9/8/2005 Tanzania / Mbeya
Dr. Livingstone, I presume.
Was uns Nomaden lehren koennen
(Harald) Rund 250 km Luftlinie von hier liegt die Suedspitze des Lake Tanganyika, wie auch der Staat Tanzania frueher hiess. An den Gestaden des Sees fielen bei der Begegnung von Stanley und Livingstone die unsterblichen Worte: "Dr. Livingdtone, I presume." Wie auch in Kenia, gibt es in Tanzania sehr abgelegene Gebiete: die Suedkueste, Zentraltanzania und auch der Westen am grossen See. Mbeya ist letzter Aussenposten vor dem Nirgendwo der gigantischen, menschenarmen Gebiete in Zentraltanzania, in denen die Massai und andere Nomadenstaemme leben- ein Gebiet so gross wie die ganze Bundesrepublik. Wer den groessten Artenreichtum des Kontinents konservieren will, der sollte tunlichst hier anfangen. Erstens, weil hier nur wenige andere wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen und zweitens, weil hier so wenige Menschen leben. In diesem Landstrich, acht Mal groesser als die Staaten Burundi und Ruanda zusammen, koennte verwirklicht werden, was viele Experten immer wieder versuchen und anstreben: ein eintraegliches und einvertraegliches Nebeneinander von Tier und Mensch. Neben Madagaskar ist hier und in Kenia die groesste Biodiversitaet (Artenvielfalt) der Welt zu finden. Wenn es etwas auf der Welt zu naturschuetzen gilt, dann dieses Land. Der positive Nebeneffekt waere, dass auch die Nomadenkultur erhalten bliebe, ein Leben, das auf der Viehweidewirtschaft basiert, dem saisonalen Umherziehen von Mensch und Zuchttier und dessen uralte Wurzeln uns soviel ueber uns selbst, ueber die Urspruenge aller Zivilisation lehren koennen- wenn wir es bis dahin nicht vernichtet haben. Kultur ist tot, endgueltig, wenn sie nicht gelebt wird. Es ist, als betrachte man ein Tier im Zoo: es ist abgeschnitten von seinem natuerlichen Habitat und wenig anderes als ein Anschauungsobjekt. Wie es jagt, wirbt und konkurriert, laesst sich nicht im Kaefig erfahren. Tiere sind wie ausgestorben, wenn sie nur noch im Zoo und Film leben. Und Kultur laesst sich dokumentieren in Film, Foto, Statistik, Erzaehlungen, in Sprachaufnahmen und Artefakten- aber damit ist sie nicht mehr erlebbar. Sie wird theoretisches Betrachtungsfeld von Experten und keinerlei Einfluss mehr auf andere Kulturen haben koennen. Wenn Afrikas letzte Savannennomaden ihre roten Decken ausziehen, ist die Welt um etwas Kostbares aermer. Und die Staaten Kenia und Tanzania werden nichts unternehmen, diese Entwicklung aufzuhalten. Ganz im Gegenteil: die Staedter-Politiker blicken mit Unverstaednis, ja Abneigung auf die Nomaden und werden alles versuchen, diese Kulturen auszumerzen. Nomaden sind seit Jahrtausenden die Feinde der Bauern und Staedter. Es liegt an uns, die Nomaden zu schuetzen. Unser Geld, unser Einfluss kann helfen, die Lebensweise der Barabaig, Turkana, Samburu, Rendille, Somali, Massai, Borana, Gabbra uva. zu erhalten. An ihnen koennen wir zu grossen Teilen erfahren, wie z.B. die nordamerikanischen Indianer gelebt haben, denn die Kulturen weisen erstaunliche Parallelen auf. Denkt man sich die Pferde mal weg oder ersetzt sie durch Kamele (wie bei den Tuareg und anderen Beduinen, sowie den Rendille und Somali), dann erfaehrt man bei den afrikanischen Nomaden im direkten Erleben mehr ueber Indianer, als durch irgendein Buch. Nichts ersetzt die persoenliche Erfahrung. Ich ueberlege ernsthaft, europaeische Menschen nach Nordkenia zu fuehren, um in ihnen Verstaendnis und Liebe fuer diese Kultur zu wecken. Dagmar, ihr Bruder und ich fahren mit Guides zum Ngozi-Krater, einer eingefallenen Kaldera eines Vulkans, der seine Existenz dem Riftvalley-Riss verdankte. Das direkte Kratergebiet ist naturgeschuetzt. Durch verschiedene Vegetationsguertel steigen wir stundenlang aufwaerts. Vier Meter lange Bananenblaetter, gross wie Kanus, die groessten Blaetter der Welt wachsen hier. Ihre wabenartigen Kammern sind mit Wasser gefuellt. Die Guides schneiden auf meinen Wunsch hin eines ab und ich giesse mir das fast klare Wasser in den Mund, dass wie Tonicwater schmeckt. Unter moosbewachsenen, gefaellten Baumstaemmen gehts hindurch, an blossliegenden Wurzeln hangeln wir uns hangaufwaerts. Von den Aesten haengen blassgruene Fransenflechten, ueberall kraechzt und fiept es, entferntes Pavianbruellen, Blauaffen lassen die Aeste wippen, grosse Schmetterlinge tanzen, Hornvoegel gleiten schwer zwischen den grossen Baeumen hin und her und vor unseren Fuessen fingergrosse Tausendfuessler. Der Vulkan ist vor tausenden von Jahren erloschen, wie der Mount Kenya, der Meru und der Kilimandscharo. Die eingestuerzte Magmakammer hat Raum fuer einen See geschaffen, an dessen Ufern sich die Tierwelt labt. Wir verweilen oben am Kraterrand eine halbe Stunde, dann draengen die Guides zum Aufbruch. In der Stadt zurueck gehen wir ins Netcafe. Auch hier die ueblichen Stromausfaelle und ueberlasteten Netze. geschrieben am 16.11.
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