9/26/2005 Kenya / Moyale
Die Sterne, die Sterne!
Wem die Stunde schlaegt
(Harald) David Ayora heisst der Mitarbeiter der Organisation, die sich fuer Schulen und Gesundheitsfuersorge bei den Gabbra in Sololo, Walda und Umgebung einsetzt. Er erzaehlte von dem blutigen Zusammenstoss in Turbi, suedlich von Sololo, bei dem vor ein paar Wochen viele Menschen getoetet worden sein sollen. Und er fragte mich nach meiner Meinung ueber Schulbildung, ueber Berufsausbildung fuer die Nomadenkinder. Ich bin da leider weniger seiner Meinung. Aufgebracht platzte er heraus "Das ist genau die Einstellung, die unserem Land schadet", als ich ihm sage, dass das Schulsystem zu uniform sei und den Nomaden nicht gerecht werde und ihre Kultur zwar innerhalb einer Generation zerstoere, aber ihnen nichts dafuer gebe. David ereifert sich, hoeflich zwar, aber seine Entruestung ist echt, denn ich tue ja nichts anderes, als seine Berufstaetigkeit in Frage zu stellen. David hat studiert, ist ein wortgewandter Kikuyu aus Nairobi, sein Mitarbeiter scheint da eher zweifelnder Auffassung zu sein. Ich argumentiere: "David, was sie machen, halte ich auch fuer gut, es hat Vorteile. Die Kinder bekommen Bildung, lernen ueber Kenia und die Welt, koennen hernach Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie werden politisch gebildet und lernen Englisch. Aber sehen sie sich mal die Nachteile an: Die Kleinen fehlen beim Ziegenhueten, sie lernen nicht mehr genug vom Nomadenleben, um in der Wueste zurecht zu kommen. Sie lieben die Wueste nicht mehr, weil sie ihnen fremd wird und ihnen die Staedte als Paradiese dargestellt werden. Die Schulbuecher sind nicht fuer Nomaden geschrieben, alle Kinder in ganz Kenia haben dieselben Buecher. Darin sitzen westlich gekleidete Figuren vor Fernsehern auf roten Couchen, sie fahren mit Autos, gehen zur Arbeit und zur Kirche. Die Kinder kommen dann irgendwann von der Schule nach Hause und lassen sich nichts mehr sagen von den Aelteren, denn die sind ja dumm, koennen nicht Lesen und kennen den Globus nicht. Die Kinder wollen haben, was alle haben und das gibt es nur in den Staedten. Sie verlassen die Familien und suchen Arbeit in den Staedten- aber es gibt keine Arbeit, schon gar nicht fuer Menschen zweiter Klasse wie Hirten. Sie tanzen nicht mehr die alten Taenze, denn das sind Sachen fuer "Eingeborene", fuer die man sich schaemt. Sie tragen kein Rot mehr und wissen nichts mehr von heilsamen Wurzeln und wie man ein Nyala schiesst. Sie koennen das Wetter nicht mehr beurteilen. Hier draussen wird es nie etwas anderes geben, als Wueste und in der Wueste wird es nie etwas anderes geben als Nomaden und dieses Leben kann man nicht wesentlich besser leben, als es jetzt gelebt wird. So ist es gut und richtig." David liess das nicht gelten: "Die Wueste kann begruent werden, wie das die Israelis gemacht haben." Ach David! Glaubst du wirklich, die USA wuerden in Nordkenia Milliarden hineinpumpen, wie sie das in Israel machen? Und ohne soviel Geld, das staendig fliesst, kann niemand eine Wueste begruenen. Und die Wuesten werden groesser, das Wetter aendert sich, dass sagt dir hier jeder. Der Regen bleibt immer haeufiger aus und keine Begruenung wird das aendern. Jimmy fragt David, wie denn die schulgebildeten Nomaden Arbeit finden sollen. "Zum Bsp. in Marsabit, da gibt es Verwaltungsjobs." Wie viele, David? Zwei, drei Stellen? Und was machen die sechzehntausend anderen? Billige Nachtwaechter fuer die Villen der Nord-Kenianer? Es gibt hier draussen keine Arbeit. Niemand erfasst die Zahlen richtig, aber selbst offiziell liegt die Jugendarbeitslosigkeit in den Staedten ueber 40 %. Wer will da auf Dauer noch den Deckel auf dem Volkszorn halten, wenn ihr jetzt allen Hoffnungen macht, sie von den Familien wegholt, ihnen Luxusgueter vorfuehrt und sie dann einfach, entwurzelt, in den Staedten herumirren lasst? Es war trotzdem ein gutes Gespraech, keiner ist dem anderen boese, denn alle wollen ja eigentlich das Beste fuer die Nomaden. Morgengrauen. Keiner hat geschnarcht- man muss sich auch ueber kleine Dinge freuen koennen. Durch das Schlupfloch des Zeltes weht frischer Wind ins Zelt, in dem wir eng Seite an Seite liegen. Schwerer Atem zeigt mir, dass alle tief schlafen, als ich aufstehe, vor das Zelt trete und mein Gesicht in den trockenen Wuestenwind halte. Die Sterne, die Sterne! Und der leuchtende Mond. Das Zeltgestaenge biegt sich unter dem Winddruck, im Dachgepaeckstaender des grossen 4x4 pfeift der Wind. Das Land ist hier fast eben, im braunroten, staubfeinen Sand liegen graphitfarbene Basaltbrocken wie hingestreut, ein paar flache, zerfressene Akazienstraeucher und holzharte Grasbueschel. Das hellblaue Zelt und der einsame 4x4 wirken in dieser Mondlandschaft deplaziert. Hier in der Wueste gibt es keine Muecken, weil es kein Wasser gibt und keinerlei Schutz, wenn der sintflutartige Regen faellt. Das Land wartet jetzt auf den Regen. Und doch leben hier seit Jahrtausenden Menschen. Heute sind es Borana und Gabbra, moslemische Hirtenstaemme, die eine aehnliche Sprache sprechen, sich aber oft feindlich gesinnt sind. Unter den Nomadenstaemmen sind die Gabbra der kleinste, aber auch der reichste, da sie die kostbaren Kamele hueten. Die nicht von der Volksgruppe der Bantu abstammenden Staemme, die aus Voelkern Aethiopiens und Somalias abstammen, sind als besonders grausam beruechtigt. Die Borana kastrieren ihre Feinde manchmal- und zumindest ein Rendille-Moran, den sie dann haben laufen lassen, ist Leudschi bekannt. Zaehneputzen ohne Wasser. Dass das geht, habe ich erst in der Wueste gelernt. Etwa eine Std. nach Sonnenaufgang taucht am Horizont eine Staubfahne auf- der erste LKW. Wir winken. Es ist der Konvoi, den wir gestern im Streit in Marsabit verlassen haben. Herzlichen Glueckwunsch! Abschied von David und seinem Mitarbeiter. Ich gebe ihnen Geld fuer die Milch, Ananas und die Passionsfruechte, die sie mit uns geteilt haben. Der Fahrer will 3 EUR bis zur Grenze haben- der Preis ist o.k. Im LKW hinter uns sitzt der Conductor, mit dem wir uns angelegt haben. Wir erreichen einen Weiler mit Kirche, das einsamste Oertchen auf der Strecke. Hier haben die Gabbra Rache fuer den Ueberfall auf ihr Dorf am selben Tag geuebt. Die Jungs neben uns erzaehlen, dass einige schwerbewaffnete Gabbras ein Lasttaxi mit 10 Passagieren- alle Boranas- angehalten haben. Der weisse Missionar durfte zu Fuss gehen, waehrend hinter ihm Frauen, Kinder und Maenner erschossen wurden. Weiter. Wir erreichen Turbi, den Ort, an dem am 12.7.2005 in der Nacht die Borana ein Massaker veranstaltet haben. Ausloeser war ein Racheakt fuer einen Viehdiebstahl. Die Aeltesten der Borana gaben den Kriegern den Auftrag, Turbi zu ueberfallen und ihren Stammescousins "eine Lektion zu erteilen." Die Maenner kamen in der Nacht, umzingelten den ganzen Ort vollstaendig, der etwa einen km Durchmesser hat. Niemand konnte entkommen, sie schossen aus automatischen Waffen. Die Polizei hier spricht von 70 Toten, die Leute hier sagen, es waren ueber 200. Die Armee marschierte ein, es hagelte Vorwuerfe fuer die Aeltesten, der oertliche Buergermeister wurde abgesetzt. Bestraft im westlichen Sinne wurde niemand. Man erklaert sich das Verhalten der Stammesaeltesten, das Morden von Kindern gutzuheissen, mit einem Mangel an Bildung. Ich entgegne dem, dass, wenn die Polizei den Viehdiebstahl aufgeklaert und bestraft haette, es zu einem Racheakt gar nicht gekommen waere. Aber darum kuemmert sich niemand. So koennen fuenf, sechs Gabbra-Krieger, die auf eigene Rechnung arbeiten, ein solches Leid ausloesen, weil niemand die Spirale der Gewalt unterbricht und sich um Gerechtigkeit bemueht. Das uebliche Gekungel zwischen Polizei und Conductor laeuft ab. Der Kerl, der uns betrogen hat, ruft provozierend zu uns hinauf: "Hey Musungu!" Das ist so gemeint wie es klingt: "Hey Weisser!" Ich rufe hinunter: "Hey Black!" (Schwarzer) und habe die Lacher auf meiner Seite. Was ich nicht weiss, ist das der Conductor schon ein feines Intrigennetz gesponnen hat und deshalb so siegesgewiss grinst. Als ich vom LKW geklettert bin, ruft mich ein grosser Polizist: "Hello Musungu!" Ich ahne sofort, dass es jetzt Probleme gibt, denn der baumlange Mann laesst mich zu sich kommen, anstatt mir entgegenzugehen. Er fragt nach meinem Pass- etwas, was so offensichtlich auf Vorinformation beruht, dass ich nicht ueberlegen muss, wer dem Beamten gesteckt hat, dass mein Visum ablaeuft. Der Polizist, ein niederer Dienstgrad, blaettert hilflos in meinem Pass, unfaehig die vielen Visas und Stempel zu durchschauen. Dann behauptet er einfach ins Blaue hinein: "Ihr Visum ist abgelaufen." Ich habe ueber den wahren Ablauf meines Visums dem Conductor nicht die Wahrheit gesagt. Der Conductor glaubt, dass mein Visum gestern abgelaufen ist. Ich zeige dem Polizisten mein bis morgen gueltiges Visum und er grinst und sagt: "Das ist in Ordnung." Als ich mich umdrehe, faehrt der erste LKW gerade vorne an der Schranke los. Als ich auf den zweiten zusteuere, auf dem Jimmy sitzt, faehrt auch der einfach ab. Auch dies hat der Conductor arrangiert. Ich stehe mitten auf der Fahrbahn und versperre dem dritten Truck den Weg. Der haelt auf mich zu und will ebenfalls weiterfahren, aber da ertoent ein scharfer Ruf vom Wachhaus her. Der befehlhabende Offizier winkt dem Polizisten an der Schranke und die senkt sich. Der Fahrer des dritten LKW soll mich mitnehmen, aber er verlangt mehr als den vollen Fahrpreis von Marsabit bis zur Grenze. Als ich deutlich mache, dass ich nicht gewillt bin, noch einmal zu bezahlen und der Fahrer sich auch weigert mich bis zum naechsten Kontrollposten mitzunehmen, laesst der Offizier den Wagen fahren- er darf den Fahrer nicht zwingen. Aber er schuettelt mir herzlich die Hand, stellt sich als Stephen Ledelea vor und laedt mich zum Tschai ein. Wir sitzen im Schatten des Wachhauses auf Holzschemeln und die anderen Polizisten gesellen sich hinzu. Ich sage dem Baumlangen: "Der Conductor hat ihnen gesagt, mein Visum sei abgelaufen, nicht wahr?" Der Mann grinst und schlaegt in meine Hand ein, als habe ich eine Wette gewonnen: "Ja, das ist wahr." Es ist eine Versoehnungsgeste, eine Anerkennung und Entschuldigung. Der Offizier ueberlaesst es auch ihm, mir die gute Botschaft zu geben: "Wir haben den naechsten Kontrollposten in Walda verstaendigt. Die halten den LKW fest, bis sie nachgekommen sind. Warten sie bei uns auf den naechsten Wagen, der sie mitnimmt. Es sind nur 20 km." Der Baumlange ist ein Rendille und freut sich wie ein Schneekoenig, ueber meine paar Brocken seiner Sprache, die zu den seltensten von Kenias ueber 70 Sprachen gehoert. Wir scherzen, lachen erleichtert und nachdem ich den Hergang der Ereignisse geschildert habe, wird Tschai serviert. Der Offizier sitzt alsbald alleine mit mir, wir schauen ueber die Huettendaecher in die Wueste. Zusammen in dieselbe Rtg. sehen, ist eine feine Unterhaltung. Jeder zeigt Interesse fuer das was den anderen gerade interessiert und man haelt das gemeinsame Schweigen aus, ohne verlegen zu sein. So prueft sich Harmonie. Der ca. 28 Jahre alte Mann hat ein breites Kikuyu-Gesicht und sanfte Zuege, er spricht langsam, gewaehlt und hoeflich. Seine zwei Sterne weisen ihn als Oberleutnant aus und bei seiner gelassenen Autoritaet liegt wahrscheinlich eine Karriere vor ihm. Die richtige Abstammung hat er jedenfalls. Waehrenddessen setzt sich der Baumlange unermuedlich fuer meinen Belang ein, funkt ein ums andere Mal, beraet sich mit dem Oberleutnant, teilt mir die neueste Entwicklung mit:" Der LKW wartet in Walda auf sie. Dort ist der Kommandeur, ein Oberstleutnant." Dass die Polizei einen so hohen Offizier hier stationiert hat, zeigt, wie schwerwiegend das Massaker hier in Turbi war und das man weiteres Blutvergiessen verhindern will. Der Oberleutnant hat verschmitzte Augen, ein Schlemihl. Er stellt Fragen, klopft mich ab. Ich aeussere meine Liebe zu seiner Heimat, aber auch zu den Nomaden. Bald landet Stephen beim Glauben, er bohrt fast. "Stephen, weisst du, dass Thema ist fuer kurze Gespraeche nicht gut, wir kennen uns kaum, „ versuche ich auszuweichen. Ueberraschenderweise sagt er: "Harry, ich glaube nicht wirklich an einen Gott. Jeder versucht mich zu beeinflussen, aber fuer mich ist Glaube so angstbestimmt. Die Menschen wollen glauben, weil sie Angst haben." Er sucht bei mir Argumente, um sich gegen Eiferer zur Wehr zu setzen. "Ich glaube, dass alle Menschen an etwas glauben. Wir brauchen Glauben, um zu erklaeren, was wir nicht wissen oder verstehen. Aber du hast recht: die groessten Eiferer sind stets die, die am meisten Angst haben. Angst ist das staerkste Gefuehl, das wir kennen. Was wir aus Angst tun, ist immer entschuldbar, das ist meine Regel." "Aber woher kommt die Welt, all das?" und sein Arm streicht ueber die Wueste. "Ich habe auch Aengste, Stephen. Ich bin ein aengstlicher Mensch wie du und alle anderen. Was mich vielleicht etwas unterscheidet, ist, dass es mich nicht so sehr wie andere verunsichert, etwas nicht zu wissen oder zu verstehen. Ich bin sehr neugierig, wissensdurstig. Aber was ich nicht weiss, wissen kann, kann ich einfach stehen lassen. Ich glaube an meine Ideen von "Woher", "Warum" und "Wohin" - aber es ist mir nicht gewiss. Meinen Glauben halte ich nicht fuer Gewissheit und ich kann damit leben. Ich kann meine Auffassungen leidenschaftlich vertreten, aber sie nicht geteilt zu finden, macht mich nicht aggressiv. Wenn es einen Gott oder Goetter, Teufel, Daemonen, Ahnen und Dschinns, Engel, Heilige, Geister und ein Schicksal gibt, dann hat es mir bis heute nicht geschadet, nichts und niemanden zu verehren und anzubeten. Ich bin gesund, gluecklich in Massen wie alle anderen. Schau dich an Stephen. Du glaubst nicht und lebst doch. Nichts hat dich bestraft. Wenn es so waere, wenn es nur einen einzigen, wahren, richtigen, welchen-auch-immer-Glauben auf der Welt gaebe, so muessten dessen Anhaenger deutlich erkennbar sein, denn sie waeren gluecklicher, wuerden laenger leben, mehr lachen, waeren zufriedener, fuehrten keinen Krieg, kennten weniger Not, denn ihr Gott wuerde sie doch belohnen, oder? Er wuerde sie bevorzugen. Aber so ist es nicht. Wir leiden alle gleich." Stephen nickt fast unmerklich und schaut mir fest in die Augen und insistiert: "Aber wer hat das alles gemacht?" "Die Frage impliziert zwei Voraussetzungen: erstens, das es jemanden/etwas gibt, dass alles gemacht hat; zweitens, dass es notwendig sei, dass alles gemacht sei. Ich dagegen frage: wer hat Gott/die Goetter gemacht? Denn ich ersetze nur eine Unbegreiflichkeit durch eine andere. Was bringt es, wenn ich die Frage nach der Ewigkeit von Universum, Energie und Materie nicht beantworten kann, sie durch die Spekulation einer Schoepfung zu ersetzen?" Stephen schmunzelt. "Fuer mich ist alles nicht linear, mit einem Anfang und einem Ende. Ich denke, dass sich die grossen Zusammenhaenge in Zukunft moeglicherweise noch weiter erschliessen lassen werden. Mein Bild von Unendlichkeit und Ewigkeit ist das einer Schleife, in der alles immer wieder anfaengt und endet gleichzeitig, Zeit ist nicht die Uhr, sondern sie laeuft verschieden ab, Raum ist nicht ein Hohlkoerper, sondern wie ein Labyrinth. Ein unrunder Kreislauf." Dann setze ich noch einmal an:" Ich glaube also...", wobei ich das Wort "glaube" langsam und geziert ausspreche und darueber lacht Stephen und dann ich auch und schliesslich lachen wir schallend bis uns die Traenen kommen, Stephen klatscht mir in die Hand. Er hat Bilder mit einem Stoeckchen in den Lehmboden gekratzt. Wir sind ruhig geworden. "Was ist nach dem Tod, Harry?" murmelt er fast unhoerbar, als beruehre er unerhoerte Dinge. "Huh. Heisses Eisen. Angsttreiber Nr. 1. Verdammnis, voelliges Verschwinden des Selbst. Ich denke mit 47 zwar mehr ans Alter, aber noch wenig an den Tod. Der kommt ja nun gewiss, aber was solls? Kommt er spaeter, unerbittlicher, wenn ich ihn fuerchte? Ich weiss zwar nicht, ob ich mit 60 oder 70 noch so leichtfuessig darueber reden werde wie jetzt. Aber ich hoffe es und sorge mich deswegen nicht. Fuer mich gibt es keinen Anfang und kein Ende, den Juengsten Tag, die Wiederauferstehung, keinen Himmel und keine Hoelle, keine Seele und Wiedergeburt. Der Tod ist das Ende meiner Existenz, aber nicht dessen, woraus ich bestehe: Energie und Materie. Das geht wieder in den ewigen Kreislauf ein. Ich stehe nur einmal auf der Buehne und die Auffuehrung ist jetzt. Das gibt dem Jetzt eine grosse Bedeutung, denn ich werde nicht noch einmal leben. Im Englischen gibt es den schoenen Aphorismus: "Yesterday is history, tomorrow is imagination, today is reality. Thats why its called present." (Gestern ist Geschichte, Morgen ist Vorstellung, Heute ist Realitaet. Deshalb heisst es Geschenk." Im Englischen bedeutet "present" beides: Gegenwart und Geschenk.) "Das ist nicht einfach, Harry," sagt Stephen. "Nein, das ist ganz und gar nicht einfach. Aber andererseits auch nur so schwer, wie du es nimmst." Ploetzlich muessen wir beide wieder lachen, ein wenig verlegen, vor allem erleichtert ueber die Moeglichkeit, etwas teilen zu koennen und auch die pathetische Tragik, die sich beim Thema Tod eingeschlichen hat. "Mach dir keine Sorgen Stephen. Wenn du ein Leben lebst, waehrenddessen du versuchst, stets ein guter Mensch zu sein, welcher Gott, der der Verehrung wuerdig waere, wuerde dich dann in seine Hoelle schicken? Koennte ein Gott, dessen zentralste, unerhoerteste Botschaft, die der Vergebung war, ueberhaupt eine ewige Verdammnis zulassen? Ist der um Vergebung bittende, betende Moerder himmelssicher und der unglaeubige Menschenfreund der Verdammnis? In allen Laendern, die ich gesehen habe, sind sich die Menschen sehr aehnlich, wenn es um Grundlegendes geht. Wir alle wollen Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Liebe, Vertrauen und wir alle wollen keine Angst haben, keinen Hass, Schmerzen, Leid, Tod und Missachtung. Das verbindet uns. Nur die Wege zum Erreichen dieses Ideals sind verschieden, ein gigantisches Experiment, das so alt ist wie der Widerstreit zwischen Gefuehl/Instinkt und Verstand/Denken. So alt also, wie die Menschheit. Und es wird andauern, solange es Menschen gibt. Wir werden immer suchen. Das Paradies endete mit dem Denken." Stephen lacht und schuettelt mir die Hand, hier draussen, in einer der abgelegensten Gegenden der Welt. Er gibt mir seine Telefonnummer, nur fuer den Fall. Ein LKW haelt an der Schranke und ich springe auf, Winken. Rumpelnd, eine riesige Staubfahne hinter sich herziehend, bahnt sich der Truck den Weg, 20 km bis Walda, dem vorletzten Ort vor der Grenze, ein Borana-Dorf. Da sitzt Jimmy im Schatten einer Akazie, neben dem Kommandeur. Er hat auf mich gewartet und den LKW fahren lassen. Neben ihm steht mein Gepaeck. Der Oberstleutnant begruesst mich herzlich mit Handschlag, stellt mir seinen Adjutanten vor, einen Hauptmann immerhin, der ihn bedient. Es wird Essen serviert und wir fischen zu Dritt in einer Platte mit Mbusi (Ziegenfleisch) und Brot. So ein Einplattenessen ist eine verzwackte Sache, denn es gibt einen Plattenherren, den Gastgeber und der verteilt moeglichst weise die guten Stuecke, die mit dem meisten Fett, schiebt sie dir mit Brot auf der Platte zu deiner Anlegestelle herueber und nickt heftig, mampfend: "Take. Eat, eat!" Und du musst wissen, wann du auch mal ablehnst, bzw., wann es nicht angeraten ist, abzulehnen, weil der Gastgeber sich sonst nicht wie der Plattenkoenig fuehlt, oder weil er das, was er dir zuschiebt, nicht mag. "Ich habe den LKW auf Geheiss von Jimmy hier fahren lassen, weil ich fuer sie einen Transport mit einem Polizeifahrzeug arrangiert habe. Kostenlos, versteht sich. Sie sind Gast unseres Landes. Wie gefaellt ihnen Kenia?" Er ist ganz jovial, machtgewohnt. Jimmy hat so entschieden, weil er die anderen Fahrgaeste nicht unter den Folgen der Intrige leiden lassen wollte. Leider erweist sich das stolz angekuendigte Transportmittel als abkoemmlich. Ich dusche in der Zwischenzeit zwischen Wellblechtafeln, auf rauem Zementuntergrund. An der Postenschranke sitzen wir 2 Std. ungeduldig, auf heissen Kohlen vor allem ich. Um Mitternacht laeuft mein Visum ab, aber die Grenze macht schon um 18 Uhr zu. Mir droht, bis nach Nairobi zurueck zu muessen, wenn wir es nicht zeitig schaffen. Das einzige Fahrzeug ist ein leerer, aethiopischer Sattelschlepper mit zwei Passagieren, im Fuehrerhaus kein Platz fuer zwei weitere Mitfahrer. Die Polizisten tun alles Erdenkliche, um den Fahrer zu bewegen- ohne Erfolg. Ich sage Jimmy: "Lass es mich alleine versuchen. Wenn ich jetzt nicht fahre, ist es zu spaet. Dein Visum ist noch 2 Tage gueltig. Ich warte in Moayale." Jimmy ist einverstanden. Aber der Fahrer weigert sich, die Kabine ist zu eng. Schliesslich bitte ich den Fahrer selbst, erklaere meine prekaere Situation. Spontan winkt er mich hinein und es geht los. Jedenfalls mehr oder weniger, denn der Sattelschlepper kriecht mit 30, 40 km/h vorwaerts und bis Moyale sind es 100 km. In Sololo steigt der andere Fahrgast aus. 80 km noch. Der Fahrer kontrolliert staendig die Reifen: "Alle sechs Fahrten brauche ich komplett neue Reifen." Ein teurer Transport, aber Aethiopien hat keinen Hafen mehr, seit seine Provinz Eritrea mit dem einzigen Hafen in Asmara nach einem blutigen Buergerkrieg unabhaengig wurde. Was von Addis nach Mombasa muss, wird also ueber 2000 km durch Afrika kutschiert- voellig irre. Als ich beim Halt ein Foto von den Bergen machen will, reagieren die Leute im Vordergrund aeusserst aggressiv. Dies ist die fuer Touristen gefaehrlichste Gegend Kenias. Hier wurden bei Ueberfaellen schon oft Weisse getoetet, zuletzt im Februar diesen Jahres ein Ehepaar aus Frankreich. Die Leute hier leben weit entfernt des Machtzentrums Nairobi, sie haben nichts vom Tourismus und sie verabscheuen Weisse, auch weil sie durch den Islam radikalisiert wurden. Noch vor einem Jahr fand hier eine Art Rebellion der Borana und ihrer aethiopischen Verwandten, der Oromos statt, bei der in Moyale Polizisten getoetet wurden. Aus den Reihen dieser Leute rekrutieren sich die in ganz Ostafrika beruechtigten Schiftas, ruchlose Raeuberbanden, die rauben, vergewaltigen und alles toeten, z.T. auf bizarre Weise, um die Polizei zu warnen: "Stellt uns nicht nach, wir schrecken vor nichts zurueck!" Toeten ist hier nichts Besonderes, sondern allgegenwaertig. Nach einem Ueberfall machen die Schiftas genau das, was die Moerderbanden von Turbi nach dem Massaker machten: sie verschwinden zu ihren Cousins auf die aethiopische Seite. Noch 60 km bis zur Grenze. Ein kleiner Isuzu ueberholt uns- Jimmy auf der Ladeflaeche schreit zu mir rueber: "Los komm, spring auf, ist kostenlos und schneller!" Mein Fahrer weigert sich tatsaechlich die vereinbarten 300 Schillinge anzunehmen. Der nette Kerl schiebt mir das Geld zurueck, weil ich in Not sei und zweimal zahlen muesste und 250 seien genug. Unvergessen mein Lieber! Der Isuzu ist das versprochene Polizei-Fahrzeug und der Fahrer brettert wie ein Irrer. Die Sonne geht unter. Zwischen fuenf blutjungen Polizisten eingekeilt, schlaegt mein Kopf bei dem Gehoppel immer wieder gegen das Dach. Ein Mordsgaudi, bei der wir viel gelacht haben. Trotz wahnwitziger Raserei: als wir in Moyale ankommen ist es dunkel und die Grenze dicht, 19 Uhr- eine Std. zu spaet. Eine einzige Std. Verspaetung auf vier Tage Anreise. Die zwei Grenzbeamten muessen sich meine Geschichte anhoeren. Sie sind freundlich und hilfsbereit und rufen den Immigrationofficer zu Hause an und der sagt: No problem, man liesse mich morgen frueh ueber die Grenze. Die Polizisten fahren uns zum Hotel, wir essen und hauen uns in die Federn. geschrieben am 6.1. in Neapel
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