9/22/2005 Kenya / Isiolo
Weisst du wieviel Sternlein stehen?
In den heissen Norden
(Harald) Abschied vom Abbey-Hotel, von Eric, Margret und den anderen im Netcafe. Ich miete mir einen Sitzplatz in einem der Minibusse nach Nanyuki. In Kenya sind seit zwei Jahren die Passagierzahlen der Busse limitiert, jeder Fahrgast hat jetzt einen Sitzplatz, wenn er Glueck hat, sogar mit einem funktionierenden Beckengurt. Die beliebtesten Sitzplaetz sind die beiden neben dem Fahrer. Wer zuerst kommt, sichert sich einen und hat i.d.R. einen Gurt, beste Sicht und muss nicht mit eingeklemmten Knien sitzen. Good bye Nairobi. Ich denke an die Strassenkinder, die ich gestern fotografiert habe. Als Lohn fuer diesen Dienst verlangten sie etwas zu essen. Anstatt am Busbahnhof darauf zu warten, dass ich mit den versprochenen Lebensmitteln zurueckkomme, waren mir die Maedchen und Jungs zum indischen Haendler gefolgt. Dort warnte man mich vor den Kndern, sie wuerden mich bestehlen und evtl. berauben. Wahrscheinlich wuerden sie es, wenn es ihnen gefahrenarm erschiene, dies zu tun. Trotzdem haben sie Hunger. Ich kaufte Milch fuer die verwahrlosten 14-15-jaehrigen Muetter, fuer die Jungs mit den Wolfsblicken. Ich hoerte ihre Schmeichelein und Luegen, ihre falschen Beteuerungen, sie naehmen keine Drogen. Dabei stand ihnen allen der Gebrauch von Klebstoff in den geroeteten, glasigen Augen geschrieben. Wenn ich einen der Kerle erwischen wuerde, der den Kindern den Klebstoff verkauft, ich weiss nicht was ich taete. An diesen Opfern sein Geld mit Drogen zu verdienen, ist eines der widerlichsten Dinge, die ich mir vorstellen kann. Als ich am Lagerplatz zurueck war, neben der stinkenden Kloake eines kleinen Flusses, der voller Abfaelle war, wollte ich die Lebensmittel verteilen. Aber kaum hatt ich die beiden prall vollen Plastiktueten geoeffnet, stuerzten sich die etwa 10 Kinder und Jugendlichen darauf, rissen mir alles aus den Haenden, kaempften schreiend darum, ich prallte zurueck, ueberrascht und hilflos, ueberliess die Tueten den Krallen und innerhalb Sekunden war alles zerrisssen, Reste von Brot, Keksen u.a. lagen im Staub,die Milchpakungen waren zerquetscht und halb verschuettet. Ich stand da, traurig, ohnmaechtig, und hoerte mir die resignierten Vorwuerfe der jungen Muetter an: "We told you. Now we have nothing"- wir haben es ihnen doch gesagt. Jetzt haben wir nichts fuer unsere Babys." Die staerkeren Jungs, die den ganzen Tag mit den Maedchen zusammen sind, sich ihre Freunde nennen und u.U, auch die Vaeter der Babys sind, hatten die Milch einfach genommen und in einiger Entfernung ausgetrunken. Ich hatte keine neue Milch gekauft, aber im Vorbeigehen erzaehlte ich den Indern im Laden von meiner Erfahrung, als Warnung an Nachahmer, denn ich bin nicht der einzige Tourist, der auf solche Ideen kommt. Die vierspurigen Ausfallstrassen, dicht befahren. Bald erreichen wir Thika, dann geht es Rtg. Nordwesten weiter, durch Kikuyu-Land und nach einer Std. taucht ein Wolkenklumpen zur Rechten auf, hinter dem sich der Mt.Kenya verbirgt, der einstmals vielleicht der hoechste Berg der Welt war, bevor die Magmakammer des Vulkans zusammenstuerzte. Geologen schaetzen die ehemalige Hoehe des Berges auf 9-10 km. Karatina, der Abzweig nach Nyeri, Naro Moru. Wer mit einem Fahrrad reist, preagt sich alles intensiver ein, den der naechste Ort bedeutet Obdach, Verpflegung, Orientierung. Es wird dunkel, als der Bus bei Nanyuki den Aequator ueberschreitet. Ich ueberlege kurz, ob ich hier alte Freunde besuchen soll. Die schweizer Familie ist laengst wieder zurueck in Europa, aber ? und ihr Sohn, Makena aus dem Internetcafe und Merayon wuerden sich sicher freuen. Nur- mein Visum laeuft ab und ich moechte wenigstens noch einen Tag in Loklogo verbringen. Ich gehe in mein Lieblingslokal, Inhaber und Kellner begruessen mich neugierig: "Sie haben es tatsaechlich bis Kapstadt geschafft? Alles auf dem Rad?" Das Rindercurry ist so lecker, wie ich es in Erinnerung habe. 90 km bis Isiolo. Als es nach links und damit bergab geht- wir lassen den Mt. Kenya nach einer Halbumrundung hinter uns- wird es deutlich waermer. Die Passagiere ziehen ihre Jacken aus. Dann taucht die weisse Moschee Isiolos auf. Ich moechte in meiner alten Lodge unterkommen, aber die hat geschlossen und der Nachtwaechter, der davor sitzt, verspricht sich nichts davon, mir hier Unterkunft zu gewaehren. Vielmehr ist es fuer ihn sinnvoller, mich zu einem Hotel zu fuehren, wo er eine Kommission bekommt. Ich gehe aber erstmal nebenan ein Tschapati essen und trinke einen Tschai. Ein voellig mit Meraa Zugekauter und wahrscheinlich auch noch Alkoholisierter torkelt an mir vorbei, dann besinnt er sich und kehrt zurueck, setzt sich ungefragt neben mich und lallt auf mich ein, um in Erfahrung zu bringen, wie er an mir Geld verdienen kann. Ich solle ihm auch einen Tee bestellen, was ich nicht tue. Als er mir folgen will, sage ich ihm, er solle mich in Ruhe lassen, was er nicht macht, sondern mir folgt, weiterredend, um einen Kontakt herzustellen. Er wittert seine Chance, weil ich noch kein Hotelzimmer habe. Der Nachtweachter moechte aber das Geschaeft selbst machen und "fuehrt" mich. Aber der Zugekaute klebt an mir, versucht auf Borana oder einer anderen lokalen Sprache den alten Nachtweachter dazu zu bringen, ihm ebenfalls einen Anteil an einer Kommission abzuquatschen. Am Tor der Mocharo-Lodge reicht es mir, denn was immer ich sage, der Kerl ist nicht abzuschuetteln und ich werde laut und sage ihm, er solle endlich verschwinden, ich wuesste, dass er nur meinen Zimmerpreis verdoppeln will und habe nichts geleistet etc. Aber er versucht sich, wie ein Roboter, unerbittlich seine Chance auf einen neuerlichen Bund Meraa und ein paar Bier suchend, mit durchs Tor zu draengen. Ich stosse ihn zurueck, einmal, er kommt zurueck wie ein Zombie, ein zweites Mal, wieder. Ich gebe auf, denn ich muesste ihn schlagen, zu Fall bringen, um ihn los zu werden und soweit will ich nicht gehen. Ich bekomme fuer 3,50 EUR das schlechteste Zimmer, Room 7, direkt an der Treppe neben den geparkten 4x4, weil ich einen guenstigen Preis haben moechte und der Nachtwaechter trotzdem seine Kommission verlangt. Es gibt letztlich nichts, was ich dagegen tun kann, denn in Isiolo ist das- wie an vielen, vielen Orten in Kenya- ein eingespieltes Versorgungsritual. In der Nacht muss ich geweckt werden, denn der einzige Bus nach Marsabit in der Wueste faehrt irgendwann zw. drei und 6 Uhr ab. Und fuer diesen Dienst kann wieder Geld verlangt werden. Der Nachtwaechter soll das machen, kommt aber alsbald zurueck, holt mich aus dem Bett und meint, hier dieser zweite Kerl, der wuerde mich wecken und mich zum Bus bringen. Mir egal, irgendeiner wird auch den Buspreis sowieso nach oben treiben, was immer ich dagegen zu machen versuche. Die Dusche ist kalt, obwohl man mir warmes Wasser versprochen hat. Ich bestehe aber wenigstens auf warmem wasser aus einem Eimer zu Uebergiessen und falle dann erschoepft ins Bett. Weil ueber der Tuere nur ein loechriges Gitter statt einer Scheibe eingesetzt ist, kann ich vor lauter Laerm kaum schlafen. Und ausserdem liegt in Isiolo das Abenteuer in der Luft, denn die Stadt ist der letzte Aussenposten der Zivilisation. Hier beginnt Kenyas heisser Norden, die Wueste, Nomadenland. Lokologo, Leudschi, ich komme! geschrieben am 18.12.
|