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Reisetagebuch

8/28/2005   Malawi / Lilongwe

Beim Hexendoktor

Und das kam so:

(Harald) Mir ist Lilongwe noch vertraut und die Orientierung faellt mir leicht. Die Stadt ist einer der juengsten Hautpstaedte Afrikas und fast auf dem Reissbrett entstanden. Ihr fehlt jede Heimeligkeit, aber auch jede Duesterniss, wie sie sich z.B. in Nairobi findet.

Als ich mich unters Volk mische, dass von einem Teil der “Alt”-Stadt in den “Neu”Teil stroemt, ueber eine Bruecke und einen Bach hinweg- stinkend und unglaublich verdreckt- stosse ich auf einen Hexendoktor. Wuesste ich die am Boden mit Maismehl aufgetreuten Zeichen nicht zu deuten, ich waere achtlos voruebergegangen. Ein Quadrat aus einer feinen Maismehllinie auf dem roetlichen, staubigen Lehmboden. In den vier Ecken weitere Abteilungen, in der Mitte ein Quadrat, in dem mehrere Kalabassen (birnenfoermige Holz-Hohlgefaesse) in verschiedenen Groessen stehen, alt und reich verziehrt, an der Publikumsseite ein paar Fetische, z.B. ein kleines, primitiv geschnitztes Gewehr, sowie ein Kreuz.

Ich hocke mich und warte was passiert. Niemand zu sehen. Die ersten Passanten bleiben stehen, weil sie neugierig sind, was den Weissen so interessiert. Dann kommt ein junger Mann, tritt in das Quadrat, dessen Linien keiner der Vorbeilaufenden ueberschreitet. Der Mann beginnt gestikulierend eine Art Werberede fuer das Kommende und mehr und mehr Leute bleiben stehen. Auf dem Land wohnen die Hexendoktoren, Zauberer und heilkundigen Frauen nebenan. Hier in Lilongwe sind sie zu Besuch, eine Art fahrender Doktor. Ich frage, ob Fotos erlaubt sind. Der Junge gibt eine Antwort, aus der sich alles ablesen laesst, murmelt etwas von “Doktor”- ich soll wahrscheinlich den Doktor fragen. Der erscheint. Er traegt eine goldgeraenderte Sonnenbrille, gepflegt, in einem halbtraditionellen Hemd mit Bestickung und feinen Schuhen, hoechstens Ende und eine dieser gelackten Erscheinungen, denen ich nicht mal eine Packung Kekse abkaufen wuerde. Und so laeuft die Sache:

Der Hexer schuettelt Konservendosen, deren Oeffnungen zusammengequetscht wurden und in denen Kerne oder Steine rasseln. In der anderen Hand haelt er eine braune, duenne Baumschlange, die sich nur langsam bewegt. Mit der Rassel ruft er die Geister wach und herbei, die sich, wie sich bald zeigt, in den Kalabassen befinden. Zwei weitere Helfer erscheinen, auch sie halten je eine gruene Baumschlange in den Haenden. Ungiftige Exemplare oder solche mit herausbgebrochenen Zaehnen. Als mir einer der Maenner Angst machen will, indem er mir die Schlange hinhaelt: "Nimm sie!”, greife ich sofort danach, aber er entzieht mir das Tier- sein Schuss ging nach hinten los. Zaghaftes Gelaechter aus den hinteren Reihen.

Der Zauberer deutet an, die Schlange kopfunter zu verschlucken- das waere was! Aber er tut nur so. Gerassel, Formeln, betretene, aengstliche Blicke der Leute. Dann gehts richtig los: der Hexer wird von den Geistern gerufen und oeffnet die groesste Kalabasse und unterhaelt sich mit dem Geist. Das klingt wie ein Telefonat, bei dem man nur einen Gespraechspartner sehen und hoeren kann: “Ja? Hallo. Oh ja! Der ist auch hier”- Blick in die Runde, einige weichen unmerklich zurueck- dann hat er nicht richtig verstanden, beugt sich zur Kalabasse hinunter: “Wie bitte? Ach so! Sicher, dass werde ich machen…etc.” Ich fotografiere. Wie soll ich den Hexer jetzt unterbrechen und um Erlaubnis fragen? Also deute ich zunaechst laengere Zeit und deutlich sichtbar das Fotografieren nur an und als ich keine Reaktion sehe, mache ich ein paar Aufnahmen.

Immer mehr Leute ersuchen den Hexer nun um Hilfe. Diese Kunden bekommen von den Helfern Maismehl in eine Hand gestreut und werden in die Ecken des grossen Quadrats gestellt. Das Mehl verbindet sie mit dem Geist und ist ihr Opfer an ihn.

Ich frage den Mann neben mir, was vor sich geht. Einem Mann wurde z.B. seine Naehmaschine gestohlen und er will wissen, wer das getan hat. Der Hexer weist ihn herrisch an- langer Arm und befehlend ausgestreckter Zeigefinder, harrscher Ton- hinunter zum Bach zu gehen und Schilfgras zu pfluecken. In diesem Fall hat er wohl zuviel Angst verbreitet, denn der Mann kommt nicht zurueck. Andere sind krank. Einer Frau ist der Mann zu einer Juengeren weggelaufen. Sie will ihn durch Zauberei zurueckgewinnen. Und dann sagt mein modern und fast elegant wirkender Uebersetzer: “Sie entschuldigen mich bitte? Ich habe ein Anliegen an den Doktor.” Sprichts und tritt ins Quadrat und hat Maismehl in der rechten Hand.

Den Hexern spricht man zu, sie koennten Flueche aussprechen, eine auch heute noch furchtbare Vorstellung fuer die meisten Afrikaner. Mit seiner unfreundlichen, herrischen Art macht der Zauberer seine augenblickliche Macht ueber sein Publikum deutlich. Er ist der Boss.

Dann, nach einer halben Stunde, ist die Zeremonie vorbei und genug Kunden stehen bereit. Sie werden angehalten, in einer Reihe vor einem 1x1 Meter Verschlagquadrat aus ein paar Aesten und schwarzem Plastik zu warten. Dieses Oertchen ist nach oben hin offen und drinnen hocken der Zauberer und sein Sprecher, denn der Zauberer spricht nicht direkt mit seinen Kunden. Und ich bin, obwohl nicht aufgereiht, sein erster Kunde, wie mir einer der Helfer unmissverstaendlich klar macht. Ich grinse, hocke mich aber neugierig in den winzigen Verschlag. Der Zauberer faechelt sich mit ausholenden Armbewegungen unsichtbaren Rauch (oder den Geist) an den Koerper, der wohl aus der schwarzen Kalabasse zwischen seinen gespreizten Beinen kommen soll. Er brummt mit verschlossenen Augen und der Helfer drueckt mir Maismehl in die rechte Hand. Der Hexer spricht den Uebersetzer an– ich wette, dass der Zauberer von allen das beste Englisch spricht- und der sagt: “Du hast Fotos gemacht. Der Geist ist veraergert. Was willst du geben?” Ich wende ein, dass ich gefragt und niemand etwas dagegen gesagt habe. Der Helfer uebersetzt. Neuerliches Faecheln und Brummen, neue Anweisung. “Du musst den Geist beschwichtigen. Du hast einen Fehler gemacht.” Was der Geist will, ist unschwer zu erraten. “Du musst Geld geben, damit Maismehl gekauft und geopfert werden kann.” Wieviel? Der Hexer langt richtig zu, um mich zu schockieren. “10.000 Quatscha.” Das sind rd. 65 EUR. Ich grinse, kann kaum an mich halten. Freunde, sage ich, hier sind 100 Quatscha (75 Cent). Dies ist oeffentliches Gelaende, da kann ich fotografieren wie ich will, da kann ich nicht mehr als 100 Menschen um Erlaubnis fragen. Wenn ihr was dagegen habt, dann sagt es einfach vorher. Nein, nein, dass habe schlimme Folgen, versichert der Helfer (Faecheln, Brummen. “Was?” fragt der Hexer offensichtlich in die Kalabasse. “Wie bitte, aha, ja, ja, mmh, jawohl...”) Ich wuerde die Fotos verkaufen und zu viel Geld machen. Nein, keines dieser Fotos wird verkauft, versichere ich wahrheitsgemaess. Und wenn der Geist alles weiss, dann weiss er auch, dass ich die Wahrheit sage. 100 Quatscha um des lieben Friedens willen.

Ich stehe auf und verlasse unter dem eher zaghaften Prostest der beiden den Verschlag. Fragende, fast aengstliche Blicke der Wartenden ruhen auf mir. Ich grinse und laufe die Green Mile entlang der Reihe: “Der arme Kerl” denken die jetzt vielleicht. “Dem wirds schlecht ergehen.”

In solchen Augenblicken stellt sich dann schon die Frage, ob man, ganz tief drinnen, nicht doch eine Spur Aber-Glauben traegt, dass Flueche funktionieren.

Ich haette gerne die Schlangen gehalten, aber die sind wohl in den Kalabassen. Schlangen sind in Afrika gefuerchtet wie der Teufel. Da niemand die Spezies zu unterscheiden weiss, erleiden seit jeher in Afrika saemtliche Schlangen das gleiche Schicksal: erschlagen, weil gehasst, weil gefuerchtet, weil unbekannt, obwohl fast immer nuetzlich, z.B. weil sie Ratten und Maeuse fressen. Dabei sind von den rd. 3000 Arten weltweit nur rd. 10 % giftig und davon nur wenige Arten so giftig, dass sie fuer Menschen gefaehrlich sind. Und nur rd. 25 % der Bisse von Giftschlangen sind gefaehrlich, also potenziell toedlich, da es sich um Schreckbisse handelt, z.B. wenn man auf eine Schlange tritt. Das Gift muss durch einen “bewussten” Druck des Tieres auf Gaumen und Zunge in die Wunde injiziert werden und wg. des unvermittelten Schmerzes und eigenen Schocks (die Tiere haben ja Angst vor UNS!) unterbleibt diese Kontraktion in den meisten Faellen. Ironischerweise sterben die meisten Gebissenen nicht am Gift, sondern lt. WHO-Statistik an Kreislaufversagen infolge von Angst.

geschrieben am 8.10. in Addis Abeba


 


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