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Reisetagebuch

8/29/2005   Malawi / Lilongwe

Hans im Glueck

Abenteuer Radtour

(Harald) So langsam sickert die Erkenntnis richtig durch: die Radtour ist vorbei. Aber das Abenteuer nicht (wie sich spaeter herausstellen sollte, lagen noch einige Abenteuer vor mir).

Lt. Lexikon definiert sich Abenteuer als “ein aussergewoehnliches Erlebnis, ein gewagtes Unternehmen”. Das trifft sicher auf meine Radtour zu.

Eine der Rucksack-Radtouristinnen hat im Fruehjahr 2002 ihr Abenteuer hier in Malawi mit dem Leben bezahlt. Das junge Maedchen radelte alleine in der Naehe von Cape McClear am Malawisee und wurde bei einem Fotostop von zwei jungen Maennern ueberfallen, vergewaltigt, getoetet und verscharrt. Die Taeter wurden spaeter gefasst.

Die Besitzerin des “Kiboko-Camps”, eine Hollaenderin, erzaehlt, wie sie solche Gewalttaten voraussah und den malawischen Minister fuer Tourismus warnte, dass dies geschehen koennte und welche Folgen das haette. Der Minister wiegelte ab. Als dann ein paar Monate spaeter das Maedchen ermordet wurde, wiegelte der Minister erneut mit der Begruendung ab, sie sei doch lediglich eine Rucksacktouristin und das wuerde den wirklich profitablen Buchungs-Tourismus nicht tangieren. Er irrte sich, denn ueber 80 % aller deutschen Buchungen wurden sofort storniert.

Die harte Wirklichkeit des Kontinents wird auch in Zukunft mit dem weichen Ziel “Tourismus” kollidieren. Wie in Aegypten bereits Realitaet, wird dies bei Zunahme von Gewalttaten gegen Touristen auf einen Tourismus hinauslaufen, der von allen Gefahren moeglichst ferngehalten wird: ferngebucht, begleitet, polizeigeschuetzt, teuer, wirklichkeitsfern. Andererseits wird sich der Tourist an ein „Restrisiko“ gewoehnen.

Bei aller Abenteuerlust: es wuerde mir nicht einfallen, durch die algerische Provinz zu radeln, oder entlang der iranischen Drogen- und Waffenschmugglerrouten, oder auf phillipinischen Inseln zu Zelten u.ae.

Immer wieder wurde ich gefragt: warum machst du das? Gibst alles auf, laesst Heimat, Komfort, Verwandte, Freunde, Sprache, Sicherheit hinter dir und muehst dich ab durch Hitze, Staub, Hunger und Durst, Krankheiten. Setzt dich Anfeindungen aus und Schikanen, entbehrst deinen Sport, deine Musik, Buecher, Lieblingsspeisen etc.

Nun, ich habe auch nach ueber drei Jahren keine klare Antwort darauf. Es hat mich gereizt, es liegt mir im Blut. Entdeckerfreude, Neugier, Flucht- auch vor einem terminierten, durchgeplanten, als beengend empfundenen Leben, Tatendrang, Lust am Abenteuer gepaart mit einer Bereitschaft zum (begrenzten) Risiko und einem Leben in der Natur, Konventionen abschuetteln, herausfinden was in mir steckt…Ist es wirklich wichtig zu definieren und zu bewerten? Wenn jemand mein Tagebuch liest und dabei Lust bekommt, auch so etwas zu machen ist die Frage, warum ICH das gemacht habe, unwichtig, oder bestenfalls zweitrangig. Jeder hat seine eigenen Gruende und niemand muss sich rechtfertigen. Es ist ja gerade das, was viele so fasziniert: das da jemand “einfach so” alles hinter sich laesst, aufgibt und sich aufmacht, loszieht in die Welt, ins Unbekannte. Und wie der grimmsche “Hans im Glueck” feststellt, dass er umso gluecklicher ist, je weniger er mit sich traegt, je weniger er sich sorgen muss, es zu verlieren. Du denkst, du verlierst viel und dann stellst du fest, dass du etwas gewonnen hast, von dem du vordem nicht wusstest, dass du es wertschaetzen wuerdest.

Was ich oft als zu bezahlenden Preis empfunden habe, war die Einsamkeit. Kein Mensch der Einsamkeit fuerchtet, bin ich doch immer wieder gerne umgeben von Menschen, suche persoenliche Gespraeche, Austausch und Naehe. “Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freud ist doppelte Freud." Im Glueck kann man sich gegenseitig berauschen. Das habe ich oft vermisst, jemand neben mir, dem ich haette sagen koennen: “Ist das nicht schoen?”

Und oft wurde ich gefragt, ob ich gesponsert werde. Das ist ja die Idealvorstellung fast aller Rucksackreisenden, das eigene Geld nicht einsetzen zu muessen, sondern durch das Reisen selbst die Reise zu finanzieren. Aber eine Radtour von Europa nach Kapstadt ist heute nichts Aussergewoehnliches mehr, auch wenn das im deutschen Wohnzimmer so aussehen mag. Es gab und gibt tausende jedes Jahr, die abenteuerliche Reisen durch die Welt machen, man spricht von ca. 2000, die allein durch Afrika fern- und langzeitreisend radeln, rudern, wandern und mit Landcruisern querfeldein fahren. Wer gesponsert werden will, muss Werbeerwartungen der Industrie erfuellen, d.h. die Aufmerksamkeit der Medien erregen. Neben einer gehoerigen Portion Neigung zur Selbstdarstellung benoetigt man dazu eine Unternehmung, die so ungewoehnlich ist, dass man sie auch als “verrueckt” bezeichnen wuerde. In einem Telefon-Radiointerview, dass ich 2004 in Addis mit einem Deutschen Sender fuehrte, war dann auch die erste Frage des Redakteurs: “2 Jahre unterwegs, 20.000 km mit dem Rad durch Afrika…Herr Radtke, sind sie ein bisschen bekloppt?” Und ich habe geantwortet: “Wahrscheinlich muss man wirklich ein bisschen verrueckt sein.”

Aber fuer ein Sponsoring ist mein Projekt nicht verrueckt genug. Im Interview mit der Westdeutschen Zeitung im Dezember 2004 habe ich deshalb scherzhaft gesagt: “Wer heutzutage gesponsert werden will, muss schon auf den Knien rueckwaerts durch Afrika rutschen.” Tatsaechlich dienen heutzutage viele gesponserte Unternehmungen nur noch ihrem Selbstzweck und bestenfalls dem Nachweis, was Menschen bereit und in der Lage sind zu tun um beruehmt zu werden. Einen darueber hinausgehenden Sinn wird man z.B. nicht darin finden koennen, in einem Tretboot oder auf einem Baumstamm von Europa nach Amerika zu paddeln. Der Survival-Experte Ruediger Nehberg hat in seinem Buch: “Ueberleben ums Verrecken” einen “Stern”-Redakteur zitiert: “Wenn wir allen Fantasten, die sich bei uns melden, weil sie irgendetwas “ganz Tolles” vorhaben, die gewuenschten Vorschusshonorare zahlen wuerden, waeren wir laengst pleite. Hoechstens 5 % solcher Leute schaffen dann wirklich, was sie sich vorgenommen haben.” Ich halte diesen Pessimismus zwar fuer stark uebertrieben, aber eine vergleichbare Reaktion habe ich erfahren, als ich um Sponsoring meiner Radtaschen anfragte.

Ich wurde gefragt, was so eine Reise kostet. Wie langweilig! Und typisch Deutsch. Kaufst du dir ne schoene Bluse, fragt dich jeder erstmal, was sie gekostet hat. Ich bin einem Radler begegnet, der seit 18 Jahren durch die Welt faehrt und niemals fuer eine Uebernachtung bezahlt und von den bescheidenen Zinsen einer Erbschaft lebt. Es gibt rastalockige, Schlabberkleidung tragende Marihuana-Junkies, die mit indischer Musik und Raeucherstaebchen im Rucksack ein halbes Leben unterwegs sind, praktisch ohne Geld. Was dich deine Reise kostet, haengt von deiner Bereitschaft ab zu verzichten.

Und warum mit dem Rad? war eine haeufig gestellte Frage.

Nun, Radfahren befluegelt dich ueber den Stolz auf deine eigene Leistung. Wer selbst mal Radtouren gemacht hat, weiss wie es ist, nach einem Tag Kampf gegen den Schweinehund auf die Karte oder den Tacho zu gucken und sagen zu koennen: 140 km heute. In Afrika, ueber Stock und Stein, mit 40 kg Gepaeck, in 50 Grad Hitze, aehnelt solch ein Rueckblick schon fast einem Erstaunen ueber dich selbst. Das wappnet dich gegen alles, was du dir sonst nicht zugetraut hast, denn wenn du DAS geschafft hast, schaffst du auch anderes.

Radreisen ist preisguenstig, vor allem mit dem eigenen Zelt und wenn man landesuebliche Durchschnittskost isst. Die Ferntouri-Regel: “Cook it, peel it or forget it” (Koch es, schael es oder vergiss es) kannst du dann aber vergessen. Und damit setzt du dich nicht nur einer vermehrten Diarrhoe-Wahrscheinlichkeit aus, sondern auch dem Risiko von Hepatitis C, gegen die es keine Impfung gibt. Aber dein Koerper aktiviert sein Immunsystem, er gewoehnt sich, staerkt sich am Kampf gegen die staendigen Attacken und irgendwann, so sagen viele Rucksackreisenden, bist du fast immun. In Aegypten war ich endgueltig in den Kreis der einheimischen Jungs aufgenommen, nachdem ich das Leitungswasser in den Cafes mit ihnen trank. Im Sudan bleibt dir schlichtweg gar nichts anderes uebrig, als braunes Nilwasser zu trinken, weil es nichts anderes gibt. Und es hat mir nicht geschadet.

Zeltest du also im Busch und isst die “Strassenkost”, kommst du mit 1-2 Euro am Tag aus. Dazu kommen die Gebuehren fuer Visa und in den Grossstaedten Campingsplatz- oder Hotelkosten. Telefonate, E-Mails, Kino, Ausfluege, Museen, Veranstaltungen, Game-Reserves, Buecher, Friseur, lokale Transporte, Geschenke fuer Gastgeber, Almosen, Ersatz fuer Sonnenbrillen, Schreibmaterial- alles nicht unbedingt von Noeten und manches ist Luxus.

Aber Kosten fuer Arztbesuche, Medikamente, neue Batterien, Ersatzteile und Verlusten durch Diebstahl und Raub kannst Du kaum aus dem Weg gehen. Aber der o.a. Radreisende, der 18 Jahre unterwegs war, ist nie beraubt (er war nicht in S.A.!) und nur einmal bestohlen worden. Es geht auch anders.

Und was ist sonst noch so toll am Radreisen?

Du wirst z.B. eingeladen, gefeiert wie ein Sportler. Ich kann nicht zaehlen, wie viele Einladungen das waren, an den ungewoehnlichsten Orten, zu den unerwartetsten Zeitpunkten. Als Autofahrer wird dir das bei weitem nicht so oft geschehen. Die Leute anerkennen deine Muehe und die Zeit, die du dir nimmst, ihr Land zu durchreisen. Das du keine Schranken zwischen dich und sie aufbaust- durch Geschwindigkeit und verschlossene Fenster und Tueren.

Du riechst die Blumen (und die Dieselabgase), du fuehlst den Wind (und den Gegenwind), du hoerst die Voegel (und die LKW-Motoren- und Tankerhoerner), du redest beim Fahren mit einem einheimischen Radfahrer neben dir (oder mit dir selbst), du antwortest auf freundliche Zurufe (und ignorierst moeglichst die unangenehmen), du haelst schnell und oft an fuer einen Schwatz. Du tust was Gutes fuer deinen Koerper (wundgescheuerter Allerwertester, eingeschlafene Haende). Du bewegst dich so langsam, dass „die Seele mitreist“.

Ausstattung? Ich empfehle eine einfache Konstruktion, ein bewaehrtes Modell. Lieber zwei Kilo mehr und ein Rad das richtig gut rollt. 7-16 Gaenge sind genug. Als es keine Gangschaltungen gab, sind auch schon Leute durch Afrika geradelt. Je einfacher die Konstruktion, desto weniger Probleme, desto eher findet sich auch ein Mechaniker.

Das Rad sollte natuerlich trotzdem moeglichst leicht sein- ich habe gute Erfahrungen mit Aluminium gemacht, entgegen aller Unkenrufe.

Ersatzteile? Ich habe anfaenglich gottweisswas an Schrauben, Muttern, Schlaeuchen, Reifen, Spannern, Bremszuegen, usw. und Werkzeug mitgenommen. Als ob es das nirgends gaebe! Bis Kairo ist das schlichtweg voellig ueberfluessig und danach trifft man in Afrika auf zehntausende von Improvisationskuenstler, die deine Reifen mit Stuecken von Altschlaeuchen flicken, den Mantel wieder und wieder vernaehen, mit Draht wahre Wunder an Haltbarkeit fabrizieren etc. Die Muehe, den Kram mitzuschleppen, sollte man sich keinesfalls machen. Jeder einheimische Reifen bringt dich 2-5000 km weit und danach kaufst du den naechsten, was solls? Die Reifen kosten nur 1,50 bis 5 Euro und die deutschen 40-60 Euro und mehr.

Nach dem ersten Jahr hatte ich nur noch Flickzeug dabei: ein paar Stuecke Altschlauch, fertig zugeschnitten, eine kleine Tube Kleber (jeder Alleskleber tuts) und zwei zugebogene Stuecke Hartdraht zum Reifenabziehen (die ich einem lokalen Flicker abgekauft hatte)- die Plastikabzieher brechen sowieso staendig. Und eine kleine Luftpumpe guter Qualitaet, leicht, stabil. Die Investition lohnt.

Kleidung? Meine Ansprueche sind da ebenfalls stark gesunken. Alles wurde so lange getragen, bis es zu grosse Loecher hatte oder durchgescheuert war. 2 lange Hosen, eine davon vielleicht durch Reissverschluesse kuerzbar, eine Boxershorts- die als Nachtkleidung, Schwimmhose und Unterwaesche dienlich ist-, eine Unterhose, zwei, drei T-Shirts, ein langaermliger duenner, ein dicker Pullover (oder Vliesjacke), eine Windjacke mit Kapuze, ein paar Allzwecksandalen, mit denen man auch Duschen gehen kann (also kein Leder), ein waschbarer Sonnenhut, ein kleines duennes Handtuch (trocknet schnell). Das ist das Notwendige. Beste Ausstattung waere dann noch: Radhandschuhe, Radlerhose, Sonnenbrille- nie teuer, denn sie zerbrechen, werden gestohlen, vergessen. Ueberall kann man fuer einen Euro neue Brillen kaufen, sie halten monatelang und deren Verlust schmerzt nicht. 1 -2 Paar Socken und eine Wollmuetze fuer kalte Gegenden, sowie Regenkleidung. Ist die jeweilige Regenzeit vorbei oder durchfahren, gibt man den 10-Euro-Ostfriesennerz einfach gg. 3 Euro ab.

Was sonst? Mueckenspray in problematischen Gegenden. Zum Schlafen reicht eine Iso-Schaummatte. Die ist federleicht und billig und auch als Sitzrolle bei Pausen bestens geeignet. Oder- schon Luxus- eine Luftmatratze, flach, schmal, teuer, und empfindlich gegen Hitze und Dornen. Ein waschbarer Schlafsack mittlerer Isolierung reicht fuer Afrika. Wenns kaelter wird kauft man fuer 5-10 Euro eine Decke und gibt sie in waermeren Gebieten wieder ab.

Als Zelt reicht ein flaches, kleines Exemplar. Die Angebote reichen etwa von 1-kg-400-Euro bis 2 kg 100 Euro. Um den Zeltboden vor Wasser und Dornen zu schuetzen, empfehle ich eine stabile Plastikplane als Unterlage. Gut auch als Sonnendach und Flickunterlage.

Ein Bauchgurt ist in den Grossstaedten unerlaesslich, um es Taschendieben schwer zu machen. Gegen Raeuber hilft das nicht, genauso wenig, wie die Geldgurte, denn die Raeuber wissen Bescheid. Hosentaschen sollten Klettverschluss und moeglichst zusaetzlich Reisverschluss haben. Das Geld sollte an verschiedenen Stellen verborgen sein, der groesste Teil am Besten in der Unterhose, im Strumpf oder am Oberschenkel.

Ein Messer ist ein Tausendsassa. Fuer Reparaturen, zum Schaelen und Essen und als sichtbar getragener Schutz gegen Halbprofis im Strassenraeubergeschaeft. Die echt Harten haelt das nicht ab.

Eine Kopflampe ist sehr gut und nuetzlich, aber Luxus und die Batterien teuer. Fuer den Preis einer guten Kopflampe kann man in Afrika 20-30 chinesische Taschenlampen kaufen, deren Batterien man selbst in der Halbwueste kaufen kann und die nahezu unverwuestlich sind.

Eine Kamera. Will man keine Dias haben, ist die erste Wahl die Digitalkamera. Aufpassen muss man mit Sand und Feuchtigkeit, denn Reparaturen an Digitalkameras sind oft so teuer, dass sie nicht lohnen und man besser eine neue kauft (die meist mittlerweile auch billiger geworden sind).

Die ueblichen Fahradtaschen sind Gold wert und halten alles aus. Ein Lob den Herstellern! Eine Lenkertasche ist ein sehr parktischer Luxus. Man hat aber das Gewicht oben und am Lenker, was nicht unproblematisch sein kann. Beim wie o.a. Umfang an Ausstattung reichen drei Taschen; ich bin zuletzt sogar mit zwei Vorderradtaschen statt Hinterradtaschen gereist, sowie einer hinten querliegenden Zelttasche.

geschrieben am 14.10. in Bahir Dahr, Aethiopien


 


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