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Reisetagebuch

10/24/2005   Aethiopien / Addis Abeba

Mein Hotelzimmer

Zwischenruf aus Addis

(Harald) Es geht mir gut. Bestens. Hier gibt`s ja feine Cafes und internationale Kueche und ueberall Musik auf der Strasse.

Addis ist nicht gerade eine Touristenhochburg, wirklich nicht. Eher Zwischenstation zu den paar touristischen Hotspots des Landes: Lalibela, Aksum, Simien Mountains, Gonder, Harar und das Omo-Valley. Sie sehen, ich kenn mich aus. Ich bin Dauerreisender, kurz DR. Mir geht`s gut.

Ich wollte eigentlich von meinem Hotelzimmer erzaehlen. Wundern sie sich nicht, aber fuer einen DR ist sein Hotelzimmer wichtig. Sein Zuhause sozusagen. Also berichte ich heute mal, exklusiv aus Addis Abeba, von meinem Hotelzimmer.

Wenn du reinkommst…Nein, ich muss von vorne anfangen, first things first, wie der Englaender zu sagen pflegt.

Also es geht ja um mein Hotel. Ich bin seit Jahren Hotelgast, in den Grossstaedten mangels Campingmoeglichkeiten meist gezwungenermassen. Und da mein Budget begrenzt ist, bottomline sozusagen, ist der Aufenthalt in der entsprechenden Hotelkategorie nie langweilig. Ich hab`s gerne unterhaltsam, aber auch mal gerne meine Ruhe, silentmaessig gesehen. Sie verstehen.

Irgendwie hab ich jetzt wieder den Faden verloren. Ach ja! Also. Mein Hotel heisst “Gebe”. Irgendwas auf Amharisch, wahrscheinlich hat`s eine Bedeutung, hat ja alles eine Bedeutung hier, nix hat hier keine, was Religioeses oder aus der Natur oder was Prosaisches. “Gebe” also. Gebe Gott es waere gut- hahaha. Kleiner Witz von mir.

Mir gehts gut.

Ich uebersehe im Vorbeilaufen immer noch den Hoteleingang. Der ist in einer Ladenzeile verborgen, nur 70 cm breit. Na-ja, vielleicht auch 75. Am besten ist dieses Schlupfloch am Watchman zu erkennen, der ziert den Eingang. Er traegt eine olivfarbene Pferdedecke, wie wir beim Bund solche Filzmaentel nannten, und eine Schirmmuetze, auch so braun-gruenlich, und er tastet abends die Barbesucher nach Waffen ab und bettelt mich an und weil ich ihm nichts gebe, belaestigt er mich, indem er mir den Eingang versperrt und mich zwingt, ihm die Hand zu geben. Solche Sachen bin ich gewohnt, ich bin ja DR. Das macht mir nichts.

Ich laufe also regelmaessig am Eingang vorbei. Man hat mich schon oft “zerstreuter Professor” genannt, was mir oelig runtergeht, bin gar nicht beleidigt deswegen, schmeichelt mir, es betont meine Bildung. Klingt nur aeltlich, dass gefaellt mir weniger, ich werde naemlich immer juenger geschaetzt, wissen sie. Sagt doch vor Tagen im Taitu-Hotel eine Franzoesin, die bei der UN in NY (das bedeutet New York, die Amis kuerzen ja gerne ab) angestellt ist, also sagt die distinguierte Dame, italienische Eltern uebrigens, sagt die doch, sie schaetze mich auf 35. Herrlich, koestlich, sage ich ihnen! 35! Ich hab die Lippen bescheiden gekraeuselt, verlegen getan, ganz bescheiden. 35 sagt sie. Heijeijeijeijei.

Wo war ich? Ich wollte vom Hotelzimmer erzaehlen, richtig.

Also der Watchman will immer Trinkgeld, die wollen ja alle hier mein Geld. Wenn die mich sehen, denken die gleich: da kommt Geld gelaufen. Ich nenn` mich selbst “Walking Money”. Die denken in Kette: “Weisser, Geld, Geben.” Gebe-Hotel! Sie verstehen, haha. Tumor ist wenn man trotzdem lacht. Hahaha.

Der Kerl am Eingang will mich auch zu einem Kauf von Keksen beim Strassenhaendler, der stets neben ihm sitzt, zwingen. Ich mach` das nicht. Er sei doch gut dran, weil: hast doch`n Job, sag ich ihm und mir.

Ich also die schmale Steintreppe hoch. Da steigt mir der Bargeruch in die Nase. Nachts riechst du das gar nicht so, obwohl ja viel mehr Rauch im Raum ist. Aber ohne Musik und Menschen in so einem Raum riecht alles viel staerker. Kalter, alter Rauch, Parfumreste (billig), eine olfaktorische Melange. Alkoholrauchessensrestebierparfumlederschuhesockenklogeruch. Na-ja, sie wissen schon. Mir macht das nichts. Ich bin ER- Entdeckungsreisender.

Rechts rum, noch `ne Stiege hoch, da klappert mir schon die erste Bordsteinschwalbe entgegen, taxiert mich, “Hello!” floetend, auf gut fuer 100 Birr die Nummer. Ich weiss das, hat mir ein kenianischer Truckfahrer erzaehlt, ein Szenekenner sozusagen. Sie sehen, ich bin rumgekommen.

Ich selbst lass das lieber mit diesem Gewerbe. Kostet 5-8 Euro und bringt dich ins Grab. Reine Vernunftsache, das hat nichts mit der Leere zu tun, die ich empfinde, dieser Taubheit. Ueberhaupt nicht. Mir geht`s ja gut auch so.

Man darf aber zugestehen: die Aethiopierinnen zaehlen zu den schoensten Frauen des Kontinents. Dank schmaler Kost und fehlender Verwestlichung noch zu 95 % schlank. Hellbraune Haut, semitische Gesichtszuege mit schmalen Nasen und feinen Lippen.

Wo war ich wieder? Hotelzimmer. Ich also hoch, 2.Etage, da wohn` ich. Links geschwenkt, am Gemeinschaftsklo vorbei (“Immer der Nase nach”, pflege ich immer zu sagen, in Afrika brauchst du kein Hinweisschild zum Klo, haha). Enger Gang, fuenf Zimmerchen nur, Fenster zum Gang hinaus haben die und wg. des Laerms sind die nachts geschlossen und das mieft dann morgens, ich kann ihnen sagen.

Ich hab` deshalb das einzige Zimmer mit Fenster nach draussen genommen, 5 Birr mehr. Das Zimmer kostet 30 Birr, also rd. 3 Euro. Ich lebe aus schmaler Kasse, bin ich gewohnt, das macht mir nichts. Mein “Zimmer mit Aussicht” also. Aussicht auf eine Wellblechdachlandschaft, rostig, auf dunklen Balkenkonstruktionen, alles schief und voller Muell. Wellblech mit mehr Blech als Zink (nur zur Info). Die Katzen darauf sind grau vor Schmutz.

Die Tuerbreite entspricht der Gangbreite, im rechten Winkel rechts eine Stahltuere zum Privatklo der “Dental Clinic” nebenan, an deren Wartezimmer ich immer vorbei muss, wenn ich zum Duschklo gehe. Ist auch eine Erfahrung, die du in Deutschland nicht machen kannst, mit Boxershorts und freiem Oberkoerper, Seife in der einen, Zahnbuerste und Zahnpastatube in der anderen, Handtuch ueber der Schulter, am offenen Wartezimmer vorbei: “Endemen Aderatschu!” murmelnd oder grinsend-selbstsicher ausstossend. Das bedeutet “Guten Morgen” auf Amharisch, wenn man mehrere Leute anspricht.

Ein nicht mehr verwoehnter DR ist Schlimmeres gewohnt. Dass faellt einem gar nicht mehr auf. Wenn einem so `was was ausmacht, muss man halt zu Hause bleiben. Zwingt einen ja keiner zu reisen, sag ich immer.

Mein Hotelzimmer. Die Tuere quietscht und ist schief montiert und schwingt ergo von selbst auf. Eigentlich nicht “ergo”, denn sie koennte ja auch andersherum, also zufallend montiert sein.

Du trittst ein. PVC-Boden, irgendwas Graues, Geometrisches, stellenweise klebt es, Spucke oder Cola oder Sperma, werweisswas. Zum Wischen nimmt man hier nur kaltes Wasser. Links Gestellsessel, intakt immerhin, rechts Stuhl mit abnehmbarem Sitzpolster, dunkle Flecken (s.o.), an der Stirnseite ein 120 cm breites Bett. Waende mittelblau, voller Fluessigkeitsrinnsale, vor allem in der Bettecke, braeunlich, glasig, ein paar eingetrocknete Popel auch. Was die dicker auftragenden Schmierspuren sind, will ich gar nicht wissen.

Fenstergriff: abgebrochen. Aber benutzbar. Braungemusterte, dicke Gardinen, ca. ein Drittel der Rollen abgerissen. Bett ganz gut, quietscht kaum, nicht so sehr wie das im Nebenraum, wo die Konstruktion naechtens verrät, wie lange ein aethiopischer Geschlechtsverkehr im Schnitt dauert. 3-4 Minuten, trotz Alkoholkonsum der meist jungen Kundschaft.

Eine Gluehbirne am eigenen Kabel haengend in der Mitte der Zimmerdecke, gelegentlich aussetzend. Ueber der Laengsseite des Bettes ein Loch in der Wand, daraus blanke Kabel drohend, die man im Dunkeln nur zusammenfuehren muss und schon hat man Licht. Immer noch besser als Lichtschalter auf dem Flur, da musst du, wenn dir beim Lesen im Bett die Augen zufallen, noch mal aufstehen, auf den Gang raus und hinter deiner Zimmertuere das Licht ausschalten. Alles schon erlebt.

Unterm Bett ein krassgruener Plastiktopf. Ja, sie lesen richtig! Ein Nachttopf- das gibt`s nur hier, hab` ich nirgends sonst in Afrika gesehen. Wenn du in den hineinstrullst, spritzt das lustig umher und den Rest der Nacht bist du zudem vom eigenen Urinschwefel umgeben. Aber so erspart sich der Hotelgast den so anstrengenden Gang zum 5 Meter entfernten Klo.

Ach ja. Erwaehnenwert: das Duschklo. Duschtasse (grauer Rand aus Waschflotte und Haaren) neben dem Klo. 6-7 Wasserstrahle, kaltes Wasser, nichts fuer Warmduscher, haha. Mir macht das nichts aus, bin ich gewohnt.

Addis liegt im Hochland, rd. 1800 m, gutes Klima, aber nachts kalt und das Wasser eben auch. Das haertet ab, man fuehlt sich mal richtig, sag ich immer.

Ich bin auch nie richtig krank. Mal verletzt gewesen, o.k., mal ein, zwei Tage Fieber und Montezumas Rache, zwei dutzend Male vielleicht in der Zeit, aber sonst bin ich fit, abgehaertet, aeusserlich und innerlich.

Das Waschbecken ist so gross wie eine mittlere Suppenterrine. Wenn man den Hahn oeffnen will, muss man ihn festhalten, sonst dreht er sich mit. Der Wasserstrahl so nahe am Beckenrand, dass man das Wasser kaum mit der hohlen Hand auffangen kann. Beim Runterbeugen schaust du gezwungenermassen in den emaillierten, urinrestegefuellten Nachttopf deines Zimmernachbarn. Ueberhaupt immer ein vertrauter Geruch, denn das Abziehen scheint den meisten Aethiopiern fremd oder egal. Beim Pinkeln stehen die Herren in der (meist offenen) Klotuere und zielen Richtung Kloschuessel. Die Naesse um`s Klo herum ist so erklaerlich. Die Putzfrau schuettet einmal taeglich einen Eimer Wasser ueber die ganze Ecke, das laeuft in die Duschtasse. Brille und Deckel des Klos stehen anscheinend seit Jahren nutzlos in der Ecke, farbbespritzt.

Unten ist ja die Bar. Die hat bis 1.30 oder 2 Uhr geoeffnet, Musik, volle Kanne. Das hallt locker durch die kahlen, engen Gaenge bis in die 2.Etage. Ich schlafe stets mit Papiertaschentuchkuegelchen in den Ohren oder bis Barschluss gar nicht. Maenner kommen nachts aus der Bar zum Telefonieren mit ihren Handys nach oben und bruellen vor meiner Tuere herum. Ich hab die Tage einen die Treppe herunter befoerdert, weil der nicht einsehen wollte, das neben seinem Anliegen, hier oben um Mitternacht schreiend zu telefonieren, noch das eines Hotelgastes existiert und “Schlafen” heisst. Und der stammelte dann: ”Excuse me, sorry, its my fault”, waehrend er die Treppe runterstolperte und da war ich beschwichtigt. Man lernt sich als ER beherrscht zu wehren.

Das Tuerenschlagen und –quietschen und die Protestschreie der Huren tun ein Uebriges, die Nacht nicht langweilig werden zu lassen.

Mein oberschenkeldickes Kopfkissen decke ich mit einem Oberhemd ab, aermellos. In meinem Schlafsack haust ein Floh, mit dem ich ein stillschweigendes Uebereinkommen habe: er sticht mich nachts nicht, laesst mich schlafen. (Vielleicht auch nur, weil man nachts ueber die Haut entgiftet und der das riecht und nicht mag?) Gleich nach dem Aufwachen aber verhilft mir das aethiopische Pfefferkorn mit zwei, drei Stichen zu einem frischen Start in den Tag.

Der chinesische Wecker fuer weniger als 2 Euro tickt leise. Ich schlafe eigentlich doch gut.

Nachts traeume ich nicht. Jedenfalls erinnere ich mich nicht daran. Ich mahle aber mit den Zaehnen und meine Zaehne haben davon Spruenge bekommen.

Wenn ich morgens in meine Hose steige, sage ich frohgelaunt zu den Floehen, die darin warten: “Fruehstueck kommt!”

Manchmal brennen mir die Augen, wenn ich still werde. Der ganze Rauch hier und der Staub bestimmt.

Wenn ich morgens aus dem Hotel in den gleissenden Sonnenschein trete, strecken sich mir die Haende der Bettler entgegen. Stehend wie Saeulen- die Blinden; sitzend, angelehnt an die Waende- die Alten; tatschend, zerrend- die Kinder; jammernd- die Muetter vom Land in ihren traditionellen Decken und Frisuren, sedierte Kinder mit Hungergesichtern im Arm; von unten- die Poliokriecher auf Autoschlauchgummi rutschend. Der mit der Elefantiasis steckt sich gebrauchte Papiertaschentuchkuegelchen in die suppenden Wunden seines Baumbeines.

Mir macht das nichts. Ich bin das gewohnt. Ich bin DR/ER.

geschrieben am 24.10. in Addis Abeba


 


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