9/18/2005 Tanzania / Arusha
Der Gipfel der Freiheit
Sexuell healing
(Harald) Auch heute kein Blick auf den erloschenen Vulkan. Die spektakulaersten Fotos, die man ueblicherweise vom Kili sieht, auf denen sich Elefanten vor dem schneebedeckten Gipfel zeigen, sind ohnehin von der kenianischen Seite aus aufgenommen, im Amboseli-Nationalpark. Tanzania protestiert momentan gegen die Werbemaschine der Keyaner, die in Uebersee den Eindruck erweckt, der Kili sei ein kenyanischer Berg, was dazu fuehrt, dass viele Touristen statt in Dar in Nairobi landen, um dort zu erfahren, dass sie ein Visum brauchen, um in Tanzania, auf vorgegebenen Routen, den Berg besteigen zu koennen. Die Besteigung des Kilis ist ohne bergsteigerische Erfahrung moeglich, obwohl der hoechste seiner drei Gipfel, der Uhuru-peak ("Freiheitsgipfel) 5900 m hoch ist. Das Besondere ist, dass der Berg aus einer Landhoehe von etwa 1300 m aufragt, also sich mehr als viereinhalb Kilometer erhebt. Wer in nur zwei Tagen bis zum Gipfel steigt, ist massiv der Gefahr der Hoehenkrankheit ausgesetzt. Der Kili ist nicht nur der einzige 6000er der Welt, der ohne bergsteigerische Kenntnisse bestiegen werden kann, sondern auch der meistbestiegene ueberhaupt. Das ist ein Kirmesrummel sondergleichen, dem die tansanische Regierung nur durch hohe Preise entgegenwirkt. Trotzdem mindestens etwa 400 USD, ueblicherweise aber 600-1200 USD von den Bergtouristen fuer die etwa 5-taegige Tour gezahlt werden, ist der Berg ueberlaufen und eine wahre Geldmaschine fuer den Staat. In jedem Fall ist eine Kili-Besteigung, wenn sie bei klarer Sicht erfolgt, unvergesslich. Die Baumgrenze liegt auf ueber 3000 m, der Anstieg erfolgt ueber flache, gute Wege. Die Hauptroute nennen die Guides wg. ihrer Einfachheit auch "Coca-Cola-Route". Trotzdem gibt es jedes Jahr Tote, wobei die Hoehenkrankheit, die z.B. Lungenembolien ausloest, Hauptursache ist. Wieter oben winken 5 Meter hohe Riesenbromelien und auf dem Gipfel, bei 20 Grad minus, ein Blick zum Mount Meru und eine Sichtweite von ueber 100 km ueber die Massaisteppe. Ich gehe zu einer Sport- und Festwiese, wo heute der erste einer ganzen Reihe von Gottesdienstveranstaltungen stattfindet. Einer der vielen amerikanischen Profi-Prediger ist aus den USA eingeflogen und beglueckt seine afrikanischen Schaefchen mit Heilsversprechen. Leider erscheint der Protestanten-Superstar erst am Wochenende und ich muss mich mit der zweiten Garde zufrieden geben. Die besteht aus zwei Herren zw. 40 und 50, die mit viel Gebruell, Gestoehne und jeder Menge "Halleluja", einer auf Kisuaheli, einer auf Englisch, der Menge einheizen. Ein kleiner Gospelchor, ein paar Musiker- die Orgel immer dabei- untermalt auf Handwink die Buehnendarbietung. Die Climax ist erreicht, wenn gemeinsam um Vergebung gebetet wird. "Gott vegibt dir jede Suende. Du musst nur hierher kommen, mit uns beten und um Vergebung bitten und dir wird alles vergeben werden, egal ob du gestohlen, geraubt oder gemordet hast. Gott vergibt dir hier alles." Wie praktisch! Ich bringe jemanden um und dann komme ich hierher und bete einmal, zahle meinen Obulus an diese Vergebungstransmitter und alles ist wieder in Butter mit dem Lieben Gott. Die US-Version des Ablasshandels. Die alten Zeiten waren da nicht immer so gnaedig, die gingen gnadenloser zur Sache. Da mussten Rinder dutzendweise an die Familie des Ermordeten gezahlt werden, in Nordkenia 100 fuer einen Mann, 50 fuer eine Frau z.B. Ansonsten gab es Blutrache, Auge um Auge, Sippenhaftung. Wer sich nicht auffinden liess, dem schlachtete man zur Rache die Familie ab. Einzeltaeter gab es so gut wie nie, denn wer ohne Absegnung des eigenen Clans handelte, war verloren. Was die Glaeubigen am Wochenende erwartet, zeigen die Plakate, die ueberall in der Stadt haengen: "Healing!" (Heilung)- das Zauberwort. Wenn sich alle so richtig in Bet-Trance versetzt haben, ruft der amerikanische Glaubens-Scotty-beam-me-up den Heiligen Geist an. So eine Show muss man gesehen haben. Mehr als 500 Kranke, Suendige, Besessene kommen da schon mal gleichzeitig auf die Freilichtbuehne und der Adventist oder Baptist da oben versetzt sie dann in einen willenlosen Zustand, Massenhypnose. Die meisten sinken zu Boden, waelzen sich zu Hunderten uebereinander, zucken, verdrehen die Augen. Dann werden sie hintereinander oder in kleinen Gruppen "geheilt". Der Magier mit der Exclusiv-Line zur Dreieinigkeit fragt nach dem Leiden, streicht ueber lahme Glieder, beruehrt blinde Augen, unfruchtbare Schoesse und lustlose Penisse und das Wunder geschieht- Hallaluja- die Blinden gehen und die Lahmen sehen! Nach der militaerischen, dann kulturellen, dann oekonomischen Kolonialisierung erfolgt jetzt Das Letzte Gefecht, der Glaubenskrieg um "verlorene Seelen" und wiedermal liegen die Amerikaner da ganz vorne. Sie haben einfach das noetige Mass Sendungsbewusstsein und Geschaeftssinn fuer den Job. Die ganz Grossen im Healing-Geschaeft predigen z.B. in Nigeria, sie fliegen mit Privatjets und einer Entourage von bis zu 100 Mann ein, fahren in weissen Stretch-Limosinen und haben auch schon mal Prediger-Groupies an sich kleben. Da werden Millionen von USD an bereits Verarmten verdient. Was das zeigt? Auf jeden Fall, dass Afrika einen tiefverwurzelten Bedarf an Spiritualitaet hat. Wer Afrika erreichen und verstehen will, kann das nicht nur logisch angehen. Waehrend sich fast ueberall in Europa die Kirchen seit Jahrzehnten leeren, verzeichnet Afrika die hoechsten protestantischen, katholischen und Privatreligions-Neuzugaenge. Ueber zehntausend Sekten und Kleinkirchen mit abertausenden von "Bischoefen" tummeln sich bereits in Afrika und graben den beiden Grosskirchen das Wasser ab. Es ist, auch mit den Muslimen, ein Kampf um die Seelen (und Portemonnais) entstanden. Am Abend setze ich mich in einen Bus und fahre rd. 80 km nach Arusha, der Stadt am Fusse des Mt.Meru, kehre in der Machelele Pension ein, in der ich vor ueber einem Jahr schon einmal Unterkunft gefunden hatte. Das Zimmer fuer 4000 Tanzanische Schillinge, also rd. 4 EUR. Dann Essen im "African Queen", der Inhaber erkennt mich und zwei ueppige Damen, leicht angeschickert, spendieren mir sogleich ein Bier und ruecken mir auf den Pelz. Das Bier? Sehr gut, danke, musuri sana, assante sana. Woher ich komme? Dschoermaen. Was ich mache? Safari, kuandika- ich reise und schreibe. Kisuaheli kidogo, ich spreche nur wenig Kisuaheli, sorry. Nein, ich moechte kein weiteres Bier. Nein, ich moechte nicht mit zum Hotel kommen. Ueberhaupt- mit beiden? Die Wohlbeleibten lachen schreiend, schenkelklopfend, Traenen vergiessend. Warum nicht? "Aeeh, weil meine Freundin im Hotel auf mich wartet." Alter Feigling. Wo mein Hotel ist? Ndijo, nein, dass sage ich nicht. Wo ich jetzt langgehe? Szidschuwe, ich weiss nicht. Schliesslich gaehne ich wie eine Hyaene und zwinkere und verabschiede mich, "ich muss morgen frueh aufstehen" murmelnd. Am naechsten Keepy-Lefty, einem Kreisverkehr (das heisst wirklich so!) rette ich mich in eine dunkle Gasse, denn die beiden Girls schaukeln lautstark hinter mir her. Ich renne fast, jetzt links, und da vorne dann...Nein, falsch. Besser zurueckgehen. Jetzt muesste ich sicher, oder doch noch weiter, ja, hier rechts. Noe. Ich hab mich verlaufen. Ich wuenschte es waere nicht Nacht und die Preussen kaemen. Die paar Gestalten um mich herum sehen aus wie afrikanische Hannibal Lectors. Licht! Ich eile, aber es ist ein Puff, Buntkurzberockte zeigen Fleischesfuelle und locken mit unmoralischen Angeboten. Ich frage nach dem Weg und das war mein grosser Fehler. geschrieben am 10.12.
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