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Reisetagebuch

9/24/2005   Kenya / Lokologo

Veraenderte Zeiten

Von Nomaden, Loewen und anderem Bedrohtem

(Harald) In der Nacht habe ich wilde Traeume. Verrueckte Bilder stellen sich kurz vor dem Aufwachen ein. Die schnellen Ortswechsel, die grossen Kontraste, die starken Gefuehle fordern Verarbeitung. Als ich aufwache, brauche ich einige Sekunden, um zu wissen, wo ich bin und das die Realitaet fast so verrueckt ist, wie mein Traum.

Chobosso sitzt neben mir und kocht Tschai, ihr Baby liegt ruhig neben mir auf dem harten Kuhfell. Ich bin dreiseitig etwa huefthoch von Dornenzweighecken umgeben und wenige Meter jenseits meiner Fuesse, trampeln unruhig etwa 300 Ziegen und Schafe im Staub. Es hat in der Nacht nirgends einen Hyaenen- oder Schakalueberfall gegeben und so haben die meisten Morani etwas schlafen koennen. Nachts nicht auf dem Kiwief zu sein, kann fuer einen Hirten teuer werden und wer einmal nicht aufgepasst hat, dessen Herde wird gleich in der naechsten Nacht wieder angegriffen.

Zur Regenzeit kommen auch noch ein paar der wenigen noch lebenden Loewen aus dem Marsabit-Schutzpark herunter in die Ebenen, wenn sie den Antilopen- und Zebraherden folgen, die wiederum dem Graswuchs folgen. Der Regen fuellt dann die Wadis und Wasserloecher, die fuer die Loewen ueberlebenswichtig sind. Jeder Loewe braucht regelmaessig Wasser, vor allem, wenn er gefressen hat.

Ein Hirte, der zur Regenzeit ohne Schusswaffe hier draussen alleine campiert, riskiert sein Leben, wenn er schlaeft. Die Loewen kommen in der Dunkelheit, sie sind lautlos und schlau genug, sich gegen den Wind zu naehern, so dass die Rinder sie nicht wittern koennen. Wenn dann die Hunde nicht anschlagen, schlaegt der Loewe zu. Mit Spruengen von 2,5 Metern und hoeher ueberwinden die Katzen die Dornenhecken mit Leichtigkeit und das Vieh kann wg. der Hecken nicht fliehen. Dann wacht der Hirte auf und versucht mit seinem Speer im Dunkeln eine rasende Katze zu toeten, die sich, einmal gestoert oder angegriffen oder gar verwundet, sofort dem Angreifer zuwendet. Viele Morani haben ihre Unachtsamkeit mit dem Leben bezahlt, denn ein einziger Prankenschlag reisst tiefste, ja toedliche Wunden und einen Biss der fingerlangen Reisszaehne ueberleben die wenigsten.

Aber die Loewen sterben aus, fast unweigerlich. Gab es vor ca. 20 Jahren noch 230- 250.000 Loewen, sind es jetzt etwa 17.000 und die Zahl nimmt im Moment jedes Jahr um etwa 3000 ab. Wie die Geparden (2004 noch etwa 13.000) und die Wildhunde (2004 ca. 5000), hat der Mensch sie ihrer Lebensraeume und -grundlagen beraubt. (www.painteddogconservation.iinet.net.au) In wenigen Jahren wird es nur noch in einigen Schutzgebieten Grosskatzen geben. Die weltweiten Zoopopulationen kann man getrost vergessen, denn ohne genetischen Austausch, sind diese nicht ueberlebensfaehig. Dann werden fuer zehntausende Dollar Loewen um die Welt geflogen, um sich mit anderen Zooloewen zu paaren. Das gelingt oft nicht, da die Tiere Animositaeten kennen, wie wir. In Masvingo, Zimbabwe habe ich auf der Zuchtstation gehoert, dass drei Kater, die zugefuehrt wurden, binnen 10 Minuten als Erstes die ihnen zugedachten Katzen toeteten.

Und was fuer ein trauriges Objekt der Begaffung ist ein in einem Kaefig eingesperrter Loewe! Seiner Antriebe wie z.B. Nahrungssuche und Reviersicherung beraubt, liegt er da, laeuft auf und ab wie Rilkes Panther. Gerade die grossen, starken und intelligenten Tiere, wie z.B. Tiger, Gorillas und Schimpansen sind ihrer Wuerde beraubt, wenn sie eingespertt sind und beschaemen den Betrachter. Ich fiuehle mich, wenn ich einen Jaguar oder Leoparden in einem Kaefig anschaue, als schaute ich auf das Resultat einer Missetat.

Chobosso laechelt und fragt mich auf Rendille etwas und das bedeutet entweder die Frage ob ich gut geschlafen habe oder etwas essen will. Also nicke ich, "Yes". Wo Leudschi ist, brauche ich nicht zu fragen, denn er ist bei den Rindern, seinem ganzen Reichtum, in der Nachbarboma. Ich wickle mich in die sonnengelbe Decke, schluepfe in die Sandalen und blicke ueber die Hecken ringsum. Da stehen die rotkarierten, schmalen Silhouetten der Morani, die sich im kuehlen Morgenwind noch die Decken um den Kopf geschlungen haben. Auf gekreuzten Beinen, auf ihre Hirtenstaebe gestuetzt, beobachten sie ihr Vieh. Blitzschnell greifen sie sich die jungen Zicklein heraus, die zu klein sind, um den beschwerlichen Weg hinaus in die Ebene, zum Gras durchzustehen und werfen sie recht rauh durch ein kleines Loch in einen winzigen Dornenkaefig. Sie sehen mit untrueglichem Blick, welches Schaf heute werfen wird und sondern es aus. Mit Zurufen und einem Stabzeig dirigieren sie die unbeschnit- tenen Knaben, die ebenfalls mitten im Vieh stehen, damit sie eine Zecke von einem Augen oder Ohr abreissen, oder eine Wunde, die von Dornen gerissen wurde, zu ueberpruefen. Und ich kann mich des Vergleiches nicht erwehren: sie erfreuen sich an ihren Rindern, wie jemand sein neues Auto anschaut oder sein Haus. Das zahlreiche, gesunde und gut genaehrte Vieh ist Ausdruck ihrer Geschicklichkeit, ihrer Wachsamkeit und Resultat ihrer richtigen Entscheidungen: wohin soll das Vieh heute getrieben werden, wann muss es nach Guddas zur Traenke?

Aber die Zeiten des echten Nomadentums sind auch hier endgueltig vorueber, denn heute bewegt sich nur noch das Vieh, nicht mehr das Dorf. Als vor ca. dreissig Jahren von wohlmeinenden Weissen der erste Brunnen in Lokologo gebohrt wurde, mussten die Rendille-Samburu nicht mehr dem Regen folgen, um Trinkwasser zu haben. Nur noch Weidegruende waren zu finden. Also wurden neben den traditionellen Huetten Steinhaeuser gebaut, ein Hoteli, kleine Laeden entstanden. Vor allem eine Kirche. Das Christentum beraubte die Hirten ihres Glaubens an die Goettlichkeit der Natur. Alles Gute war fortan Ngais (Gottes) Werk, alles Schlechte entweder Schaitans- (Teufels)werk oder boeser Zauber, den verstimmte Ahnen verhaengt hatten. Entscheidend aber ist nur Ersteres, denn wenn die Natur selbst, der Baum, der Regen, der Berg, die Sonne nicht goettlich sind, dann fehlt der direkte Bezug, dann wird die Natur degradiert zur "Schoepfung" von etwas Maechtigerem, sie wird zum Zeug, zum Werkzeug und sie sinkt in der Achtung.

Heute sind die Ebenen um Lokologo sternfoermig auf die drei Brunnen zulaufend zertrampelt, alles ist kahlgefressen, samt Wurzeln ausge- rissen, alles Totholz geschlagen fuer Feuerholz, alle feineren Zweige fuer den Huettenbau. Der Boden auf den staendig benutzten Wegen ist pulverisiert, ein mehlartiger, altrosafarbener Staub, der klebt. Noch passen viele der Traditionen zu den veraenderten Lebensbedin- gungen, aber das Ende wird in einer Generation kommen. Es hat weiter im Nordwesten, bei den Turkana und Gabbra, schon Faelle gegeben, wo Aelteste verfuegt haben, die neuen Brunnen zu zerstoeren, damit die Morani gezwungen sind, wieder umherzuziehen und ihr echtes Nomadentum erneut aufzunehmen und die Ueberweidung und Zerstoerung der Waelder und Buesche aufhoert.

Das Fruehstueck besteht aus Joghurt und etwas Ugali (ungesalze- nem Maisbrei). Leudschi will fuer mich einen Stier schlachten, wie er es bei meiner Abreise versprochen hat und da er mir damals einen Stier geschenkt hat, muesste ich auch nicht dafuer bezahlen. "Nein, Leudschi, den Stier schlachten wir, wenn ich zum dritten Mal komme. Dann veranstalten wir ein Fest."

Das Vieh bricht auf. Unruhe verbreitet sich, Hunger treibt die Tiere an. Die Morani oeffnen die Hecken und mit Kraft stroemen die Herden hinaus. Die Knaben versetzen hier und da einen Hieb mit langen, duennen Zweigen, sie stossen den Tieren vertraute Rufe aus. Unter den Umhaengen tragen die aelteren unter ihnen Kalaschnikovs, Schnell- feuergewehre, manche auch das deutsche G3, die amerikanische M16 oder eine tschechische Bauart. Die Regierung verbietet den Besitz dieser Waffen, weil bei den Stammesfehden der Besitz solcher automatischen Waffen wie Benzin in Feuer wirkt und auch Fantasien von Widerstand gegen die unliebsame Regierung der Kikuyu, Kamba oder Kalendschin in Nairobi aufkommen.

Bis vor wenigen Jahren gab es hier keine solchen Waffen. Aber die Regierung hat die Hirten nicht beschuetzt, vor allem Moi, der letzte Praesident Kenyas, machte schmutzige Geschaefte. Eines nachts gestatteten er und seine vielen Helfershelfer dem Stamm der Pokot, die suedlich des Lake Turkana und in den Tscherangani-Bergen leben, die Samburus zu ueberfallen. Die Pokot haben gute Kontakte nach Uganda, zur revoltierenden Region Ituri im Norden des Staates und konnten gegen Kuehe dort moderne Waffen kaufen. Polizei, Militaer, alle waren in dieser konzertierten Aktion zur Bereicherung vereint und zehntausende von Stuecken Vieh wurden in einer Nacht geraubt, es gab eine Menge Tote und die Schlachthoefe in Nairobi waren uebervoll. Gegen die schwerbewaffneten Pokot hatten die Samburus mit ihren Speeren und 50-Jahre alten Enfield-Gewehren keine Chance. Seitdem kaufen auch die Samburu und Rendille verstaerkt die verbotenen Waffen und die Spirale dreht sich weiter, wie ich bald feststellen sollte.

Leudschi und ich machen Besuche und mittags suchen wir uns einen niedrigen, dichter belaubten Baum, dessen Schattenspendefaehigkeit mit in die Kone gelegten Buendeln von Gras verbessert wurde. Dort findet die Siesta statt. Die jungen Morani und ein paar Unbeschnittene legen sich auf Kuhhaeute, ihre Koepfe auf ihre winzigen, dreibeinigen Holz- baenkchen und schlafen. Ein Hund gesellt sich zu uns, dessen Fell voller blutsaugender Kamelfliegen sitzt. Anfangs zerquetsche ich noch die Fliegen, die man relativ leicht fangen kann, die man aber nur schwer toeten kann. Man schmettert sie auf den Boden- sie fliegen davon. Man tritt darauf- sie schweben davon, man vergraebt sie unter Sand und dreht den Fuss darauf- sie krabbeln heraus, schuetteln sich- und fliegen weg. Es ist unglaublich, was diese Viecher aushalten. Man denkt sich Mordmethoden aus: Koepfen, Vierteilen, Kochen, Erfrieren. Am Ende ist das Sicherste: ignorieren. Nachdem ich zwanzig von diesen Vampiren erledigt habe und sich immer wieder neue einfinden, gebe ich es auf und lasse der Natur ihren Lauf.

Spaeter toete ich eine Ziege, die mir zu Ehren geschlachtet werden soll. Mit der Szimbe durchschneide ich ihr die Kehle und binnen zwei Minuten sind ihre Augen glasig und sie hoert auf zu strampeln. Das Schlachten dauert eine Std. und dann kocht Naszutu-i zuerst die Innereien. Ich bekomme das Beste vorgesetzt: Herz, Lungen, Leber, Nieren. Gegessen wird mit kleinen Stoeckchen, die Leudschi mit seiner Szimbe aus dem naechsten Strauch geschnitzt hat. Den angebotenen Magen ver- schmaehe ich.

Leudschi fragt nach meiner Mutter, mit der er seinerzeit kurz am Satelitentelefon gesprochen hatte und sagt, das er gerne mal nach Deutschland kaeme und wir diskutieren den Einfluss des Tourismus auf sein Land- womit nur Kenyas Norden gemeint ist.

Die Nacht verbringe ich wieder auf den Kuhhaeuten neben Leudschi und Chobosso. Der sternenklare Himmel ueber mir, die Milchstrasse wie ein Leuchtband, der Mond so hell, dass man lesen koennte. Eingelullt von Glockentoenen der Leitziegenboecke, vom Grummeln der Wieder- kaeuermaegen und mahlenden Kiefer, vom feinen Rauschen des Windes in den Hecken und dem Heulen der Hunde, die hier draussen an ihre wahre Natur erinnert werden, schlafe ich ein.

Eine exotischere Nacht kann ich mir kaum vorstellen.

geschrieben am 26.12. in Caserta, Italien


 


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