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Reisetagebuch

8/26/2005   Malawi / Lilongwe

Danke dafuer dass sie rauchen!

La vie est belle.

(Harald) Das “Kiboko-Camp” beherrbergt ausschliesslich Muzungus, weisse Rucksacktouristen aus aller Herren Laender. Im Moment umfasst dies neben den stets vertretenen Englaendern auch Australier, Amerikaner, Schweizer, Deutsche, Hollaender, Schweden und einen Israeli. Der heisst Dany, ein baertiger, selbstbewusster Fotograf Ende Dreissig, der Bernini in Jerusalem fotografiert hat, als er dort fuer seinen Film “ La vie est belle” ausgezeichnet wurde. “Bernini hat bei der Verleihung derart gealbert, voellig verrueckt, dass die ganze Feier unfeierlich wurde, die Leute haben Traenen gelacht, als er z.B. ins Publikum sprang, um die Frau des Ministerpraesidenten zu kuessen, weil er sich so ueber die Auszeichnung freute. Ein wahres Tohouwabohou. Kostlich. Einmalig.”

Gestern habe ich mit Maurice aus Frankreich und Rudi aus dem Engadin die groesste Tabakauktion des Landes und eine der groessten Afrikas besucht. Gleich an der Bushaltestelle klebt wieder ein “Guide” an uns. Der hat zwar keine Ahnung wo die Auktionshalle ist und dann, wie man hinein kommt, spielt aber trotzdem den Fuehrer. Ich sage ihm, dass er kein Geld dafuer bekommen wird, neben uns herzulaufen, aber am Tor gibt ihm Maurice dann doch Geld. Maurice ist erst ein paar Tage in Afrika.

Ein Guide kostet dich meist mehr Geld und auch Zeit, als er Vorteile bringt. Du wirst hingefuehrt, wo du nicht hinwillst- entweder, weil der “Ortskundige” gar keine Ahnung hat, oder weil er sich mit einer Vermittlung zu einem Kauf oder Restaurantbesuch eine Kommission verdienen will. Oder weil er dort, wo du hinwillst, den Eintrittspreis, das Busticket oder den Preis dessen was du kaufst, nach oben treibt, indem er den Verkaeufer auffordert- natuerlich in einer Sprache, die du nicht verstehst-, fuer ihn einen Betrag draufzurechnen. So kehrt sich die “Hilfe” in Nepperei um und der, der sich dir so ungemein freundlich gegenueber verhaelt, ist genau der, der dich um Geld erleichtert und dich anderen als jemanden vorfuehrt, den man veraeppeln und ausnehmen kann. Dabei wird er dich ungeruehrt und dreist anluegen: “Nein, nein, DIES ist der bessere Reifen und deshalb kostet der auch mehr.” Aber was du bekommst, ist der schlechtere und du bezahlst dafuer auch noch mehr und dann stehst du irgendwo nach ein paar km mit dem ersten Platten und wunderst dich, das dir der oertliche Reifenflicker dann sagt: “Warum haben sie nicht den besseren Reifen gekauft?”

Das bringt mich zur Frage der Luege. Luegen hat in Afrika nicht den gleichen moralischen Wert, wie z.B. in Deutschland. Auch in Deutschland luegt jeder- mehr oder weniger, klar. Trotzdem liegen die Grenzen anders. In einem Umfeld, in dem alle alles Lebensnotwendige haben, hat die Luege einen anderen Stellenwert. Es wird mir in Deutschland zwar immer wieder mal passieren, dass mich z.B. Kellner mit der Rg. uebers Ohr hauen wollen. Aber in Afrika ist das die taegliche Regel und die Wahrscheinlichkeit liegt- ohne jede Uebertreibung- bei 70-80 %.

Dieses Betrugssystem ist derart anerkannt, dass man z.B. alle Passagiere eines Busses fragen kann: “Stimmt der mir hier gerade angegebene Fahrtpreis?” Und alle werden entweder nicken, bestaetigen oder schweigen. Da sitzen dann 15, 20 Leute und wissen, dass man dich gerade betruegt und sind einverstanden, oder “halten sich raus”. Ich habe erlebt, dass Fahrer oder Besitzer eines Busses, wenn mir ein Sitznachbar den tatsaechlichen Fahrtpreis genannt hat, aufgebracht die Fahrt unterbrach, den Fahrgast lautstark zur Rede stellte und von ihm den verlorenen Mehrpreis verlangte- und das Geld sogar bekam!

Fast ueberall in Afrka gibt es auch staatlicherseits zwei Preise: einen fuer “Residents”, also Staatsbuerger, und einen zweiten fuer “Non-Residents”. Das System ist insofern rassistisch und verlogen, als man wie selbstverstaendlich unter “Non-Resident” einen Weissen versteht. In Malawi wird man einem “Non-Resident” aus Tanzania selbstverstaebdlich keinen “Muzungu”-Preis abverlangen. Ein malawischer oder mosambikanischer Millionaer wird also den niedrigen Preis bezahlen, waehrend der Rucksacktourist aus Spanien, der mit einem Budget von 200 USD pro Monat reist, den zehnfachen Preis bezahlen muss.

Bei innerstaatlichen Fluegen der afrikanischen Fluggesellschaften wird genauso verfahren. Es gibt keinerlei griffige Begruendung fuer dieses System, warum ein Auslaender- eigentlich ja nur Weisser- das Zigfache des ja ohnehin auf Gewinn kalkulierten, niedrigeren Preises bezahlen sollte- ausser dem der Gier.

Ich habe mich mit dem System von Anfang an arrangiert, denn es ist wie es ist. Was nicht bedeutet, dass ich es gutheisse und gelegentlich nicht auch kritisiere, damit die Leute mal darueber nachdenken, dass sie selbst rassistisch sind. Den meisten, nehme ich wohlwollend an, ist dieser Rassismus gar nicht bewusst. Wenn ich auf den Zuruf: “Hey, Muzungu!” mit “Hey African” oder “Black” antworte, ernte ich stets Gelaechter, weil dies in Umkehrung einfach komisch klingt. Die gleiche Reaktion erfolgt, wenn ich auf die Zurufe der Aethiopier “You,you,you” (Du,du,du) mit “Ante,ante,ante” reagiere, dem amharischen Wort fuer “Du”. Die Kinder sind dann ganz erstaunt, wie das in ihren Ohren klingt, denn derart unhoeflich wuerde kein Aethiopier einen anderen anrufen, schon gar nicht ein Kind wagen einen Mann anzusprechen. Das Youyouyou-Geschrei wird aber noch Generationen von Touristen erhalten bleiben und “Muzungu” ist mir da noch lieber.

Zurueck zur Auktion. Ein Komplex aus Hallen und Verwaltunsggebaeuden in emsiger Betriebsamkeit. LKW die verladen werden, Gabelstabler und hunderte von Tabakpflanzern, die hier ihre Ernte verkaufen und nun an den Kassen anstehen, um den Gegenwert in Quatscha ausgezahlt zu bekommen. Jeder Pflanzer ist hier namentlich registriert.

Die Pflanzer sind Kleinbauern, die ein paar Ballen abliefern, jeder wiegt ideal rd. 90-100 kg, um noch bewegbar zu sein. Die grossen, braunen Blaetter sind vorgetrocknet, aber weich, die Ballen werden, bis zu 12.000 taeglich, gewogen und in Reihen aufgestellt und geoeffnet. Die Aufkaeufer und ein Auktionator, Gruppen von 6,7 Maennern, etwa die Haelfte davon Weisse, gehen nun in einem unglaublichen Tempo an den Ballen vorbei, pro Ballen verweilen sie nur 3 Sekunden, in denen der Auktionator den Mindestpreis herunterrattert und einer der Aufkaeufer, mit einem fuer Laien fast unsichtbaren Wink, den Kauf bestaetigt, oder andeutet, dass er fuer einen geringeren Preis kaufen wuerde. Bis 12 Uhr werden an fuenf Tagen die Woche so meist saemtliche Ballen von 4 Firmen, darunter Phillip Morris, aufgekauft. Wie die Aufkaeufer bei dieser Durchgangsgeschwindigkeit die Qualitaet beurteilen koennen, bleibt Berufsgeheimnis.

In einem Schaukasten werden Beispiele fuer Verunreinigungen des Tabaks und Betrugsversuche gezeigt. Da wurden u.a. in Tabakblaetter eingewickelte Steine und ein alter Wagenheber in die Ballen gesteckt. Aber dem erfahrenen Auge faellt das Missverhaeltnis von Menge und Gewicht des Ballens auf und der Pflanzer verliert seine Anbieterlizenz und damit seinen Broterwerb. Diese Maenner besitzen nur kleine Anbauflaechen, die sie meist von Hand bearbeiten. Von einer Industrie kann man da nicht reden.

Weithin durch die riesige Halle sichtbar, laeuft ueber dem Schaukasten ein rotes Schriftband mit Wechselkursen und Tagespreisen und zwischendurch prangt eine Schrift: “Danke dafuer, dass sie rauchen.”

Bei einer Soda kommen Maurice und ich ins Gespraech. Sympathisch ist mir sein Ansatz, wir muessten Ressourcen schonen und Teilen lernen. Es gibt viel guten Willen in der Welt und es gilt, diesen sinnvoll und effektiv zu nutzen.

Auf der Strasse findet man auch im armen Malawi immer wieder Geld. Es sind Tambala-Muenzen, also Werte von einem hundersten bis 99stel eines Quatscha. Da man fuer einen Euro ca. 150 Quatscha bekommt, hat ein Timbala also einen Wert von rd. 0,00007 Euro. Mithin eine der kleinsten Geldwerte der Werte und wertlos selbst im eigenen Land.

Im Netcafe sitzt eine Deutsche neben mir, wie ich unschwer auf dem Bildschirm erkennen kann. Wir kommen ins Gespraech. Die 22-jaehrige heisst Julie und volontiert fuer ein paar Wochen in der Ortsverwaltung von Rumphi, was auf meinem Weg nach Norden liegt.

geschrieben am 7.10. in Addis Abeba


 


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