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Reisetagebuch

9/23/2005   Kenya / Lokologo, in der Fora

Rangassin

2.Teil : Nomadenchips

(Harald) Das Auge sucht Vertrautes. Die breite Lehm-Kies-Sand-Piste mit Wellblechoberflaeche, beidseits von Fieberakazien bis zum Ortseingang gesaeumt, im Hintergrund das Marsabit-Massiv, zwei Windraeder, die Wasser aus der Tiefe pumpen, flache, rechteckige Steinhaeuser mit Wellblechdaechern, unter deren Schatten die Frauen bei Handarbeiten sitzen, oder Mais sortieren. Kleine Gruppen alter Maenner in rot-karierten Rocktuechern, mit loechrigen T-Shirts oder Hemden und abgewetzten Hueten aller Formen und dazwischen die Stars der Szene: die Morani. Es sind nur noch wenige, die die Fahne der Tradition hoch halten und sich schmuecken, bemalen und kleiden, wie es seit fuenfzig Jahren Usus ist. Immer mehr junge Maenner sehen ihre Zukunft in "der Moderne"- ein in meinen Augen fataler Fehlschluss. Und so kleiden sie sich wie ihre "Brueder" in den "Ghettos" der USA. Globalisierung.

Ueberall Ziegen, die alles fressen, was verdaubar erscheint, auch Papier, Pappe, sogar Plastik findet sich in Ziegenmaegen. Wenige Hunde, wie stets aengstlich. Dukas- kleine Laeden- in denen das wirklich Lebensnotwendige angeboten wird. Wir sprechen, bei dem was wir im Supermarkt kaufen, von Lebensmitteln, aber tatseachlich handelt es sich wohl eher um Genussmittel.

Jedes der wenigen Fz die hier taeglich vorbeifahren, ist immer Objekt der Neugierde: wer kommt, wer faehrt, Nachrichten von Isiolo, Laisamis, Briefe, Pakete, die den Fahrern mitgegeben wurden, es ist stets rege um die LKW, 4x4 und die zwei, drei Busse pro Woche. Welche Bruecke ist befahrbar, wo haben sich die Fahrer neue Fahrspuren gesucht, Unfaelle- alles ein Thema.

Im kleinen Hotel, wie Restaurants in Kenya heissen, ein Tschai und Tschapati, Gesicht und Haende waschen. Es spricht sich schnell rum, dass ich zurueck bin.

Nein, es ist nicht ein Jahr her, sondern schon zwei. Mein Fahrrad ist in Mosambik. Ich war in Kapstadt, ja, mit dem Rad. Ich bin ueberfallen worden, ausgeraubt. Ich fahre nach Aethiopien. Ich bin wg. Leudschi hier, wg. Dere, Isiolo und Kikuyu, wg. Mary und den anderen. Nein, ich bleibe nur einen Tag.

Ich kaufe in meiner Lieblingsduka ein, da wo ich korrekte Preise bekomme: Kiloweise, tuetenweise Maismehl, Zucker, Salz, Packmilch, Tabak, Kautaback, Tee, Gebaeck und Bonbons fuer die Kinder. Der Schmid, der meine Speere gearbeitet hat, kommt zu mir und sein alter Freund, den ich garnicht kenne, begruesst mich freudestrahlend- um auch etwas vom Kautabak abzubekommen.

Merayons Onkel Phillip Kutukai kommt mit seinem Hund grinsend zu mir. Waehrend er mit mir zur Manyatta hinter dem Ort geht, erzaehlt er mir Neuigkeiten von seiner Base und das die Soehne Max und Job in der Obhut Isiolos sind, dass Mary ein Kind hat und auch Chobosso und Leudschi einen Sohn haben.

Die ersten Passanten, Haendeschuetteln, Erstaunen, dass ich "nur so" nochmal vorbei komme und nach Leudschi frage. "Welcome" heisst es und ich glaube die Herzlichkeit.

Da ist die Manyatta! Da sind Isiolos Kinder, im Nu bin ich umringt. Isiolo ist ganz aus dem Haeuschen: "Ich habe immer gesagt, dass du zurueckkommst. Aber keiner hat es geglaubt."

Meine Minihuette ist laengst abgebaut worden und ihre Einzelteile stecken jetzt in anderen. Merayons Huette steht noch. Isiolo freut sich sichtlich, dann kommt Dere, dann all die anderen. Der alte Lerentilei ist nicht mehr da und Leudschi ist draussen an der Rindertraenke.

Ich ruhe mich nur kurz aus, Isiolo kocht Nomadentschai. Die Verteilung meiner Geschenke ueberlasse ich nach Absprache Phillip, denn ich kenne die Verhaeltnisse nicht gut genug, um durch diese Stromschnellen unbeschadet durchzufinden. Phillip will mich von seinem Sohn zur Fora fuehren lassen und bittet mich, ihm 200 Schillinge zu geben, etwa 2 EUR, um Sandalen fuer seinen Sohn zu kaufen. Sehr geschickt dieses Argument, denke ich, als der Sohn nicht erscheint. Damit hatte er ein Argument, um vorher Geld zu bekommen und wenn er das Geld hat, wozu sollte sein Sohn dann noch die Arbeit machen? Und das Geld wurde, wie ich spaeter erfuhr, wieder fuer Alkohol verwendet.

Leudschis Schwester Naszutu-i kommt, die, die mich um Geld betrogen hat, um sich zu betrinken. Aber vor mir steht eine veraenderte Frau, die einen offenen Blick hat, lacht und die Schultern gerade haelt. Spaeter erfahre ich, vom deshalb fast stolzen Leudschi, dass sie ihren Alkoholismus besiegt hat und sich wieder um ihre Kinder kuemmert. Die Frau war dadurch, dass ihr Mann sie verlassen hat, aus dem Tritt gekommen. Sie wird mich zur Fora fuehren, auch eine Wiedergutmachungsaktion. Das ihr das wichtig ist, finde ich gut.

Isiolo leiht mir einen kleinen Rucksack, indem ich etwas Wasser, den Kautaback fuer die Morani und den Tee fuer deren Frauen mitnehme, sowie etwas Gebaeck. Besorgt beklagt man, es gaebe kein Auto, um mich zu fahren. Ich hatte garnicht vor zu fahren, dass erschien mir abwegig. Ich koennte auch warten, man koenne Leudschi holen lassen. Aber ich will ihm da draussen begegnen.

Also mache ich mich unter Fuehrung Naszutu-is auf den langen Weg. Man hat mir gesagt, dass die Fora, also das Lager, jetzt noch weiter entfernt liegt, als vor zwei Jahren.

Es ist fast Mittag und die Sonne verschafft der Luft eine Temparatur von rd. 35 Grad, also recht mildes Wetter. Naszutu-i legt einen notwendigen Schritt vor, der einem Joggingtempo entspricht, ohne Uebertreibung.

Wir treffen eine Frau, die im spaerlichen Schatten einer Akazie ihre Ziegen huetet. Kurzer Small-Talk. Dann ein Moran. Er kennt mich. Neuigkeiten werden ausgetauscht, dass kann lebenswichtig sein.

Unterwegs Dik-Diks und Giraffenantilopen und, an mir noch vertraueter Stelle, das Straussentrio, ihre Sandbadstelle ist auf dem Weg deutlich zu erkennen.

Nach drei Std. sind wir in Guddas. Hier hat KARI ihren Sitz, das Kenyan Agrar Research Institute. Ein einziger Mann tut hier Dienst. Ein paar Morani ercheinen. Ich erfahre, dass Leudschi schon wieder weit draussen in der neuen Fora ist. Was jetzt? Da draussen im Busch ist nichts. Ich bin hundemuede, hungrig. Ich dusche erstmal, das Wasser ist kuehl und riecht nach Eisen. Nach einem Tschai im Schatten wandern Naszutu-i und ich nach 1 Std. weiter. Ich trinke nochmal so viel ich kann, bis es schmerzt.

Wir erreichen die Traenken, von ferne hoert man schon den Dieselmotor. Leudschi ist weg. Also weiter.

Himmel, es ist heiss. Meine Haut ist puterrot, obwohl sie an die Sonne gewoehnt ist. Ich verschleiere mich mit einem duennen Schal meiner Begleiterin. Die Beine werden schwer, dann beginnen die Schmerzen. Der Sand rutscht unter den glatten Sohlen weg. Wir werden langsamer. Durch einen duennen Akazienwald, dann ueber eine schier endlose Ebene, der Boden voellig zertrampelt vom Vieh, die ferne Huegelkette rueckt endlich naeher.

Hier war die alte Fora. Nur- wo ist die neue? Naszutu-i weiss es nicht, sie war nie dort. Wir folgen dem Huegelhang. "Dort Harry! Siehst du?" Nein, ich sehe garnichts. Ihre scharfen Augen unterscheiden sogar Wuchsunterschiede der Buesche. Als wir nach 20 Minuten dort sind, stehen da zwar Ziegenbomas, aber auch diese neue Fora ist verlassen.

Oben auf dem Huegelkamm ein Geraeusch. Wir steigen rd. 100 m bergauf. Meine Beine so schwer, die Zunge klebt am Gaumen. Ein Moran, ich kenne ihn. Er hat sein Feldlager hier oben, weil er vor allem Ziegen hat. Die Morani mit den Rindern sind hinter der Huegelkette in der Ebene, da hinten. Oh nein! Da draussen?

Er fuehrt uns, bis der Bergabweg deutlich, zumindest fuer Naszutu-i, erkennbar ist. Die Sonne steht niedrig und in der Ferne, gut 10 km tief in der Ebene sehe ich Staubwolken, das sind die heimkehrenden Herden.

Unten am Fuus der Huegelkette kommen uns die ersten Maedchen entgegen. Wir albern etwas herum, ich bin erleichtert. Ich kenne eine davon und sie eilen voraus, verbreiten die Nachricht. Leudschi? Ja, der hat die letzte Fora vor der horizontweiten Ebene, die sich dahinter 250 km bis nach nach Wajir zieht. Nach fast 6 Std. Marsch sind wir da, rd. 32 km liegen hinter uns. In der Fora begrusst mich eine wunderschoene Chobosso, ein Baby im Arm. "Ein Maedchen!" signalisiert mir die 18-jaehrige, die zur Frau erblueht ist und jetzt viel freundlicher mir gegenueber ist, als seinerzeit. Ich sinke ziemlich geschafft auf Ziegenfelle und ruhe mich aus. Chobosso versorgt mich mit Tschai, gegorener Milch und getrocknetem Ziegenfett, den Nomadenchips.

Dann kommt Leudschi, ich gehe ihm entgegen. Der distanzierte Junge nimmt mich in den Arm und lacht und ein paar Moran stehen um uns herum. Warum ich gekommen bin? Um Leudschi zu sehen. Das scheint ihnen fast unglaubwuerdig. Aber, da ich keine Fotos mache, glaubt man mir bald.

"Ich konnte meinen Sohn nicht Harry nennen. Ich habe dir versprochen, einen Jungen nach dir zu nennen und eine Tochter nach deiner Mutter Inge. Aber Chobossos und meine Familie waren dagegen. So heisst er Rangassin. Er ist am 25. Februar geboren worden."

Ich haette das nie angesprochen, aber es ist ihm wichtig, es zu erklaeren. "Ich habe immer gewusst, dass du zurueck kommst. Mein Bruder hat immer gesagt, ich sei dumm daran zu glauben. Und viele andere auch."

"Nein Leudschi." Wir sitzen Schulter an Schulter, sein Geruch nach Feuer, Schweiss und Tieren ist in meiner Nase. "Ich war nicht vornehmlich fuer die Fotos gekommen. Ich habe mich bei euch wirklich wohl gefuehlt. Ich war gerne hier, trotz der Hitze, dem Staub, trotz Hunger!" Leudschi grinst und "tischt" mir noch mehr kostbares Joghurt auf. Chobosso stillt das Bay.

"Deine Frau wird immer schoener, du musst gut auspassen." Leudschi uebersetzt und Chobosso quittiert das Kompliment mit lautem Lachen. Jetzt sind sie sie so geloest, wie ich sie immer erleben wollte. Ich habe meine quittengelbe Decke aus Praetoria im Rucksack und schenke sie statt des versprochenen Zeltes. Leudschi hat zweimal von mir ueber andere Radfahrer, Spanier und Franzosen, Nachrichten bekommen und weiss bereits von dem Ueberfall. "Als ich deinen ersten Brief durch die beiden Musungus auf den Bisziklettas (Zweiraedern) erhielt, wollte ich weinen."

Nach unseren ersten Gespraechen, die die Aelteren und Morani hoeflich abgewartet haben, erscheint der zweiaelteste Bruder Leudschis, Ltimbia-an. Er ist 25 und noch groesser als Leudschi, ein waschechter Rendille. Dann kommen immer mehr, sie begruessen mich mit Handschlag, die linke Hand an den rechten Unterarm gelegt, die afrikanische Version. Man setzt sich, schweigt kurz, dann spricht der Aelteste der Fora.

Das Vieh ist in den Bomas, es kommt zur Ruhe, die Ziegen- und Schafzicklein haben gesaugt und die Schlafordnung fuer die Nacht ist gefunden, der Staub hat sich gelegt. Alle Maenner haben ihre Frauen und Kinder begruesst, gegessen und jetzt ist Zeit fuer Besuche. Ein Ausruf ersetzt das Klingeln oder Anklopfen.

Ich ueberlasse Leudschi das Verteilen des Kautabaks und Kausalzes.

Der Aelsteste haelt eine Begruessungsansprache.

"Wenn Muzungus etwas versprechen, dann halten sie es auch," beginnt er. Oh je, wenn das doch wahr waere. Aber ich habe meine Nation wohl wuerdig repraesentiert. Der alte Mann spricht so umstaendlich und ausschweifend, wie es Sitte ist. Es sei eine besondere Ehre, mich als Gast hier draussen in der Fora zu begruessen. Ich sei zu Fuss gekommen, soweit hier raus. Ich koenne so lange bleiben, wie ich moechte und ueberall hingehen. Was bedeutet, dass ich Fotos machen koenne, in allen Bomas. Sehr nett. "Du hast Wort gehalten. Du bist wiedergekommen. Du magst die Rendille und Samburu, du bist jetzt ein Freund. Atscha Oleng- Danke."

Ich bedanke mich fuer die Willkommensheissung. Ich sei aber nicht wg. Fotos gekommen, sondern um hier zu sein. Schweigen. Strinrunzeln. Leudschi spricht auf Rendille und uebersetzt: "Jeder Musungu kommt wg. der Fotos. Ich habe ihnen gesagt, dass Naszutu-i erzaehlt hat, dass du in Lokologo kein Foto gemacht hast und hier auch nicht. Sie glauben das nicht."

Dann spricht Ltimbia-an, der Riese. "Die Musungus haben Flugzeuge, Autos. Damit kommen sie manchmal hierher. Du kommst zu Fuss zu uns. Das hat noch nie ein Musungu gemacht. Ich habe meinem Bruder nicht geglaubt, aber jetzt sitzt du hier. Ich bin froh. Du bist willkommen."

Mir fallen mittlerweile die Augen zu. Alle kauen meinen Tabak, dem sie mit spitzen Fingern eine winzige Prise des starken Salzes hinzufuegen. Dabei wird viel und kraeftig gespuckt.

"Du bist muede. Schlafe jetzt," sagt der Aelteste. Alle stehen auf. Der Moran Ntschodi strahlt mich nochmal an. Er ist mir einer der liebsten, mit seiner neugierigen, freundlichen und unaufgeregten Art. Auf dem Kopf traegt er eine einzelne Kunstblume.

Ich ziehe mir die Decke ueber die Ohren und schlafe sofort ein.

geschrieben am 18.12.


 


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