9/25/2005 Kenya / nordkenianische Wueste
Jimmy
Panne in der Wueste
(Harald) Leudschi liegt leicht atmend neben mir. Die Sterne verblassen im ersten Morgengrauen, zuletzt die Venus, der Morgen- und Abendstern. Der sanfte, kuehle Wind traegt die Geraeusche der Tiere aus den anderen Bomas herueber, Holzglocken zeugen von nahen Kamelen. Morgen laeuft mein Visum ab, weshalb ich versuchen will, heute noch die Grenze zu erreichen. Naszutu-i wartet bereits bei den Frauen auf mein Aufbruchsignal. Sie laechelt, als ich sie begruesse: "Szobba Harry." Sie nickt fragend und deutet hinaus in die Ebene Richtung Dorf. Ich nicke. Ja, wir brechen auf. Leudschi will mich begleiten, obwohl er hier gebraucht wird. Der neuerliche Abschied von den Morani faellt schwer. Ich versuche, dies nicht zu sehr an mich heranzulassen. Intensives Erleben setzt Offenheit voraus, Abschiednehmen faellt jedoch leichter, wenn man Gefuehle begrenzt. Als ich dem aelteren Moran die Hand schuettle, der mich beim letzten Abschied vor einem Jahr als Letzter verabschiedete, sitzt mir ein Kloss im Hals. Leudschi gibt mir einen Hirtenstab zum Wandern, ich saettige mich nochmal bis zum Anschlag mit Wasser aus einem gelben, staubverkrusteten Kanister. Das Wasser riecht und schmeckt erdig, darin schwimmen kleine Stuecke von Gras und Aehnlichem. Niemand, auch ich nicht, wird davon krank. Im Marschschritt hinaus aus den Foras, hinaus in die Ebene, hinauf auf den ca. 100 m hohen Huegelkamm. Fotos. Leudschi auf dunklem Basalt, die Staubwolken der Herden am Horziont dahinter. Der 22-jaehrige ist mit sich im Reinen, ausgeglichen, ein humorvoller, zuverlaessiger Mann. Er versucht mich unterwegs erneut fuer ein Projekt hier draussen zu erwaermen. Ich koennte ein paar Rinder kaufen und er wuerde sie hueten und wir machten Fifty-Fifty. Ich denke eher an Touren mit Touristen hierher, daran, wirklich interessierten Menschen das Leben der Nomaden naeherzubringen. Aber Tourismus wird genau das verstaerken, was mir am Herzen liegt gerade NICHT zu veraendern. Andererseits wird die Veraenderung in jedem Fall kommen und ich koennte Verantwortung fuer eine weniger schaedliche Entwicklung uebernehmen. Leudschi schlaegt sogar vor, er und ggf. ein paar Freunde, koennten nach Deutschland kommen und dort ihre Traditionen zeigen. Ich halte von dieser "Voelkerschau" wenig, denn letztlich waeren die Morani hauptsaechlich begaffte Kuriosa, wie die Massai-Taenzer in Mombasa. In allem aus dem Zusammenhang gerissen, blieben sie wie verloren. Leudschi grinst: "Wenn ich nach Nairobi gehe, trage ich nicht diese Kleidung, Harry. Dann trage ich Hosen und T-Shirts wie die anderen." Ich weiss, mein Freund, ich weiss. Aber wenn du schon in Nairobi nicht Rot tragen kannst, wie wuerdest du dann in Berlin darin wirken? Nein, allein die Vorstellung ist mir zuwider, auch wenn du so gerne mal Deutschland sehen wuerdest. Schon nach zwei Std. macht sich Muedigkeit bemerkbar. Wir erreichen die Traenken, dann Guddas. Pause, ein Tschai im Schatten. Leudschi beruhigt mich: "Naszutu-i ist auch muede." Weiter. Ein etwa 5 Meter breiter Weg ist weitgehend von Lavabrocken freigeraeumt worden, denn hier ziehen nicht nur die grossen Herden, sondern fahren auch gelegentlich Autos. In der Ferne rechter Hand liegt das wolkenfesselnde, dunkle Marsabit-Massiv, eine gruene Insel in der Wueste. Leudschi hat mir die Geschichte eines einsamen Elefanten- bullen erzaehlt, der von einigen Jahren aus diesen Bergen kam und gemaechlich ueber die Strasse mitten durch Lokologo zog, unter den staunenden Augen der Ladenbesitzer, weiter nach Laisamis zog und schliesslich die Naturreservate Shaba und Samburu erreichte. Wieso sich der Bulle durch die 100 km breite Kaisiut-Wueste kaempfte, ohne wissen zu koennen, dass es ueber 200 km entfernt von Marsabit ein Dahinter mit Wasser und Nahrung gab, ist eines der Mysterien der Natur. Das Windrad taucht auf, die ersten Huetten, dann sind wir in der Manyatta. Isiolo bringt Tschai. Dies ist mein letzter Milchtee der Reise. Abschied auch hier. Ich vergesse mein Stabmesser in der Huette Isiolos. An der Strasse im Dorf auf einen Transport warten. Schliesslich haelt ein LKW-Dreier-Konvoi. Ein junger Australier sitzt ueber der Fahrerkabine auf einem Dach und winkt. Er heisst Jimmy und ist ebenfalls auf dem Weg nach Aethiopien. Verhandlung ueber den Fahrpreis mit dem Conductor, der sich zunaechst stur stellt. Der Mensch sieht nach reichlichem Mera-Konsum aus: truebe Augen und zwischen den Zaehnen gruene Breireste. Wir einigen uns muehsam auf einen immer noch ueberzogenen Preis. Oben ueber der Ladung, dem Gepaeck, auf den Stangen, die die Plane halten, sitzend. Im LKW-Dreierkonvoi ca. 50 km bergan nach Marsabit. Erwartungsgemaess eine Pause. Ich frage den Conductor, ob wir Zeit haben, etwas Essen zu gehen. Ja, es ist Zeit. Wann es weiterginge. "Genug Zeit", sagt er. Jimmy und ich essen im Hoteli nahe des Marktes und ich erzaehle ihm meine erste Begegnung mit einem Samburu-Moran hier im Ort. Am LKW ist niemand und im Laden fragt man mich, ob wir nicht wuessten, dass es erst morgen weitergehe. Wie bitte? Ich suche den Conductor, der uns dies bestaetigt. Jimmys Visum laeuft zwar erst einen Tag spaeter als meines ab, aber bis zur Grenze sind es noch 250 km durch die Oednis und es kann viel passieren. Es hat dort einen der Clashes gegeben, einen Zusammenstoss zweier Staemme mit vielen Toten. Wir muessen heute noch weiter. Jimmy ist wie vor den Kopf geschlagen und ich frage den jungen Conductor warum er mir nicht in Lokologo gesagt hat, dass er heute nur bis Marsabit faehrt, denn ich haette dann einen anderen Transport gefunden- Jimmy reklamiert, dass man ihm in Isiolo gesagt habe, dass es bis Moyale in einem Rutsch durch ginge. Ich verlange mein Geld zurueck, um einen anderen Transport zu suchen, auch wenn man uns versichert, es gaebe keinen. Das kann stimmen oder nicht. Ploetzlich ist der Fahrer verschwunden- was er von uns an Mehrpreis bekommen hat, will er sich nicht entgehen lassen. Ich finde den Fahrer, der weiss angeblich nicht, wo der Conductor ist. Ich weiss, dass, wenn wir jetzt keinen Druck machen, wir hier nicht mehr weg kommen und kein Geld sehen. Ich drohe dem Fahrer mit der Polizei, aber es dauert eine ganze Std., bis er sich bequemt, nach allen Verzoegerungstaktiken, wie sie in Afrika so ueblich sind. Er holt den Conductor, der weigert sich weiter, seinen Fehler wieder gutzumachen. Damit er nicht erschrickt, kuendige ich Jimmy an, was ich machen werde und dann werde ich laut und drohe dem Conductor. Dabei setze ich eine Miene auf, als ob ich ihn gleich hier durch die Mangel drehen wollte. Wir sind von einer Menge umgeben, die unsere Lage durchaus versteht. Mehrere versuchen sich einzumischen, aber ich bin nicht zu beruhigen. Schliesslich gibt der Junge nach und zahlt den Fahrpreis von hier bis Moyale zurueck, wobei er zugeben muss, mich betrogen zu haben. Aber Jimmy hat noch mehr als ich bezahlt- das alte Kommisionsproblem der Jungs in Isiolo. Weil Jimmy so nett ist, bekommt er sein Geld nicht zurueck. Er ist wuetend, aber er zeigt es nicht und argumentiert nur. Der Fahrer laesst ihn einfach stehen und dreht sich um. Waehrend solcher Reisen rueckt man zusammen und laesst einander nicht alleine und das muesste ich jetzt mit Jimmy machen. Das will ich nicht. Ich sage ihm: "Warte. Lass mich machen" und stuerze dem Conductor hinterher und fordere ihn auf, meinem "Freund" auch sein Geld zurueck zu geben. Er glaubt wohl nicht, dass ich es ernst meine und deshalb halte ich ihn fest, als er weggehen will, worauf er wuetend wird, aber schliesslich das Geld rausrueckt, nachdem auch noch ein angeblicher Polizeibeamter in Zivil sich eingeschaltet hat und die Menge auf rd. 40 Leute angewachsen ist. Der Vielleicht-Polizist geleitet uns zur Tankstelle am Ortseingang, wo die Busse halten. "Sie sind schon laenger in Afrika!" stellt er einfach fest. "Ja. Seit zweieinhalb Jahren. In Kenia bin ich zum dritten Mal." "Sie wissen zu ihrem Recht zu kommen. Waren sie wirklich so wuetend?" Er hat bemerkt, wie schnell ich wieder freundlich wurde. "Nein. Aber ohne handgreiflich zu werden, haette mein Freund sein Geld nicht bekommen." Der Polizist nickt. "Das stimmt wahrscheinlich." Man hat uns zwar die offizielle Wahrheit gesagt- dass es naemlich keinen Bus mehr nach Moyale gibt. Aber es gibt zwei Mitarbeiter einer NGO die wir beim Tanken ansprechen und uns mitnehmen wollen. Und zwar kostenlos! Sie sprechen sehr gut Englisch, wir fuehren eine nette Unterhaltung. Jimmy kann von Geschichten ueber die Nomaden nicht genug bekommen und die beiden Menner sind auf dem Weg zu den Borana in Sololo, 80 km vor der Grenze. So gibt es eine angeregte Unterhaltung. Jimmy und ich sehen uns nur erstaunt an, weil der Fahrer so rast. Das Auto ist neu, aber der Ersatzreifen hinter mir ist den Namen nicht wert. Bereits 20 km hinter Marsabit platzt der Reifen. Der Ersatzreifen haelt nochmal rd. 20 km, bis auch er platzt. Jetzt wird es dunkel und die beiden Kenyaner muessen einen Ruecktransport nach Marsabit abwarten, einen Reifen kaufen und den beschaedigten reparieren lassen. Und ich habe kein Zelt mehr und Jimmy hatte nie eines. "Wir haben ein Zelt" sagt der Fahrer. Ich bereite mit Jimmy den Boden vor, die Zugleinen befestigen wir an dicken Steinen und am Auto. Zu Viert liegen wir wie aneinandergedraengt im Zelt, der Wind zerrt an den Planen, an der Strasse ziehen im letzten Abendlicht Hirten mit Kamelen vorbei. Die ist Gabbra-Land. Sie kommen und fragen nach Wasser und etwas zu essen. Im Schein meiner Kopflampe sehe ich in ein tiefgefurchtes Gesicht, wettergegerbt. Der Mann traegt einen Wickelrock und ein zerfetztes Hemd und einen lockeren Turban. Nein, wir haben keinen Tabak. Er verabschiedet sich auf Kisuaheli und verschwindet in der Dunkelheit, wo seine Kamele warten. Ganz ehrlich- ich habe mich nicht wirklich geaergert, sondern die Nacht in der Wueste genossen. geschrieben am 2.1. in Neapel
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