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Reisetagebuch

9/29/2005   Aethiopien / bei Yirga Alem

Alles im gruenen Brei

War ich gruen? oder: Was Fluegel verleiht.

(Harald) Die Floehe machen mich verrueckt. Nun soll man nicht glauben, dass sei lediglich eine Frage der Hygiene. Aethiopien hat auch die meisten Bettler aller Laender, die ich bereist habe und die sind meist voller Floehe. Und wenn du den Bettlern nichts gibst, riskierst du, dass sie dir Floehe in die Tasche stecken oder einfach auf dir absetzen. Sie halten sie eingepresst zwischen Daumen und Zeigefinger und hier an der Grenze, wo viele Weisse durchreisen, ist der Frust ueber das Wohlstandsgefaelle und der Aerger ueber den Geiz der Durchreisenden besonders gross.

In Aethiopien herrscht noch etwas mehr, als z.B. in Tanzania, die Haltung: "Du MUSST geben, sonst suendigst du. Wenn du mir nichts gibst, bist DU im Unrecht und ich bin im Recht- mir etwas zu nehmen, oder mich fuer das Unrecht zu raechen."

Aethiopien ist voller Hilfsorganisationen. Ich habe zwar keinen Beleg dafuer, neige aber zu der Annahme, das es nirgends in Afrika so viele NGOs (nichtstaatliche Organisationen) gibt, wie hier.

In Aethiopien ist man sehr stolz darauf, dass einzige, nie kolonisierte Land des Kontinents zu sein (bis auf ein Intermezzo der ital. Faschisten unter Mussolini von 1939-44). Eine siegreiche Schlacht 1896 gegen die Italiener, bewahrte die Aethiopier vor einem Schicksal wie z.B. Senegal, Guinea oder Angola. Von hier wurden keine Sklavenstroeme nach USA oder Europa geleitet.

Aethiopien ist auch eines der ganz wenigen Laender "Schwarz"-Afrikas (SSA- Sub-Sahara-Afrika), in denen eine Zivilisation entstand, also die fruehe Bildung von Staedten. Dies wurde sicher auch durch die Beruehrung mit Aegyptern, Meroe, Phoenizien, Israel, spaeter mit Arabern und anderen Voelkern beguenstigt. In der alten Koenigsstadt Gondar am Tanasee herrschten die Koenige Aethiopiens in Palaesten und den fruehen Seefahrern galt jahrhundertelang alles jenseits vom bekannten Aegypten als "Aethiopien", ein Begriff, der das "Terra incognita" ersetzte. Das so definierte "Aethiopien" reichte damals bis nach Zimbabwe und Suedafrika, wie zahlreiche alte Landkarten zeigen.

Jedes aethiop. Schulkind lernt heute noch in der Grundschule, dass die Aethiopier den Weissen ueberlegen (gewesen) seien, da sie sie in der Schlacht besiegt haetten. Es ist ausserdem kein Zufall, dass die Bewegung der Rastafaris bis heute in Aethiopien so lebendig ist, denn zu den (oft voellig unbekannten) Grundsaetzen der Rastafari-Bewegung gehoert die Annahme, dass die "weisse Rasse" der afrikanischen unterlegen sei.

So haben schon die Grundschueler verinnerlicht, dass sie einer ueberlegenen Rasse und Kultur angehoeren. Das dieser Stolz mit dem sich heute in Aethiopien zeigenden Bild nicht mehr vereinbar ist, wird so verdraengt. Ein Staat, der trotz fruchtbarer Erde, in grossen Teilen des Landes hervorragenden Klimas und ausreichender Wasservorkommen, nicht in der Lage ist, sich selbst zu ernaehren, eine Kultur, die fast ununterbrochen Kriege gebiert, sollte nicht derart unkritisch verherrlicht werden. Aethiopien koennte die Kornkammer ganz Nordostafrikas sein, hier quillt das Land von Bodenschaetzen ueber, im Sueden wachsen Obst und Gemuese das ganze Jahr, drei Ernten koennen manchmal eingefahren werden. In Aethiopien gibt es Krankheiten, wie z.B. Polio, die in fast allen anderen Laendern Afrikas ausgerottet wurden. Die orthodoxe Kirche hat grosse Macht und ist an manchem Dilemma nicht unschuldig- darueber will ich spaeter noch berichten.

Nationalstolz, Stolz auf eigene Herkunft und Tradition, sind zunaechst ja nichts Schlechtes. Aber in Aethiopien sind sie nicht realitaetskongruent, denn ohne NGOs ist das Land nicht ueberlebensfaehig und wuerde zerfallen. Aethiopien braucht dringend eine bessere Staatsfuehrung. Gerade dieser Tage droht z.B. ein erneuter Ausbruch des Krieges mit Eritrea, wie BBC und CNN warnen.

Jimmy hat durch mich bereits zwei Tage verloren. Entsprechend ungeduldig sind wir Beide. Wir fahren mit einem Taxi erneut zur Busstation, nur um zu erfahren, dass heute keine Busse nach Norden fahren. Also zurueck zum Polizei-Checkpoint am Ortsausgang Moyales. Hier halten alle kleineren Busse und LKW. Wir fragen uns bei den Conductern, Fahrern und den Leuten die warten, durch. In einem 30-Mann-Bus kaemen wir zwar bis Yavello, aber von dort nicht weiter.

Ich finde einen kenianischen Truck, der neu aussieht. Der Fahrer ist bereit uns mitzunehmen, allerdings ohne Sitzplaetze. Wir muessen hinter den Sitzen mit angezogenen Beinen sitzen.

Bevor wir abfahren koennen, sucht der Fahrer noch nach seinem Beifahrer, der wohl am Vorabend zu tief ins Glas geschaut hat: "HIer ist alles halb so teuer: das gute aethiopische Bier und die schoenen Maedchen" erklaert der Kenianer grinsend und schnalzt mit der Zunge. Von der Schoenheit der aethiopischen Frauen wird in ganz Ostafrika geschwaermt.

Der Fahrer faehrt mit einem Taxi in den Ort zurueck und sucht- erfolglos- seinen Kumpanen. So geht es erst spaet los und richtig voran kommen wir auch nicht, denn der LKW ist ueberladen. Statt der zugelassenen 27, hat der 6-Achser 40 Tonnen Papier geladen, die von Nairobi nach Addis gehen. Aethiopien hat fast keinerlei Industrie und muss alles teuer importieren.

Bergab geht es im Joggingtempo, sonst wuerden die Bremsen heisslaufen. "Viele Kollegen laden auf der Strecke Nairobi-Mombasa bis 60 Tonnen statt 27", rechtfertigt der Fahrer die quaelende Kriecherei.

Jimmy verschlaeft das Monument-Valley Aethiopiens, kurz vor Mega, der ersten Stadt im Sueden, gelegen. Drei, vier Meter hohe, pittoreske, weisse Termitenkamine ragen zu abertausenden mit 50 m Abstand aus der Baumsavane heraus. Ameisenhuegel mit mehr als sechs Metern Hoehe sind keine Seltenheit und mancher dieser Windfaenger erreicht ueber acht Meter. Hier hatte ich morgens beim Zeltabbau Besuch von einer Warzenschweinsau mit zwei Ferkeln, die mich quikend mit steil erhobenen Pinseln anstarrten. Diese Landschaft sollte unter Schutz gestellt werden.

Ein kurzer Stop; wir trinken selbstgegorenen Joghurt mit Zucker an einer Huette.

Wir erreichen Mega, das in einem kleinen Bergmassiv gelegen ist. Hier steht die erste vieler kleinerer Burgen des Landes. Dem aethiopischen Koenig waren Landesfuersten untergeben, die ihre Staemme beherrschten. Aus den Fehden gingen die Amharen siegreich hervor, die das westliche Hochland beherrschten und heute die Staatssprache stellen. Der groesste Stamm jedoch, der auch das Gebiet des heutigen Addis Abeba beherrschte, sind die Oromen.

In Mega waechst das begehrte Mera-a, dass in Aethiopien und Somalia "Tschatt" heisst, und die Drei decken sich mit oberschenkeldicken Buendeln von Blaettern ein, deren roetliche Spitzen sie von nun an, vier Std. lang, unermuedlich abrupfen und stundenlang abbeiseen und zu Brei zerkauen, der im Mund behalten und nur schlueckchenweise verzehrt wird. Mit dickgeplusterten Wangen rupfen sie wie in Trance, beissen und mampfen- es ist schon etwas widerlich erwachsene Maenner einer Sucht derart verfallen zu sehen. Mich ekelt diese stumme Gier, in der die Maenner Blaetter in sich stopfen, die Pupillen derart erweitert, dass sie wie staendig entsetzt aussehen. Das ganze Cockpit ist mit Zweigen und Blaettern uebersaet, denn alles wird einfach fallengelassen.

Die Aussicht ueber die Ebene hinter dem Mega-Massiv ist atemberaubend und reicht ueber 100 km. Wir kriechen in Serpentinen bergab, vorbei an Kakteenbaeumen und kahlgefressenen Grasebenen.

Yavello. Pause. Wir sitzen im Schatten von Sonnenschirmen auf einer Terrasse des besten Cafes am Abzweig, der nach Westen ins Omo-Valley fuehrt, einem der spannendsten Gebiete ganz Afrikas, in dem kleinere Staemme leben, z.B. die Turmi mit ihren riesigen Lippentellern.

Dann Agire Maryam. Hier bin ich seinerzeit zum letzten Mal mit Steinen beworfen worden.

Mit auf dem LKW sind zwei Aethiopier, die mit dem Fahrer eng befreundet sind. Einer ist taub und man verstaendigt sich mit einer selbsterfundenen Gestensprache. Der Taube haengt in fast zaertlicher Freundschaft an dem anderen Aethiopier - ueberhaupt ruehrt mich die offensichtliche Verbundenheit zwischen den Dreien. Immer wieder warnen die beiden Aethiopier, die die Strecke im Schlaf zu kennen scheinen, den kenianischen Fahrer vor engen Kurven und starken Gefaellen.

Mittlerweile sind die Augen der Maenner glasig und leicht geroetet vom Tschatt und die Unterhaltung wird teilweise schwieriger. Tschatt haelt wach und der Kenianer deutet gestisch auch an, was es sonst noch so zu foerdern in der Lage sei. Manche Maenner verfallen im Tschatt-Rausch in dumpfes Brueten, andere plappern ohne Pause und die meisten reden wirres Zeug. Das Zeug ist ein Amphetamin wie Kokain und diese Stoffe waren das Wunderingredenz der fruehen Koka-Kola, die ja als Medizin entwickelt wurde. Nach Verbot von Kokain wurde es in der Coca-Cola-Rezeptur durch das bis heute zulaessige Koffein ersetzt, das wiederum bis heute Fluegel verleiht.

Jimmy kaut ebenfalls mit. Ich kenne den Geschmack- es schmeckt wie es aussieht: gruen.

Abwechselnd schlafen alle, fuenf Leute auf engstem Raum. In der Nacht erreichen wir einen kleinen Ort. Jimmy und ich muessen den ueblichen Touristenaufschlag zahlen, da hilft kein Protest. Das Hotel hat eine kleine Bar und trotz voelliger Uebermuedung trinkt John, der Fahrer, Bier und schaut mit einem versonnenen Laecheln den Huren beim Locktanz zu.

In Aethiopien gehoeren Huren zur Grundausstattung aller Hotels jeder Kategorie. In den feinsten 5-Sterne-Haeusern kommen sie von ausserhalb, nur die schoensten kassieren bei den Touristen reichlich ab und teilen die, fuer Landesmasstaebe satten Einnahmen, mit den Managern. 100 USD sind fuer den Unterhalt eines ganzen Monats genug. In den billigen Hotels wohnen sie in eigenen Zimmern und gehoeren zum Personal. Morgens stoeckeln sie unueberhoerbar aus den Zimmern- sie bleiben die ganze Nacht und die meisten ihrer Kunden sind betrunken, da das Trinken ueblich ist. Dann wird alle Vorsicht fahren gelassen und die Freier verlangen von den Maedchen ungeschuetzten Verkehr.

So hat auch Aethiopien eine offizielle Infektionsrate jenseits der 20 % und die LKW-Fahrer verteilen den Virus ueber die Grenzen im ganzen Kontinent.

John ist der dargebotenen Hueftflexibilitaet einer der Damen schon hilfslos verfallen und ich lasse ihn mit dieser Aussicht alleine.

Irgendwie muss es fuer ihn jedoch nicht wirklich erbaulich weitergegangen sein, denn am Morgen ist er wortkarg und uebellaunig.

geschrieben am 17.1. in Krefeld


 


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