9/12/2005 Tanzania / Dar es Salaam
Affenbaiser
"Standing on Zanzibar" oder: Die Gute, Alte Zeit
(Harald) Mein Zweibettzimmer ist geraeumig, die Loecher im Moskitonetz habe ich zugeknotet und der Ventilator rauscht die ganze Nacht. Fuer umgerechnet ca. 6 EUR gibt es eine relativ saubere Dusche auf dem Gang. Das Wasser ist kuehl- aber wer will bei diesen Temperaturen schon warm duschen? Vom Flurfenster schaue ich auf Balkone und einen Innenhof, beides ab Sonnenaufgang geschaeftig genutzt. Ueber die Stadt hallen die Rufe der Muezzine, selten Kirchenglocken und staendig Autohupen. Ich streune durch die Strassen und Gassen der Altstadt, die waehrend der Kolonialzeit entstand. Die Buergersteige sind voller Verkaufsstaende. U.a. finde ich erstmals Affenbrotbaumfruechte, kokosnussgrosse, olivfarbene, harte Fruechte, deren trockenes, hart-baiserartiges Inneres an Anisgeschmack erinnert. Keine Koestlichkeit fuer meinen Geschmack, aber, wie der Name besagt: Affen (und auch Elefanten) schmeckt die Frucht. Der Bahnhof (einer von Zweien) am Hafen atmet noch die Gute, Alte Zeit. Auf den Abstellgleisen stehen alte Dampfloks und ausrangierte Waggons, ein Hauch von "Out of Africa" weht ueber die Bahnsteige. "Gut" war die Alte Zeit vor allem fuer die reichen Europaeer. Fuer die einheimischen Staemme war sie der Anfang vom Ende ihrer "Guten, Alten Zeit". Die Deutschen versklavten sie- bis 1907 gab es in den deutschen Kolonien Afrikas (heute: Togo, Kamerun, Namibia, Tanzania, Burundi, Ruanda) offiziell Sklaven, waehrend das Sklaventum in England bereits 1837, also 70 Jahre frueher, abgeschafft worden war. Ich gehe zum Hafen, schaue ueber das tuerkis-blaue Meer auf Faehrschiffe, die nach Zanzibar uebersetzen, auf Frachtschiffe, die mit Kraenen entladen werden. Daressalam ist, neben Mombasa, Maputo, Durban, East London und Port Elisabeth, der wichtigste Hafen der afrikanischen Ostkueste. Vom Kai unten versuchen die Werber meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: "Zanzibar? Sir! Where you heading to? Zanzibar?" Fuer jedes verkaufte Ticket erhalten sie eine Provision und manche erbieten sich den ahnungslosen Touristen auch als Helfer, fuer sie die Tickets zu kaufen, mit dem Hinweis, sie wuerden ihnen die Fahrkarten zum guenstigen "Resident"-Preis beschaffen. Tatsaechlich schlagen sie einfach eine Marge fuer sich drauf und der Betrogene zahlt letztlich mehr, als wenn er selbst an den Schalter getreten waere. Zanzibar. Zanzibar! In meinem inneren Ohr ein Traumwort. Es gab Zeiten, da war ich mir im Leben nicht mal sicher, ob es Zanzibar ueberhaupt gab. Eine Kuestenstadt? Eine Halbinsel? Ein Staat, oder nur eine Insel? Der Sci-Fi-Roman "Standing on Zanzibar" thematisiert das Problem der Ueberbevoelkerung fuer mich erstmals. Ich war ein Teenager und dachte, dass Afrika voellig ueberbevoelkert sei. Das war er damals nicht und das ist es heute auch nicht. Tatsaechlich werden in den naechsten Jahrzehnten zu den z.Zt. ca. 850 Mill. Menschen, die der Kontinent hat, noch einige hundert Millionen dazukommen- trotz Aids, Malaria, Hungersnoeten und Kriegen. Sie stutzen, wenn ich sage, dass Afrika nicht ueberbevoelkert sei? Zugegeben: ich provoziere da etwas, spreche da mehr von einem afrikanischen Standpunkt aus, aber es ist schon seltsam, wenn sich z.B. wir Deutsche anmassen von "Ueberbevoelkerung" zu sprechen, denn wir zaehlen zu den am dichtesten bevoelkerten Gegenden der Welt (der Gaza-Streifen in Palaestina fuehrt z.Zt. die Liste an). Wenn jemand aus dem Ruhrgebiet einem Tanzanier gegenueber von Ueberbevoelkerung spricht, ist das schon mehr als befremdlich und fuer diesen nicht glaubhaft. Bei entsprechener landwirtschaftlicher Entwicklung und Verbesserung der Infrastruktur, kann das Land ein Mehrfaches seiner bisherigen Bevoelkerung ernaehren. Zurueck zu Zanzibar, dass hier ein paar Faehrstunden vor der Kueste liegt, also eine Insel ist. Die Araber nutzten die Buchten der Insel fuer Landungen und bauten dort schon vor ueber 1000 Jahren Handelsposten auf und es entstand auf der Insel und dem von ihr beeinflussten Kuestenstreifen bis Nordkenia, eine eigene Kultur, die als "Swahili" bekannt ist. Aus dem Mix einer lokal eher unbedeutenden afrikanischen Sprache eines kleinen Stammes und dem Arabischen, entstand eine Handelssprache, die heute die Staatssprache Tanzanias ist und auch in Kenia und Uganda gesprochen wird. Die Insel ist bis heute der weltgroesste Lieferant fuer Gewuerznelken. Die Portugiesen kamen 1503, aber im 18.Jh. fiel die Insel wieder an die Oman-Araber, die um 1830 die Insel zu einem Sultanat machten. Ab 1890 regierten die Englaender die Insel (nachdem sie dort schon 1873 die Sklaverei abgeschafft hatten). Die Festlandbesitzungen fielen an Deutschland, dass seit 1886 seine Kolonie "Deutsch-Ostafrika" erklaert hatte. Im Gegenzug fuer eine friedliche Anerkennung der englischen Herrschaft ueber Zanzibar, erhielten die Deutschen 1890 Helgoland von den Englaendern. Das arab. Sultanat, sowie die Inder, behielten stets ihren fuehrenden Einfluss. 1963 wurde Zanzibar unabhaengig, aber die schwarzafrikanische Bevoelkerungsmehrheit vertrieb alsbald die arabische Herrscherklasse und den Sultan (zwischendruch wurde auf der Insel uebrigens der indischstaemmige Rockmusiker Freddy Mercury (Queen) geboren) und schloss die Insel mit dem Festlandstaat Tanganjika zum neuen Staat Tanzania zusammen. Die Araber hatten sich schon frueh gegen die deutschen Kolonialherren aufgelehnt, ebenso die Massai und 1896 folgten dann die Wahehe von Iringa, bis es dann 1905 zum Maji-Maji-Aufstand kam, dem schlimmsten Kolonialkrieg der deutschen Geschichte. Kamen in Namibia noch 2180 Weisse (davon 1500 Soldaten) bei den Kaempfen gegen die Nama, Hottentotten und Hereros ums Leben, so waren es beim Maji-Maji-Aufstand nur 15. Trotzdem starben durch die deutsche Vernichtungsstrategie "Felder und Doerfer abbrennen, Vieh toeten, Vorraete rauben, Steuern/Strafzahlungen erheben" mindestens 100.000, wahrscheinlich aber 180.000 Afrikaner oder mehr vor allem den Hungertod (andere Schaetzungen sprechen von ueber 250.000 Toten). In der deutschen Siedlerpresse las man erste Genozid-Phantasien. In der "Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung" stand am 2.12.1905: "Nicht mehr auf die Erreichung des Friedens sollte es jetzt in erster Linie ankommen, sondern auf die Bestrafung der Rebellen...Also: Bedingungslos zu Kreuze kriechen oder Krieg bis zur Vernichtung!" Waehrend die anderen deutschen Kolonien in Afrika im Laufe des 1.Weltkrieges schon bis 1915 den Kampf aufgaben, kaempften rd. 12.000 afrikanische Askaris (die die Hauptlast des Krieges trugen und den groessten Blutzoll zahlten), und die deutsche Soldaten unter dem Oberstleutnant Paul von Lettow-Vorbeck, bis zum Kriegsende einen Guerillakrieg in Ostafrika. Zanzibar war eigentlich einer meiner Reisetraumziele. Aber die Vorstellung dieses Kokospalmen-weisser-Sand-Swahili-Kultur-Sonnenschein-tuerkisfarbenes-Meer-Traumes war immer eine zu Zweit gewesen und so verzichte ich, hebe mir das auf fuer Werweisswann. Unter den Strassenhaendlern finde ich einen jungen Massai-Doktor, der an seinem winzigen Tischchen Medizin anbietet. Ich gruesse ihn auf Ma-a und setze mich zu ihm. Was ist dies und wozu wird es verwendet? Chininpulver gegen Malaria, der Klassiker, Rindenextrakte gegen Gonorrhoe (Tripper), Diabetis. Und dieser Sud hier? "Macht deinen Penis in 10 Tagen groesser!" Auch ein Klassiker. Wenigstens prangt hier keine Aidsschleife zu Werbezwecken. Der Fischmarkt. 2 Std. halte ich mich dort auf. Es ist laut, es stinkt, die Garkuechen dampfen, bunt ist es und ich setze mich zwischen die hungrigen Fischer und Haendler. Ein indisches Biri-Yani (Gemuesereis) und Joghurt zum "Abloeschen". Ein Gewuerz-Tschai hinterher und die Welt ist wieder im Lot. Auf den weissen Fliesenbaenken liegen Snapper, Gruper, Barracudas, Marlins (Segelfische), Kraken mit 8 Armen und Tintenfische mit 10 Armen, Thun- und Papageienfische mit scharfen Schnaebeln. Farbenpraechtige Lobster neben blauen Krabben, deren gewaltige Scheren zusammengeschnuert sind, weil sie dir mit einem Zwack einen Fimger abtrennen wuerden. Am Abend in indischen Strassencafe. Die Kunden sitzen in ihren uebermannshohen, chromblitzenden Gelaendewagen und hupen. Dann treten die Kellner ans Wagenfenster und servieren. Man steigt nicht aus- die Stadt ist halt schnelllebiger und in den Autos gibt es Musik und Klimanlage. In den indischen Geschaeften haengt das Bild des Praesidenten Ngudu (was soviel wie "Seine Excellenz" bedeutet) Benjamin William Mkapa. Es stehen Wahlen bevor. Wegen der Unabhaengigkeitsbestrebungen der fundamentalistischen Araber auf Zanzibar stets eine unruhige Zeit. Aber die selbstbewussten Tanzanier lassen sich die muehsam erworbene Einigkeit und Demokratie nicht mehr nehmen. geschrieben am 28.11.
|