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Reisetagebuch

9/20/2005   Kenya / Nairobi

You are Karen

Zuhause, in Nairobi

(Harald) Nairobi, 20.9.2005. Als ich in Deutschland auf die Landkarte von Afrika schaute, wieder und wieder, jahrelang, mit steigender Intensitaet, da erschien mir Nairobi wie eine sagenhafte Stadt, ein Reisetraum, ein Faszinosum wie auch Harare oder Maputo. Und jetzt ist es mir vertraut wie eine kleine Heimat, obwohl ich nur ein paar Wochen lang hier gelebt habe.

Aber ich habe hier eine intensive Zeit erlebt. Nairobi steht fuer Krisis, Katharsis. Nie im Leben habe ich mich derart einsam gefuehlt, wie hier vor einem Jahr. Wenn auch aus dieser Asche kein Phoenix aufstieg, aber ich habe es ueberwunden. Heute erscheint es mir fast raetselhaft, dass ich seinerzeit nicht ernsthaft an Aufgabe gedacht habe.

Wie stets in den groesseren Ortschaften nutze ich die technischen Moeglichkeiten und fuelle mein Tagebuch im Netcafe. Eric und ich setzen uns zusammen und er erzaehlt von seinen Plaenen mit dem Hotel. Er hat umgebaut und plant zu heiraten. Mich beeindruckt, dass er alle seine Angestellten jahrelang halten kann, denn in Kenya ist es nicht ueblich Arbeitsvertraege zu machen. Man schliesst per Handschlag eine Arbeitsvereinbarung, bestenfalls, und so ist es fuer den Chef stets einfach, Angestellte zu feuern.

Ich kaufe neue Filme, Batterien und sende ein Paket nach Deutschland. Das ist ein Risiko, denn auch von Kenya aus ist nicht alles zu Hause angekommen. Selbst bei der Hauptpost wird regelmaessig gestohlen, die Leute hinter den Schaltern brechen die Pakete auf und nehmen sich raus, was sie brauchen oder verkaufen koennen.

Diebstahl gibt es weltweit, in allen Kulturen, aber es gibt quantitative Unterschiede. Armut selbst ist ein Faktor, aber viel entscheidender fuer die Kriminalitaetsrate ist das Wohlstandsgefaelle innerhalb einer Gesellschaft. Verschwendung, Gleichgueltigkeit auf der einen und Beduerftigkeit und Neid auf der anderen Seite, erzeugen Rechtfertigungen fuer Kriminalitaet. Solange alle arm sind- bis auf den "Koenig", dem man als einzigem den Prunk verzeiht, weil man sich selbst ueber die Repraesentanz dieses Reichtums als Buerger aufgewertet fuehlt-, gibt es auch weniger Diebstahl.

Typisch fuer die indifferente Betrachtung der sozialen Verhaeltnisse, halte ich das oft zitierte Pro-Kopf-Einkommen per annum aller Buerger, wie es von der UNO benutzt wird. Kenya steht da, im Vergleich mit Aethiopien beispielsweise, viel besser da. Die hiesige Realitaet ist aber, dass es eine immer groessere Klasse von Staedtern gibt, die ueber Bildung und Beziehungen verfuegt und sich in Machtpositionen gepusht hat und auf ihrem Wohlstandshaufen immer mehr anhaeuft und so die Statistik anhebt. Unter dem letzten Reichsverweser der Republik Kenya, dem Ex-Praesidenten Daniel Arap Moi, einem der korruptesten afrikanischen Politiker, haben sich hohe Politiker und Funktionstraeger, wie z.B. Generaele aus Polizei und Militaer, Milliarden an Staatsgeldern und internationalen Hilfszahlungen geteilt. Diese Milliarden sind zwar z.T. auf schweizer Konten gelandet, aber der Reichtum dieser neuen Oberklasse hat auch Kenyas Durchschnittseinkommen angehoben, ohne das die Landbevoelkerung davon profitiert haette. Vor allem der trockene Nomadennorden des Landes, immerhin gut 50 % der Staatsflaeche, ist voellig vergessen und pfeift daher auf den Staat insgesamt, der ihnen nichts gibt, weder Strassen, noch Strom, noch Wasser, noch Transportmittel, weder Krankenhaeuser noch Schulen und schon gar keine Sicherheit und Gerechtigkeit. Wenn im Norden ein Viehueberfall stattfand, haben die Polizisten aus Nairobi, Nakuru oder Mombasa der oertlichen Buergerwehr ihre Waffen in die Hand gedrueckt: "Nun macht mal schoen selber." Ohne internationale Hilfe, ohne Kirchenfonds, ohne NGOs (Non Goverment Organisations), gaebe es wahrscheinlich sogar noch mehr bewaffnete Konflikte, sog. "Clashes", denn die Staemme des Nordens wollen keine Steuern abfuehren, wenn sie dafuer nichts bekommen, sie wollen sich nichts vorschreiben lassen, wenn man sich sonst nicht um sie schert. Fuer einen Nairobier ist ein Nomade arm, fuer einen Nomaden ist ein Nairobier arm. Das ist eine starke Vereinfachung, die aber nicht bedeutet, dass ein Nomade nicht etwas haben will, was einem Bauern oder Staedter gehoert.

Nomaden waren schon immer Diebe, sie stahlen Vieh, raubten Frauen, solange es Nomaden gab, seit tausenden von Jahren ist das so. In Nairobi erschlaegt dich die Menge, wenn du ein Handy stiehlst, bei den Samburu sagt ein Sprichwort: "Einen Dieb toetet man nicht." In Afrika war Raub schon immer das Recht des Staerkeren, also auch Mutprobe und Beweis von Schlauheit. Und Diebstahl ist Raub ohne Gewalteinsatz.

Bis moderne Ordnungssysteme und Altruismus diese "traditionellen" Systeme ersetzt haben, werden noch Jahrzehnte vergehen. Und die Anhaeufung von nicht gerecht verteiltem Reichtum, wird diesen Prozess zerstoeren. Raubtierkapitalismus ist Gift fuer das junge Afrika- einer der Gruende, warum Sozialismus in Afrika immer noch viele Anhaenger hat. Hilfszahlungen gehoeren nicht in die Haende der Politik in Afrika, sondern in die der NGOs. "Menschen fuer Menschen", "Aktion Medeor" und "Hokisa" sind gute Bsp. dafuer, wie sinnvoll mit Geld umgegangen wird.

Ich gehe ins Kino, esse bei "Chicken Inn", kaufe mir einen "Stern" und bummle durch die City, lasse Erinnerungen Revue passieren. Am Hilton-Hotel vorbei, wo aengstlich alles abgesperrt ist und jeder Wagen unterspiegelt wird, am Stanley Hotel vorbei (wenn eine Bombe gezuendet werden sollte, dann eher hier, weil alles eng und nah ist und das Strassencafe eine hohe Opferzahl garantiert), zwischen den Spiegelglastuermen und Palmen der Jomo-Kenyatta-Avenue hindurch, an der Hauptpost und am Bahnhof vorbei ("Your are Karen."), der Massaimarkt, die vielen Reisebueros und feinen Restaurants, Staatsbibliothek und die Strassenkuenstler, die religioesen Eiferer, die ihre Belehrungen den auf ihren Bus Wartenden entgegenbruellen. Und die hunderten von Bettlern, diesen Repraesentanten der sozialen Volksgesundheit.

Morgen geht es weiter Richtung Lokologo.

geschrieben am 17.12.


 


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