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Reisetagebuch

8/23/2005   Mosambik / Ulongwe

Stufen

persoenliche Wahrheiten

(Harald) "Ist es das, was mich traurig macht? Der Eifer und Glaube, der mich damals erfuellte und dem Leben ein Versprechen entnahm, das es nie und nimmer halten konnte? Manchmal sehe ich in den Gesichtern von Kindern und Teenagern denselben Eifer und Glauben, und ich sehe ihn mit derselben Traurigkeit, mit der ich an mich zurueckdenke. Ist diese Traurigkeit die Traurigkeit schlechthin? Ist sie es, die uns erfuellt, wenn schoene Erinnerungen im Rueckblick bruechig werden, weil das erinnerte Glueck nicht nur aus der Situation, sondern aus einem Versprechen lebte, das nicht gehalten wurde?" Bernhard Schlink, "Der Vorleser"

Manuela weint, schluchzt seit vier Uhr in der Nacht. Es nimmt kein Ende, es ist nicht ignorierbar. Das Weinen dringt durch das Loch, in dem das bollernde Klimageraet in der Wand haengt und so das Kinder- und das Schlafzimmer gleichzeitig kuehlt.

Ich packe zusammen. Ich fruehstuecke mit Alberto. Schweigen. Laehmend. Die Kinder verlegen. "Was ist mit Manuela?" frage ich Alberto. 190 gross, ein stattlicher Mann, wie meine Grossmutter gesagt haette, hilfloser Blick, Achselzucken. "Sie hat getraeumt, ich wuerde sie umbringen. Das wuerde ich doch nie tun." Manuela kommt, sie weiss, dass ich jetzt abreise. Sie hat sich gefasst. Sie beginnt stockend zu reden, sie will es loswerden, sie will Hilfe. "Ich hab deutlich getraeumt, es klar vor Augen gesehen, dass er mich toeten wird." Auf meinen Einwand, das ein Traum nicht die Realitaet widergibt, sagt sie: "Er hat es mir vor kurzem angedroht, in Wut, bei einem Streit. Er schlaegt mich. Ich war schon im Krankenhaus." Sie zeigt mir Narben am Arm: "Das war ein Messer." Alberto steht stumm im Tuerrahmen. Sein Schweigen ist Eingestaendnis. "Ich kann zwischen euch keine Liebe mehr sehen, nicht mal Freundlichkeit. Ihr redet nicht mehr miteinander. Die Kinder leiden. Ihr solltet eine Loesung finden. Auch wenn ihr Schlimmeres nicht wollt- es koennte einfach geschehen." Himmel! Was soll ich sonst raten?

Manuela laesst mich nicht gehen. "Harald, ich will nach Deutschland. Ich spreche die Sprache, ich kann alles arbeiten, ich komme immer zurecht, mit den Kindern und allem." "Trenne dich. Ich mag Alberto, aber ich sage dir: trenne dich bald. Das ist kein Zustand." "Ich weiss das schon lange," sagt Manu, wie Alberto sie einst genannt hat, in einer fernen Zeit.

Sie gibt mir Telefonnummern. Manu, was soll ich damit? Wenn ich dich anrufe, uebernehme ich eine Verantwortung und das will ich nicht. Ich bin geneigt "kann ich nicht" zu sagen, aber das stimmt nicht. Aber soviele Menschen in Afrika wollten, wollen meine Hilfe, nach Deutschland, raus aus diesem Kontinent, aus ihrer persoenlichen Misere, weg von der Perspektivlosigkeit. Flucht. Ich hab meine eigene Flucht. Flucht ist ansich ja nicht schlecht. Solange man nicht vor sich selbst davon laeuft, sondern nur vor den Umstaenden. Mir hat es einen langen Abstand verschafft- "Pause" oder "Unterbrechung" waere falsch gesagt, denn ich werde nicht dort weitermachen, wo ich aufgehoert habe. Was nuetzt es, in vermeintlicher Pflicht oder scheinbar tapferem Durchhaltevermoegen weiterzumachen, was man als falsch fuer sich erkannt hat. Es geht ja nie darum, dass etwas objektiv falsch ist- andere moegen mit den gleichen Umstaenden durchaus sehr gluecklich sein. Es geht um die persoenliche Wahrheit. Manuelas Wahrheit ist, dass sie kein kleines Weibchen ist. Als ich frage, ob niemand fuer sie da waere, den sie um Rat und Unterstuetzung bitten koenne, sagt sie: "Die Leute sagen mir: Du musst deinen Mann doch unterstuetzen, in seinem neuen Job, ihm helfen. Ich mach hier alles, die Kinder, ich arbeite selbst. Er bekommt alles vorgesetzt..." Ich unterbreche sie. "Die Leute reden Unsinn Manuela. Ihr lebt ein modernes Leben, ihr wart in Deutschland, ihr lebt quasi in einer Grossstadt. Die alten Regeln gelten hier nicht mehr. Lass dich nicht verrueckt machen. Die Kinder sind gross genug, die sind bei einer Trennung besser dran. Du bist stark, du wirst es auch hier schaffen."

Ich druecke ihre Hand, ich muss weiter. Leb wohl Manuela, leb Wohl Alberto. Diese Ehe steht noch da, wie ein Boxer der schon k.o. ist, aber noch nicht umgefallen.

"Wenn bei Flugzeugen die Motoren ausfallen, ist das nicht das Ende des Fluges. Die Flugzeuge fallen nicht wie Steine vom Himmel. Sie gleiten weiter, die riesengrossen, mehrstrahlingen Passagiermaschinen eine halbe bis dreiviertel Stunde lang." B. Schlink

Alberto faehrt mich nach Tete. Abschied. Er nimmt mir meine Auffassung offensichtlich nicht uebel. Ihm fehlt, genauso wie seiner Frau, nur der Mut zum Vollzug des offensichtlich Unausweichlichen. Wer kennt das nicht?

Mit einem Bus geht es nach Ulongwe, der letzten Stadt vor der malawischen Grenze. Die Landschaft zieht im Eiltempo vorueber, bekannte Anblicke zwischendurch. Ulongwe im Dunkeln, das Hotel von vormals, die Managerin heisst ebenfalls Manuela und erkennt mich sofort: "Welcome back!" Ich bekomme ungefragt einen Rabatt, esse im Restaurant, ein Deutsch sprechender Mann fragt mich nach meiner Heimat. Ich weiss nicht allzuviel Aktuelles, bin lange unterwegs, raus aus allem, nur sporadische Nachrichten. Oft schreiben mir Leser in Mails, was in Deutschland gerade los ist.

Ich schlafe tief und erinnere mich, wie immer, nicht an meine Traeume.

Ich haette auch Heine zitieren koennen.

geschrieben am 4.10. in Addis Abeba


 


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