebe, Holzart, Verarbeitung und Oberflaeche, Materialbedarf, 2 alternative Muster anfertigen lassen, Zeitrahmen fuer Fertigung veranschlagen, woher kommt das Material, wo sind grosse Betriebe, wie wird die Zahlung abgewickelt etc. Die Australier wollen eine Vorauskasse zahlen und dann bei Lieferung den Rest. Ich warne eindringlich vor Vorkassen und schlage Zahlungen Zug um Zug nach Lieferung vor. Alberto scheint sich foermlich gegen jedes Schriftliche zu wehren, alles werde sich schon fuegen sagt er. Und ich wuerde jede Wette eingehen, dass nichts funktionieren wird. Als Unternehmer kann man in Afrika verrueckt werden. Alberto hat den Auftrag und ich weiss nicht, ob ich ihm oder den Australiern nicht einen Baerendienst erwiesen habe.

Zurueck in Moatize, Abendessen. Melu bringt die Plastikkanne und eine kleine Schuessel und ein Handtuch, damit wir Maenner uns am Tisch die Haende waschen koennen. Ich wuerde ja einfach ins Bad gehen, aber ich bin Gast. Am Tisch sitzen nur Alberto und ich, wir nehmen und essen zuerst, Maria und die Kinder sitzen am Couchtisch.

Es gibt keine freundlichen Worte hier, keine Beruehrungen, kein Laecheln. Mir bleibt der Bissen fast im Halse stecken. Die Stimmung ist so schlecht wie im November 2004. Bemerkungen werden von Manuela gemacht, die mich einladen nachzufragen, aber ich will mich nicht verstricken, weiche aus, schweige.

Der Fernseher laeuft 15 Std. am Tag, selbst beim Essen. Das grottenschlechte Programmm des einzigen mosambikanischen Senders besteht aus endlosen Reden von Lokalpolitikern und Kleinfunktionaeren, peinlichen Talentwettbewerben und brasilianischen Soaps, in denen fast ausschliesslich Weisse agieren. An der Kinderzimmertuere haengen die Vorbilder und Stars der Kinder: David Beckham, Gwyneth Paltrow, weisse Modelle mit chronisch aergerlich-gelangweilten Gesichtsausdruecken und verlorenen Blicken. Weiss ist schoen, Weiss ist Vorbild. Wo sind die farbigen Stars wie Wesley Snipes, Eddy Murphey, Jamie Foxx, Cuba Gooding jr. etc.?

Nur die Rapper, die "powerfull niggas" sind Vorbilder, verkoerpern egozentrischen Reichtum, Erfolg, Macht und oft auch Gewaltbereitschaft: 50 Cent, 2Pac, Nelly. Viele Jungs ahmen diese zweifelhaften Genossen nach- mangels anderer Vorbilder.

Ein Freund kommt zu Besuch, der den Muff etwas vertreibt, Manuela ist unbemerkt ins Bett gegangen. Ich will hier weg.

geschrieben am 3.10. in Addis Abeba


 


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