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Reisetagebuch

9/25/2005   Kenya / Lokologo

Was der Wind dir fluestert

Gedanken

(Harald) "Glueck ist nichts was einem widerfaehrt, es ist etwas, an das man sich erinnert." Oscar Levant

Hier draussen, unter diesen Umstaenden, habe ich das Gefuehl, nichts waere geradezu logischer, als an Naturgeister zu glauben, an die Macht der Sonne und des Mondes, daran, dass Tiere Seelen haben und Geister in Baeumen wohnen, dass das Wasser ein Kosmos in ewiger Bewegung ist und beseelt, beheimatet von machtvollen Dschinns, dass die Sterne etwas bedeuten und der Wind dir immer etwas zu fluestern hat. In dieser Heimat ist es fast unerklaerlich, dass ein Mensch sehr alt wird und wenn doch, dann haben die Ahnen, die Goetter oder Allah etwas mit ihm vor, dann ist er gesegnet und weise und es wichtig, ihm zuzuhoeren, denn er hat lange gelebt, erlebt und weiss zu berichten und zu verstehen. Ein 80-jaehriger Somali oder Turkana ist extrem selten. Als auch die Lager, die Huetten noch saisonal weiterzogen, dem Regen und dem Wild folgend, da konnten die ganz Alten nicht mehr folgen, denn es gab keine Raeder und keine Karren und die Massai und ihre Verwandten kannten keine Reittiere. Nur die Somalis, Gabbra, Rendille und Borana brachten Kamele aus Somalia und Ost-Aethiopien mit, obwohl ich nie einen einzigen in Nordkenia habe je ein Kamel reiten gesehen. Ich habe Leudschi gefragt, warum niemand einen Esel oder ein Kamel reitet, ja selbst Kuehe, Zebras und Strausse waeren als Reittiere eingeschraenkt zum Reiten geeignet und ich habe mich gefragt, ob nicht auch grosse Antilopen, wie z.B. die Grossen Kudus, zum Reiten geeignet waeren. Leudschi meinte, manchmal wuerden die Rendille Kamele reiten, aber soweit ich das gesehen habe, laufen sie stets und legen selbst Entfernungen von 100 km zu Fuss zurueck.

Die Alten blieben bei den Nomaden zurueck, dass war auch in Nordamerika so. Das erscheint uns grausam, aber der Stamm konnte als Ganzes keine Ruecksicht auf Mitglieder nehmen, die nicht mehr mithalten konnten. Einzige Ausnahme bildeten die Zauberer, Schamanen. Heilkundige Frauen, meist aber Maenner, die den Regen herbeizauberten, Krankheiten heilten, Daemonen austrieben, deren Rat Gewicht hatte. Um in Trance zu gelangen, haben Zauberer in allen Teilen der Welt Drogen genommen. Auch die Aeltesten des Stammes assen oder tranken rituell Drogen, um die Zunge zu loesen und frei zu sprechen, um die Fantasie anzuregen, Inspirationen freizusetzen. So war auch das Trinken des in Kenia ueblichen, selbstgebrauten Bieres aus Getreide, wie z.B. Sorghum, alleiniges Vorrecht der Aeltesten und der Schamanen. Mit dem Verfall der Traditionen ging dann einher, dass auch Morani und Frauen tranken, mancher Zauberer sich schlichtweg totsoff und die Aeltesten, ihres Respektes bei den Juengeren beraubt, jede Gelegenheit nutzten, um sich zu betrinken und das Gefuehl der Sinnarmut ihres Daseins betaeubten. Ich habe Leudschi und andere Morani nach Zauberern befragt, die ich dann besucht haette. Aber einhellig herrschte die Meinung, dass es unter den Rendille und Samburu heute keine maechtigen Zauberer mehr gibt und das die, die sich noch als solche bezeichnen, nur noch Trinker sind, denen du, um ihre Hilfe zu bekommen, Alkohol mitbringen musst. Die Morani haben keinen Respekt mehr vor diesen alten Maennern. Sie selbst trinken keinen Alkohol, sie betreten nicht mal eine Bar. Sie rauchen nicht und kauen kein Mera-a, sie gehen nicht zu Prostituierten. Sie essen keinen Fisch und nichts was "Finger" hat, wie z.B. Affen oder Warane, sie verschmaehen jeglichen Salat, Gemuese und saemtliche Fertignahrung, wie z.B. Nudeln. Natuerlich gibt es auch Ausnahmen, aber im Grossen und Ganzen ist es die Aufrechterhaltung der Traditionen, die den Zusammenhalt der Nomaden sichert. Ein unverheirateter Moran darf nicht in Anwesenheit von Frauen essen oder trinken, ja nicht einmal alleine Wasser oder Joghurt trinken, wenn er durstig vom langen Marsch aus der Fora kommt. Er muss einen zweiten Moran finden, der mit ihm trinkt und isst. Der Sinn dieser Regeln ist offensichtlich: sie foerdert den Zusammenhalt der Krieger, die sich bei der Jagd und im Kampf blind aufeinander verlassen muessen.

Die Moran haben, bedingt durch den modernen Einfluss, heute fast alle nur noch eine Frau und Leudschi will sogar seine Toechter nicht mehr beschneiden lassen- um so erstaunlicher, als ja seine Frau beschnitten und seine Mutter De-Re die oertliche Beschneiderin der Maedchen ist. Ich habe ihn gefragt, warum er sich so entschieden hat und er sagte sehr schoen poetisch: "Es nimmt den Maedchen die Suesse."

Mit der Einehe ging einher, dass die Morani frueher heirateten und lt. Tradtion dann keine Krieger mehr haetten sein koennen und diese Kaste waere schlichtweg nicht zahlreich genug gewesen. Also gelten heute auch verheiratete Maenner als Morani, wenngleich sie sich auch noch die langen Haare abschneiden, nicht mehr reich schmuecken und bemalen.

Und mit der Einehe hielt die Eifersucht Einzug. Bei den Nomaden war es Tradition, dass die, die es sich leisten konnten, mehrere Frauen hatten. So sorgten sie fuer aermere Familien, denn die Familie jeder ihrer Frauen bekam Brautgeld, also meist Rinder. Der Moran war fortan mit der Familie verbunden und mitverantwortlich. So trug auch die Mehrehe zum Zusammenhalt bei und sicherte den sozialen Ausgleich. Traditionell waren die Frauen daran gewoehnt, dass ihr Mann mehrere Huetten baute, wo er jeweils "zu Gast" war. Jede der Frauen nutzte selbst ihre Nebenfrau um Hilfe zu bekommen, z.B. beim Kinderhueten, beim Stillen, Kochen usw. Die Frauen taten sich bei wichtigen Entscheidungen zusammen, um sich gegen ihren Mann durchzusetzen. Der Moran war verpflichtet, jede in jeder Hinsicht gleich zu behandeln, um Neid zu vermeiden.

Chobosso antwortete mir auf die Frage, was sie sagen wuerde, wenn Leudschi eine zweite Frau wuenschte, dass er ihr vor der Hochzeit versprochen habe, dass nie zu tun.

Die Morani sind auch nicht politisch engagiert. Es interessiert sie nicht, wenngleich sie wissen, was "in Kenya", also im suedlichen Hochland, los ist- aber es betrifft sie i.d.R. nicht. Keiner der jungen Maenner hier in der Fora will ein Steinhaus haben, obgleich sich fast alle eines leisten koennten, wenn sie ein paar Rinder verkauften. Heute tragen sie Schmuck aus Glasperlen aus Indien und Plastikblumen aus China als Schmuck, synthetische Webdecken mit roten Schottenkaros (ein modischer Einfluss der schottischen Einheiten der britischen Armee) und pinkfarbene Wickelstoffe, bei Festen weiss-rote Socken, ihre Holzkeulen haben Enden aus LKW-Schrauben, Pfeil und Bogen gibt es nicht mehr. Frueher war alles aus dem gefertigt, was die Natur bot: Ketten, Armbaender und Kopfschmuck wurden aus Samenkapseln, weichen Steinen, Nuessen, Holzstuecken, Zaehnen und Knochen, aus dem Horn der Rinder gemacht. Die Kleidung bestand aus Lederhaeuten, die mit Schafsfett und Ocker gefaerbt und geschmeidig gemacht wurden. Lederschnuere und Baender aus Tierhaaren, z.B. von Giraffen- oder Elefantenschwaenzen, fanden Verwendung. Bogensehnen waren, wie das Wort schon sagt, aus Tiersehnen gemacht. Besonderer Schmuck stammt von gefaehrlichen Tieren, die man selbst erlegt hatte: Bueffeln, Elefanten, Leoparden und Loewen. Noch heute binden sich die Braeutigame schmale Streifen von Loewenhaut um den Wadenansatz unterhalb des Knies.

Statt Blechtassen gab es Kalabassen aus weichem Holz oder Fruchtschalen, statt einer Dachabdeckung aus Plastiktueten, wurden mehrere Lagen Blaetter und Leder verwendet.

Die Zeiten aendern sich. Wer noch Nomaden erleben moechte, die weitgehend traditionell leben, muss sich sputen.

"Man bemerke auch diese grosse Gabe der Narren: nur durch sie hoert man die lautere Wahrheit. Nun, was ist liebenswuerdiger als die Wahrheit? Wenn man dem Alabiades beim Plato glauben will, so reden Wein und Kinder die Wahrheit:..." Erasmus von Rotterdam: "Lob der Narrheit"

geschrieben am 28.12. in Caserta


 


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