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Reisetagebuch

9/19/2005   Kenya / Nairobi

Innerstaatlicher Wegezoll

Mit Automatikwaffen auf der Jagd nach Loewen und Schillingis

(Harald) Am Morgen Fruehstueck beim Inder. Das Cafe bietet die beste Internetverbindung der Stadt und die leckersten Backwaren. Bei Croissant und Milchkaffee fuelle ich mein handgeschriebenes Tagebuch, nach dem dann die Eintraege auf meiner Homepage entstehen. Wie es der Zufall will, taucht der Massai auf, den ich auf der Hinreise hier kennengelernt hatte. Der junge Mann traegt eine gruenkarierte Decke, weissen Perlenschmuck und Reifensandalen, in der Hand haelt er seinen schmalen Hirtenstock. In der Steppe tragen die Massai neben diesem duennen Allzweckstoeckchen noch einen langen, mindestens daumendicken Stock mit sich, sowie ihre Holzkeule und die Szimbe, das schmale Kurzschwert mit Kuhledergriff und manchmal noch einen Speer. Gingen sie auf Jagd, z.B. auf Loewen, waren es mindestens zwei Speere. Heute schiessen auch die Massai mit Automatikgewehren auf das gefaehrlichste Grosstier Afrikas.

Der Junge checkt seine EMails und erzaehlt mir bei einem Tschai, was passiert ist, seit ich hier war. Er kommt aus dem Engaruka-Tal, wo ich mit Oliver gewandert bin. Die grossartigste Wanderung meines Lebens, trotz Durst, Hunger, Erschoepfung. Begegnung mit den Massai der Serengeti, ohne touristischen Vorlauf, ohne Guide. Unvergesslich.

Ich reduziere mein Gepaeck. Was soll ich jetzt noch mit meinem Zelt? Ich reise jetzt schnell, von Stadt zu Stadt. Es geht ueber Nairobi nach Nanyuki und dann besuche ich den Samburu-Moran Leudschi in Lokologo nochmal. Sein Kind muesste im Maerz geboren worden sein. Dann nach Addis Abeba und Bahir Dahr, wo ich Molugetta und Andargatschu wiederzutreffen hoffe. Und dann heimwaerts. Ich werde also mein Zelt nicht mehr brauchen und da es eh zu kurz ist (ich schlafe stets diagonal) und nicht regendicht, kann ich es auch nicht, wie urspruenglich mit dem alten Zelt geplant, Leudschi schenken. Leudschi ist groesser als ich. Er wollte ein Zelt fuer seine Frau und das Kind haben, wenn sie draussen bei den Herden sind.

Da in diesem Cafe fast jeder Tourist verkehrt, treiben sich vor dessen Eingang zahlreiche Strassenhaendler herum. Hier gibt es die Sueddeutsche und die Neue Zuericher Zeitung, den Stern, Spiegel und manchmal auch Buecher in deutscher Sprache. Die Gaeste der teuersten Hotels kaufen die Magazine im Hotelshop und die Bediensteten sammeln die gelesenen Exemplare auf und verkaufen sie an die Strassenhaendler. Recycling afrikanische Art.

Als ich mit dem Zelt und meinen beiden Schaumstoffmatten vor die Tuere trete, wissen die Jungs sogleich was die Uhr geschlagen hat. Sofort stuerzen sich drei, vier auf mich, es hagelt Angebote und einer nennt mich "Mzsee" um mir zu schmeicheln, eine Ehrenbezeichnung fuer "alte" Maenner, wobei "alt" in Afrika jeder ueber 35, 40 ist. Selbst die Lebenserwartung Erwachsener (also derjenigen, die die hohe Kindersterblichkeit hinter sich gelassen haben), liegt in SSA in vielen Staaten durchschnittlich bei nur 50-55 Jahren.

Ich mache es kurz und fuer rd. 15 EUR geht die ganze Chause weg. Jetzt bleiben mir noch zwei Taschen. Ich werde mit weniger Gepaeck nach Deutschland zurueckkehren, als ich gestartet bin. Nach dem Radfahren lasse ich nun auch das Zelten hinter mir.

Auf der Bruecke, die die zwei Stadtteile Arushas miteinander verbindet, sitzen die Bettler. Eine Frau mit Leprastummelfingern, ein Mann ohne Beine- ein Unfall, eine Mutter mit ihrem Kleinkind. Sie hat Elephantiasis, ihr Fuss ist beulig geschwollen. Diese Krankheit wird durch die Infektion mit Nematoden, also Fadenwuermern verursacht, die mit den Trichinen verwandt sind. Die winzigen Wuermer verstopfen die Lymphwege und verursachen Entzuendungen. Infolgedessen schwillt das Unterhautgewebe an und es kommt an Beinen und an den Geschlechtsteilen zu monstroesen Wucherungen. In Afrika taetige Aerzte berichten von Faellen, in denen Maenner ihre Hoden nicht mehr tragen konnten. Diese Deformierungen sind irreparabel und es bleibt dann nur noch die Amputation.

Ich fahre mit einem Grossbus Richtung kenianische Grenze. Es geht um den Mt.Meru herum, durch eine Kahlgeschlagwueste, in der bis zum Horizont kein Baum mehr steht, eine gelbe Hartgrashuegellandschaft, durch die kleine Herden getrieben werden, die Staub aufwirbeln. Abholzung, dann Ueberweidung, dann Landabgaenge, weil der massive Regen das sandige Huegelland foermlich wegwaescht. Am Ende kann das Land weder Mensch noch Tier ernaehren und wird verlassen. Dann ziehen die Hirten in die Staedte, geben endgueltig ihre Lebensweise und damit die meisten Traditionen auf. Mit den Baeumen faellt eine ganze Lebensweise der Kurzsichtigkeit zum Opfer.

110 km bis Namanga. Der Grenzort in den steilen Bergen ist Ausgangspunkt fuer die Touren zum Amboselipark, einem der spektakulaersten in Afrika.

Ausreisestempel, Durchreisevisum fuer Kenya- Gueltigkeit: eine Woche. Ich bin umringt von zwei Dutzend Massaifrauen, die ihre Handarbeiten an den Mann bringen wollen. Bunte Glasperlen, vornehmlich mit vielen blauen dabei, denn das moegen die Touristen. Massai tragen fast nur weisse Perlen, jedenfalls z.Zt., die Moden wechseln da auch. Blau war allerdings nie in Mode. Eine Frau schenkt mir eine Halskette, weil ich nichts kaufen will, bzw. kann, denn ich habe keine tansanischen Schillingi mehr. Weil man mich als einzigen Weissen mal wieder gerne warten laesst, muss ich am Ende sogar meinem Bus hinterher rennen. Die Massaifrau rennt hinter mir her und will den geschenkten Schmuck wieder zurueck haben, denn die Aktion war lediglich ein Verkaufstrick, bei dem sie mich durch ein "Geschenk" in "Gegengeschenkzwang" bringen wollte.

280 km bis Nairobi, weiter durch Massaigebiete. Die Hirten mit ihren roetlichen Tuechern und Decken treiben ihr Vieh geschickt von der Strasse, sobald sie das Hupen des Busses hoeren. Auf den Strassen kommen die Hueter schneller vorwaerts, weil das Vieh nicht fressen kann und sich in Formation haelt. In Kenya sind auch ganze Landstriche in privater Hand, also eingezaeunt, so dass nur die Strassen zum Herdentrieb zur Verfuegung stehen.

Aber damit steigt die Gefahr von Unfaellen. Die grossen Busse und LKW nehmen groessere Risiken in Kauf und manche Kuh und mancher Esel bezahlen ihre Tranigkeit mit dem Leben. Da kein Hirte eine Klage bei Gericht einreicht, kommen die Totfahrer eigentlich immer ungeschoren davon, wenn sie zu schnell und ruecksichtslos in Herden hinein fahren. Dieser stetige Frust der Betroffenen entlaedt sich, wenn ein Autofahrer am Unfallort gestellt werden kann. Hunderte von Unfallverursachern haben solche Faelle mit dem Leben bezahlt, denn die Menge entwickelt sich oft zum Mob und lyncht den Taeter auf der Stelle. Er wird totgeschlagen oder lebendig verbrannt, mit einem Autoreifen um den Hals und benzinuebergossen, angezuendet. Auch deshalb begehen afrikanische Autofahrer fast immer Fahrerflucht, denn der Mob macht manchmal keinen Unterschied, ob der Autofahrer schuld war oder ob das Unfallopfer ueberhaupt verletzt worden ist. Es gab Faelle, in denen nach dem Lynchmord festgestellt wurde, dass das Unfallopfer bereits nach Hause gegangen war, oder am Totschlag beteiligt war.

Eine Polizeikontrolle. Vier Beamte, alle mit Maschinenpistolen bewaffnet, lungern foermlich um den Bus herum. Einer der jungen Busbegleiter ist fuer das Bestechen zustaendig und springt munter aus dem noch rollenden Bus, eilt freudestrahlend auf den Anfuehrer der pensionsberechtigten Wegelagerer zu, Haendeschuetteln, betont kameradschaftlich, dann verzieht sich die Gruppe hinter den Bus, die einzige Stelle, die von den Fahrgaesten nicht eingesehen werden kann, denn die Heckscheibe ist mit Stoff verkleidet. Der Begleiter kommt zurueck, naeselt vorne beim Fahrer herum, Gemurmel, vor dem Bus hat sich einer der Polizisten aufgebaut und schaut erwartungsfroh hinauf.

"Nicht genug?" frage ich den Fahrer. Der schnauft und sagt leise: "Das ist nicht Tanzania, das ist Kenya."

Der Bestecher drueckt hinter dem Bus nochmal einen kleinen Stapel Scheine in die richtige Hand und dann gehts weiter.

Kajiado, dann Athi River, der Abzweig nach Mombasa, dann vorbei an Nairobi Airport in die Hauptstadt. Mein Herz schlaegt schneller, denn diese Stadt war eine Schicksalstadt fuer mich. Mir sind die grossen Strassen noch gut erinnerlich, die Bruecken, Einkaufsmaerkte. Dann der Busbahnhof in der City. Die Orientierung ist kein Problem, zielstrebig steuere ich auf mein Hotel zu. Gegenueber das "Malindi Dishes", gut besucht wie immer. Der Rezeptionist erkennt mich sofort und gibt mir einen Sonderpreis. Im dritten Stock ist es am leisesten. Wie ein Himmelbett ist die Schlafstatt von einem raumhohen Moskitonetz umgeben; ein Ventilator und eine warme, saubere Dusche im Zimmer.

Im ersten Stock das Internetcafe. Grosses Hallo der Crew um Eric. Wir sind in Kontakt geblieben und ich habe mein Kommen angekuendigt. Es ist, als besuchte ich Freunde. Ich werde hier nur kurz bleiben, denn ich habe beschlossen auf dem Landweg nach Aethiopien zu reisen, anstatt zu fliegen.

geschrieben am 16.12.


 


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