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Reisetagebuch

9/13/2005   Tanzania / Dar es Salaam

Ramdevpil, der Gott der schoenen Dinge

Das Fest des Gottes

(Harald) Ich habe mein Dosza dann am Ende, Dank der Inhaberin, doch bekommen und es hat fuenf-Sterne-maessig geschmeckt. Schade nur, dass ich als einziger Gast auch alleine lachen musste.

Den Tag ueber bin ich mit meiner Kamera durch die Stadt gestreift. Vorbei an vielen, schoenen, z.T. liebevoll restaurierten Kolonialbauten. Nahe des Ufers steht das schneeweisse Krankenhaus. Hier hat ein Strassenhaendler einen kleinen Verkaufstisch mit Kostbarkeiten aufgebaut: Gehaeuse von Meeresschnecken und Muscheln, von Seeigeln und Korallen. Einiges davon darf nicht in die EU importiert werden, da diese Tierarten unter Naturschutz stehen. Und das bizarrste, skurilste Stueck ist zu zerbrechlich, um es zu transportieren: eine seltene Meeresschnecke, die lange, fragile, geschweifte Stacheln ausgeblidet hat. Ein kleines Naturwunder.

Kaurimuscheln liegen aus, in allen Groessen und Farben. Kauris galten in Afrika lange als Zahlmittel, waren also geldwert. Statt Portemonnais trug man Kaurimuscheln an langen Ketten um den Hals und bei groesseren Kaeufen wurde schon mal sackweise bezahlt.

Der Verkaeufer erinnert sich noch an meinen Besuch an seinem Stand vor zwei Jahren- allzuviele Radfahrer sind nicht vorbeigekommen. Ich suche mir eine Tuete Wundertierschalen aus und sende sie im Paket in die Heimat.

Ein letzter Besuch im indischen Tempel. Der Bau hat zwar Mauern, aber seine Innenraeume sind meist ein- oder zweiseitig offen und es weht Wind durch diese Schattenplaetze. Kuehle Marmorboeden, kleine, sprudelnde Wasserquellen, bunte Fahnen die im Durchzug wehen, der Geruch von Weihrauch und Myrrhe, Zimt und fruchtigen Aromen, nahe der Altaere auch nach Basmatireis und Oliven- halt all der sorgfaeltig auf Chromplatten oder in Schuesseln dargebrachten Opfergaben. Lemongras liegt da aus, Palmwedel, Kokosnuss, Gebaeck, Oele und Brot. Am Ende der Gottesdienste wird das, was die Goetter nicht aufgegessen haben, an Beduerftige durch den "Tempelwart" verteilt.

Die Schuhe zieht man vor dem Allerheiligsten aus, allerdings ohne das hier das Fuessewaschen rituell vorgeschrieben waere. Man geht wohl davon aus, dass jeder Glaeubige hier sauber erscheint und uebt darueber keine Kontrolle aus. Die Gottesdienste finden gemeinschaftlich statt, aber Maenner sitzen auf der einen Seite und Frauen und Kinder auf der anderen. Alle Priester und Funktionstraeger sind Maenner. Die Frauen tragen ausnahmslos grellbunte Saris, also grosse Tuecher, Tunikas vergleichbar, die feinsten sind aus Seide. Sehr sexy: sie zeigen viel Haut; ihren nackten Bauch und die Taille, tiefe Ausschnitte an Busen und Ruecken, unbedeckte Arme und Fuesse in hochhackigen, goldenen und silbernen Sandalen, die langen Haare sind sichtbar, wenn auch leicht mit einem Tuchzipfel bedeckt und oft zu Pferdeschwaenzen geformt. Sie rasieren sich die Achseln und fast alle Koerperhaare und sind geschminkt, manche fuer meinen Geschmack zu heftig- das gilt auch fuer minderjaerige Maedchen und bei Zeremonien sind auch die Funktionen ausuebenden Jungs geschminkt. Verheiratete Frauen sind mit einem kleinen roten Punkt zwischen den Augenbrauen gekennzeichnet- so kann keiner sagen, er habe es nicht gewusst. Die indischen Maenner brauchen keinerlei Kenntlichmachung ihrer Ehetreuepflicht. Bei uns ziehen die Ehemaenner vor dem Solariumbesuch ihre Eheringe aus.

Die Maedchen und Frauen tragen grosse Ohrringe, Halsketten, Ringe, Armbaender, Diademe- man zeigt ungehemmt seinen Wohlstand an seiner Frau. Und vor der Tuere anhand seines Gelaendewagens oder Daimlers, auch mal mit Bildschirmen in den Rueckseiten der Kopfstuetzen. Diese ungezuegelte Lust am Herzeigen seines Reichtums ist, neben anderen Faktoren, der Grund fuer Neid und in Grenzsituationen fuer Gewalt der Schwarzen gegen die indischstaemmige Gemeinde.

Es wuerde einem Afrika-Inder niemals einfallen eine Schwarze zu heiraten und der umgekehrte Fall ist noch unvorstellbarer. Die indische Gemeinde lehnt sich in allem stark an das Ursprungsland an und dort gibt es bis heute das Kastenwesen, also eine Art sanktionierter Apartheid, ein System der Klassentrennung, dem man schon bei der Geburt unterworfen ist. Ein Paria, ein Unberuehrbarer, also ein Angehoeriger der niedrigsten Kaste (Klasse) oder Kastenloser, kann z.B. keine Angehoerige einer hoeheren Klasse heiraten. Die Brahmanen, Angehoerige der Priesterkaste, sind ein elitaeres Grueppchen am oberen Ende der Skala.

Aber die alten Ordnungen loesen sich auch auf der indischen Halbinsel auf, verwaessern im Strudel des Einflusses der amerikanischen und europaeischen Lebensweise. Inder in Afrika begegnen dir immer auf Augenhoehe.

Heute wird das Fest des Ramdevpil gefeiert. Die Inder feiern das Jahr 2061, denn ihr Kalender zaehlt anders als der europaeische. Vor 600 Jahren hat der Gott Randevpil eine Schlacht gegen das Boese gewonnen. Ramdevpil erkennt der Hinduneuling an seinem Bart oder, wenn er in Tiergestalt auftritt, an der Loewenmaehne. Alle Gottheiten koennen sich in mehreren Gestalten zeigen. Schiif (auch "Schiwa") erscheint auch als Kuh, Hanuman hat die Affen als Tierform gewaehlt, Ganesch tritt als Elefant in Erscheinung, Tschamodai als Zwilling, Amba als Tiger und Wischwakarma ist der Schlangengott.

Mit Schellen, Trommeln und gemeinschaftlichem Gesang wird gefeiert, die Goetter lieben naemlich Farbenpracht, Gesang und Musik, gute Speisen, Froehlichkeit und schoene Frauen. Symmetrie gilt als Ausdruck von Harmonie und die ist gottgefaellig. Reis wird hier z.B. in wunderschoenen Rosetten und Swastikas ausgelegt, Akzente aus Safran, dem teuersten Gewuerz der Welt, in rot oder gelb, auf tiefgruenen Salatblaettern glaenzen grellgelbe Mangochutneys. Vieles wird mit Farbstoffen aufgemotzt. Gebetet wird auch in Mantras, religioesen Sinnspruechen, deren Hersagung Wirkung verspricht, z.B. bei Bitten an einen Gott. Damit der entsprechende Gott auf den Bittenden aufmerksam wird, schlaegt dieser eine Bronzeglocke an, betet mit einem Raeucherstaebchen zwischen den Haenden, mit respektvoll geneigtem Haupt. Die Goetter sind sehr menschlich, wie es auch die altgriechischen, roemischen und altaegyptischen waren. Sie sind maechtig, aber spezialisiert, jeder hat seinen Bereich, indem er versiert oder gar fast allmaechtig ist. Beherrscht wird der Reigen von den wenigen, maechtigsten Goettern, wie z.B. Schiwa und Wischnu, die auch mal energisch dazwischenfahren, wenn es Aerger unter den rangniedrigeren Goettern gibt oder wieder mal ein maennlicher Gott sozial nach unten heiraten will, sprich, eine huebsche Menschenfrau verfuehrt. Mit Teufel, Schaitan, Luzifer, Schwarzen und Gefallenen Engeln oder sonstigen Verkoerperungen des "Boesen" haben die Inder nichts am Hut. Ihr "Boeses" ist nicht ausgegliedert aus ihren Goettern oder sich selbst, indem es, da koerperlich, bekaempfbar, vernichtbar waere. Einem Inder wird niemals einleuchten, dass ein allmaechtiger Gott nicht bereit ist, das Boese zu vernichten, wenn er es koennte, sondern das er sich das ganze elende, vergebliche Schauspiel, das ihm Dank seiner Allwissenheit ja vorhersehbar und bekannt ist, bis zum Ende anschaut wie einen Kinofilm, dessen Ende er bereits kennt, weil er ihn erschaffen und ersonnen hat. Die Hindugoetter kaempfen und sie scheitern, aber sie geben niemals auf. Sie irren und verlieben sich ungluecklich, sie sind wissend, aber nicht allwissend, maechtig, aber nicht allmaechtig.

In der Mitte des Raumes brennt ein zeremonielles Feuer und dort werden auch Opfergaben verbrannt. Feuer hat im Hinduismus eine zentrale Bedeutung, z.B. soll jeder Hindu nach seinem Tod verbrannt werden und seine Asche soll in einem heiligen Fluss, moeglichst im heiligsten von allen, dem Ganges, verschuettet werden. Bis Anfang des letzten Jahrhunderts war es ueblich, dass alle Frauen eines Hindus nach dessen Tod mit seiner Leiche zusammen lebendig verbrannt wurden. Dieser widerlichen Sitte hatte die englische Kolonialmacht ein Ende gemacht.

Der leitende Priester stellt mich ueber Mikrofon vor, ich grinse etwas verlegen und verbeuge mich, um meinen Respekt zu zeigen und sage ins Mikro "Danke" und ein Applaus brandet auf, fuer den ich mich wiederum nickend bedanke. Alles wird mir erklaert und man besteht darauf, dass ich Teil der kleinen Gruppe bin, die eine Statue zur Spitze einer Vitrine hianufreicht, wobei alle an dem Akt dadaurch Anteil haben, dass wir uns gegenseitig anfassen, z.B. die Hand auf die Schultern legen. Natuerlich weiss hier jeder, dass ich kein Hindu bin und trotzdem maochte man mir einen Anteil an der Ehre und dem Segen geben.

Die Opferauslagen der warmen Speisen sind umgeben von Passionsfruechten, Papayaschnitzern, Orangen, Aepfeln und Muskatnuessen. Ich darf mich kurz zu den Frauen setzen, darunter zwei, drei echte Schoenheiten. Mich umgibt ein Nebel aus Parfuem, meine Sinne schwelgen. So macht Gottesdienst Spass. Mich ueberzeugt, dass dieser Glaube trotz Computerzeitalter lebendig ist. Die Alten sind hier in der Unterzahl, die Familien gehen gemeinsam in den Tempel, Vaeter heben ihre Buben hoch, damit sie die Glocke schlagen koennen. Kinder sind Teil fast jeder Zeremonie, aktiv beteiligt. Handys klingeln, selbst der Brahmane telefoniert waehrend der Zeremonie.

Spaeter gibt es Essen fuer alle, kostenlos und- was fuer Chaos! Die ganze Gelassenheit, Froehlichkeit ist dahin. Alle diese Wohlgenaehrten schaemen sich nicht, sich wie Knder undiszipliniert vorzudraengen, zu schubsen, als gaebe es Ueberlebensrationen. Geschrei, ja Gebruell, die Frauen draengen sich in die Maennerreihe, weil es dort schneller voran geht und schieben mit geballten Faeusten ihre Vorgaengerin, bis einige junge Maenner gewaltsam einschreiten.

Die einzigen Schwarzen sind die Tellerwaescher. Sie stehen in einem Haufen von Chromschalen und -tellern, die einfach auf den Boden geworfen wurden, eine unglaubliche Schweinerei. Diese Maenner tragen voellig zerfetzte Kleidung, faustgrosse Loecher in T-Shirts. Ich gebe ihnen Geld- wahrscheinlich bin ich der Einzige, der das fuer angebracht haelt. Die offensichtliche Armut dieser Tellerwaescher ist unter der ganzen, zur Schau getragenen Pracht eine Beleidigung fuers Auge und eine zur Verfuegung gestellte Kleidung oder wenigstens Schuerze taete ein Gutes.

Ich gehe. In der Halle stehen in Vitrinen die Goetterstatuen. Wischnu, hier blauhaeutig, wird von seiner Frau bezaertelt. Offensichtlich liebt sie ihn ueber alles. Der heitere, pummelige Gott spielt Querfloete, steht da mit gekreuzten Beinen und entspanntem Laecheln, mit Blumen gekraenzt, seine Fuesse sind violett bemalt, die Lippen knallrot und seine kindlichen Haende innen mit Henna gefaerbt.

Am Abend bin ich erneut im Tempel eingeladen. Es wird mit langen Taenzen gefeiert. 40 Minuten tanzen Maenner und Frauen z.B. bei einem Musikstueck zusammen, in einem raumgrossen, gegenlaeufigen Kreis tanzen sie in fester Schrittfolge aneinander vorbei und schlagen im Takt knallend schlauchdicke Holzstoecke aneinander, ueber 100 auf einmal, manche derart heftig, dass ueberall Bruchreste herumliegen. Auch haut mal einer dem anderen auf die Hand, die getrommelte Musik ist energiegeladen, aufpeitschend, es wird geschwitzt und sich verausgabt, gelacht. Dann ist ein Tanz nur fuer die Frauen dran, eine Szitar spielt dazu, die Maenner tragen ihre langen, brokatartigen, knielangen Jacken, bestickt oder schlicht, farbig oder weiss, auch ich werde mit rotem Farbpulver gesegnet und man fordert mich auf zu fotografieren. Hier wird modern gelebt und troztdem die Tradition gepflegt.

Im Cafe erstehe ich von einem Fliegenden Haendler ein Ebenholzmesser, schoen und schlicht gearbeitet, trinke frischen Passionssaft und lasse einen ereignisreichen Tag ausklingen.

geschrieben am 8.12.


 


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