Home Page english version deutsche Version

  Worum es geht...
  Highlights der Reise
  Ueber Harald Radtke
  Zeitungsartikel

  Tagebuch (952 Eintr.)
  Lesermeinungen
  Leseproben
  Reiseroute
  News Archiv

  Pamphlet zur Faulheit

  Laenderinformationen
  Literatur

  Kontaktformular
  Mediainfo/Fotos
  Impressum


Reisetagebuch

9/23/2005   Kenya / Lokologo

Touristenweihnachtsganssystem

Durch die Kaisiut-Wueste

(Harald) Als es klopft, ist es 3 Uhr nachts, ich habe kaum 3 Std. unruhig geschlafen. Aber Adrenalin macht mich munter. Als ich vor die Tuere trete, steht da neben dem vereinbarten Guide auch noch der Zugekaute und das bedeutet, dass ich zweimal Kommission bezahlen muesste. Ich versuche- natuerlich wiederum vergeblich- diesen Kerl loszuwerden.

Entgegen aller verbreiteter Hektik (die eh meist unbegruendet ist, aber eben doch nur "meist, das weiss man nie"), faehrt der Bus noch garnicht ab. Jetzt geht das Gefeilsche um den Fahrpreis los. Ich mache erneut klar, dass ich den Fahrpreis einschaetzen kann, aber man verlangt dreist mindestens das Dreifache und es ist klar, dass ich das wieder dem Meraa-Kauer zu verdanken habe und wieder werde ich handgreiflich, denn der Kerl quasselt den Conductor endlos zu, gierig auf seine Kommission. Der Conductor weiss natuerlich, dass dies der einzige Bus ist, also muss ich glaubhaft machen, dass ich bereit waere, in mein Zimmer zurueckzukehren und am Tag einen anderen Transport, z.B. mit einem LKW zu suchen. Wenn man verhandelt, darf man es nie lang machen, denn das bedeutet Schwaeche. Ich nenne also den Fahrpreis, den ich zu zahlen bereit bin. Der Conductor steckt sich ueblicherweise selbst erstmal einen Teil des ueberzogenen Fahrpreises ein, denn an den Besitzer des Busses muss er ja nur den ueblichen Fahrpreis abfuehren, aber oft muss er sich die selbsterlaubte Provision noch mit dem Fahrer teilen. Danach kommt der Guide dran und dann der zweite Guide.

Ich packe also meine Taschen und drehe mich um. Da taucht auch noch der Nachtwaechter auf, jetzt kleben vier an mir, die an mir verdienen wollen. Ich gehe Rtg. Hotel zurueck, mit grossen Schritten, aber diesmal funktioniert es nicht richtig, denn wann immer ich Isiolo verliesse, die Kerle wuerden IMMER abkassieren, dass wissen sie und lassen mich in der Beize liegen. Ich bleibe also beim ersten schwachen Zuruf in meinem Ruecken stehen, dankbar fuer einen Anlass erneut zu verhandeln. Schliesslich einigen wir uns auf einen Ticketpreis, der ungefaehr 2 EUR ueber dem Ueblichen liegt, das sind zwei kenyanische Tagesloehne.

Abfahrt in die Nacht. Im Kleinbus etwa 30 Leute, einige Samburus und Rendille in traditioneller Kleidung. Neben mir sitzt ein junger Polizist, der gut Englisch spricht. Ich frage ihn nach dem wahren Ticketpreis, aber er weicht aus. Das Touristenweihnachtsganssystem ist fast lueckenlos.

In Isiolo endet die Teerstr. und das Gerumpel geht los. Schaukelnd, steinespritzend ackert sich der Bus in die sternenklare Nacht. Laute, aber schoene traditionelle Musik, wahrscheinlich der Gabbra oder Borana, mit schweren, stampfenden Rythmen. Der Poliizist wundert sich, dass ich da richtig getippt habe. Wie viele Polizisten, die im Norden eingesetzt sind, ist auch er ein Stadt-Kikuyu aus dem Sueden. Neben Englisch und seiner Muttersprache Kikuyu soricht er die zweite Amtssprache Kisuaheli, aber nur wenige Brocken der lokalen Sprachen, wie z.B. Somali, Borana oder Ma-a, die Sprache der Massai und ihrer Verwandten, der Laikipias und Samburus.

Nach 15 km bemerkt jemand rechtzeitig, dass sich die Pakete auf dem Dach geloest haben. Maenner laufen zurueck, holen die geplatzten Packstuecke und verschnueren alles neu. Weiter.

Die langen, auf die Dauer eintoenigen Musikstuecke in Diskolautstaerke hindern die meisten Fahrgaeste nicht daran zu schlafen. Sie legen ihre Koepfe auf ihre beiden Handruecken, die sich am Metallgriff des Vordersitzes festhalten, oder sie ruhen ihre Wangen auf einem weichen Gepaeckstueck an der Scheibe oder ihre Koepfe sinken einfach immer wieder nach vorne. Die Kinder schlafen quer auf den Schoessen der Eltern oder von Mutter und Nachbarin- so wird fuer sie kein Fahrpreis faellig.

Km 20. Es zischt ploetzlich, vernehmlich trotz Laerms. Reifenpanne, Zwangs- und Pinkelpause. Die Frauen hocken sich ein paar Meter entfernt einfach hin, ihre Roecke und Tuecher als Sichtschutz verwendend. Die Maenner knien sich ueblicherweise zum Pinkeln hin, denn so spritzt es, wegen der geringeren Fallhoehe, nicht auf die Fuesse und ausserdem sieht niemand den Strahl hinter den Oberschenkeln. Was soll man sonst ohne Sichtschutz machen in der flachen Wueste? Nach weniger als 1 Std. gehts weiter.

"Archers Post?" Ja, dies ist das legendaere Oertchen, verloren, verstaubt und versandet, der letzte ganzjaehrig wasserfuehrende Fluss, der Ewaso Nyiro vor der Halbwueste. Er muendet in Somalia in den Indischen Ozean.

Bis hier kommen noch Touristen, denn hier liegen die kleinen Game Reserves "Shaba" und "Samburu".

Die naechste Panne, ein Stein steckt in der Innenfelge. Das dauert. Es ist windig, kuehl. Mit Wollmuetze und Windjacke stehe ich mitten in Abenteuerland und hole mir einen steifen Nacken beim Sternegucken. Sirius, der Hellste, das Kreuz des Suedens. Ca. 5000 Sterne kann man mit blossem Auge erkennen- wer kann sich da schon zurechtfinden? Ich habe schon Schwierigkeiten, mir nur die am leichtesten zu identifizierenden Sternzeichen zu merken.

5.30 Uhr, Morgengrauen. Fuenf Borana nutzen die Pause zum Morgengebet, einer traegt eine gelb-blaue Brieftraegerjacke der Deutschen Post. Die Borana, Gabbra und Somali sind fast alle Muslime. Sie breite kleine Gebetsteppiche auf der Erde aus, einer betet vor und dann verneigen sie sich in Richtung Mekka, ihrem heiligsten Ort, der Geburtsstadt ihres hoechsten Propheten Mohammed: "Allahu Akbar"- Allah ist gross. Wo immer muslimische Maenner zusammenkommen beten sie gemeinsam, auch wenn sie sich nie vorher gesehen haben. Es eint diese Menschen, es erinnert sie dieses Ritual auch gleichzeitig an ihre anderen drei Hauptpfichten, die sie erfuellen muessen, um sich ueberhaupt als Muslime bezeichnen zu duerfen: an das Fasten zu Ramadan, an die Pilgerfahrt nach Mekka und die Naechstenliebe, die sich in der Pflicht zum Geben an die Armen aeussert, an die tiefverwurzelte Gastfreundschaft der Beduinen, also Nomaden, die dem "Sohn des Weges", wie der Reisende genannt wird, Schutz, Wasser und Nahrung gewaehrt. Ich habe viele, viele Male davon profitiert. Mich erfuellt stets etwas Ehrfurcht, wenn ich die Maenner im Staub beten sehe.

Weiterfahrt.

Erneut loest sich Gepaeck. Halt, Neuverschnuerung.

Wie schoen dieses Land ist! Es packt mich jedesmal, wenn ich hierhin komme.

Der Abzweig nach Wamba und Maralal erinnert mich an meine Turkana-Tour. Die unvergesslichen Granitbrocken der Matthews Range zur Linken, rechts zwei, drei Berge im Buschland, ein paar Dik-Diks und Langhalsantilopen. Letztere fuellen die Luecke zwischen den feinen Antilopenarten, die sich auf die Hinterbeine aufrichten oder sogar auf niedrige Aeste klettern wie die Ziegen und den Giraffen, die die Baumkronen abweiden. Mit ihren langen Haelsen und ihren akrobatischen Faehigkeiten auf zwei Laeufen zu stehen, erreichen sie Blaetter in 2,5 m Hoehe.

Kaisut Wueste, 80 km Einsamkeit, Steine, Staub.

Laisamis, Samburuland. Dann Merille, beannt nach einem Clan. Ueberall rote Tuecher, Schmuck. ich gruesse mit "Szobba!" Im kleinen, groessten Hotel des Ortes, bestelle ich Reis und Fleisch, dann Tschapati mit Zucker und Tschai. Auch hier erinnert man sich gut an den Radfahrer, der hier alleine durchkam.

Gegen Mittag erreiche ich Lokologo.

geschrieben am 18.12.


 


  Team Login

© biketour4goodhope