9/30/2005 Aethiopien / Addis Abeba
Rift-Valley-Se(h)en
Abschied von Jimmy
(Harald) Im Morgennebel geht es weiter, langsam, ganz langsam. Die Landschaft bei Sonnenaufgang ist zum Verlieben. Bergketten ragen aus dem Dunst der Taeler, Palmensilhouetten, riesige, lianenbehangene Feigenbaeume, dunkelgruene Blaetterballons der Mangobaeume, die Koenige der Obstbaeume. Die Strassengeher sind zu tausenden unterwegs, mehr als in anderen Laendern in Afrika, gehen die Aethiopier zu Fuss. Barfuss viele, riesige Buendel von Feuerholz und elastischen Zweigen auf dem Kopf, Radler mit Mehlsaecken auf den Eisenstaendern ihrer Fahrraeder. Morgens verhuellen die Menschen hier ihren Kopf mit einer Bahn ihrer Togas, auch die Maenner sehen dann aus wie verschleiert. Auf dem Land tragen sie umbragruene, kurze Hosen, aus denen beunruhigend duenne Beine schauen, ueber deren Zaehigkeit man sich nicht taeuschen sollte. Feuchter Dschungel umgibt uns, Kaffeeplantagen bedecken die Haenge der Huegellandschaft. Hier platzt die Natur von Fruchtbarkeit und liefert ganzjaehrig Mangos, Ananas, Avokados, Papayas, Aepfel und alle Sorten Gemuese, vor allem Zwiebeln und Tomaten, Kartoffeln und natuerlich Mais. Bei genauem Hinsehen sieht man jedoch auch die vielen unbestellten Feldflaechen, deren Nutzung es dem Land ermoeglichen wuerde, den ganze Staat und vielleicht sogar Somalia, mit Vitaminen und Abwechslung im Speiseplan zu versorgen. Wir durchqueren das Land der Sidamos, einem der kleineren Staemme mit eigener Sprache. Die Frauen flechten ihr Haar zu kunstvollen Frisuren und sparen dabei nicht mit glaettendem Fett. Ihre Kleidung ist farbenpraechtig. Die Stadt Awassa, eine der groessten des Landes. Bei einer Fruehstueckspause zeigt sich Jimmy mit mir einig, dass wir in diesem Tempo Addis Abeba heute entweder nicht mehr, oder erst in der Nacht erreichen. Also zahlen wir uns bei John aus und fahren mit einem Taxi zur Busstation. Jimmy will mit einem der groesseren Busse weiterreisen, ich setze zum schnelleren Fortkommen eher auf die Minibusse. Es ist Jimmy, der sich entscheidet, getrennt weiterzufahren und ich lasse es geschehen. Ich weiss nicht, warum es so geschieht, aber ich tue nichts dagegen. Man begegnet sich, verbringt eine Zeit miteinander, dann trennt man sich. "Wir sehen uns in Addis- mal sehen, wer schneller da ist!" Ich sollte Jimmy nicht mehr wiedersehen und behielt den Hut, den er mir geliehen hatte, im Gepaeck. Markantester Punkt Awassas ist der gleichnamige See, in dem es noch Nilpferde und Krokodile gibt. Der See gehoert zu den zahlreichen Seen im Rift-Valley, dessen Verlauf ich auf meiner Reise zum groessten Teil gefolgt bin. Auf einen der noerdlichsten Seen, den See Genezareth, stiess ich bereits nach dem Grenzuebertritt von Jordanien nach Israel. Hinter Jerusalem folgte ich dem Ufer des Toten Meeres, der tiefsten Depression der Erde. Von dort ging es AUFWAERTS zum Meer, dem Golf von Aqaba und nach Eilat. Der Golf muendet in das Rote Meer, wo sich die Spaltung der arabischen Platte von der afrikanischen fortsetzt. Hier in Aethiopien stiess ich dann suedlich von Addis Abeba wieder auf die Rift-Valley-Seen (der Lake Tana gehoert nicht zum System und ist nur wenige Meter tief). Bei meiner zweiten Radreise durch Kenya stiess ich in Loyangalani auf den Lake Turkana. Von hier spaltet sich das Rift-System in zwei Linien, dessen oestlicher ich folgte: Mein Ausflug zum Lake Nakuru, mit seinem kleinen, wildreichen Nationalpark und hunderttausenden Flamingos, vorbei am Lake Naivasha. Mit Oliver beim Wandern am Rande der Serengeti, nahe des Ngorongoro-Kraters, stiess ich auf den Lake Natron und dann wieder hinter Mbeya in Tansania auf den Lake Malawi (oder auch Lake Nyala genannt), wo die beiden Bruchlinien wieder zusammenlaufen. In Tete, Mosambik ueberquerte ich den Zambezi, dessen Delta weiter suedoestlich die Abbruchstelle von Madagaskar markiert, dass ehemals zum afrikanischen Festland gehoerte. Die Verschiebung der tektonischen Platten ist durch die Erdrotation bedingt, bei der sich die, auf dem fluessigen Erdinneren schwimmende, Erdkruste verschiebt und Risse und Auffaltungen hervorruft. An diesen Rissen bilden sich Vulkane, wie der Mt. Kenya, den ich in Nanyuki viermal gesehen, sowie der Mt. Meru, den ich von Arusha aus mit Oliver besucht habe und der Kilimandscharo bei Moshi, sowie der aktive Lengai, den Oliver und ich am Ende der Engaruka-Tour sahen. Ueberall waechst hier Tschatt. Haendler warten mit Saecken voller Buendel auf Transport. Die Gehsteige, Cafes, Treppen, Gehwege sind mit Blaettern uebersaet, an denen sich die Ziegen sattfressen. Wie stoned muessen die Viecher sein! 3o km weiter Shashemene, die groesste Stadt suedlich von Addis. Nach dem Mittagsessen steige ich hier in einen Grossbus um. Neu in Aethiopien ist, dass jetzt-wenigstens offiziell- nicht mehr Fahrgaeste mitgenommen werden, als Sitzplaetze vorhanden sind. Gerast wird allerdings auch hier immer noch. Polizeikontrolle am Ortsausgang von Shashemene. Alle Maenner muessen aussteigen, die Frauen bleiben im Bus. Ich bleibe einfach ebenfalls im Bus sitzen, denn es handelt sich um eine Waffenkontrolle und hat je ein weisser Tourist in Aethiopien einen Ueberfall veruebt, oder einen Anschlag? Die Passagiere werden einer Leibesvisitation unterzogen, dass Gepaeck wird abgetastet. Nur ich und mein Gepaeck bleiben unbehelligt. Grund fuer die Kontrolle: fuer uebermorgen sind landesweite Proteste von Oppositionskraeften angesagt, die mit dem kuerzlichen Ausgang der Parlamentswahlen nicht einverstanden sind. Es soll zu massiven Manipulationen und Betrug gekommen sein. Die Staatsfuehrung hat die Demonstrationen abgesagt, weil sie Ausschreitungen befuerchtet. Wir erreichen Debre Zeit, dahinter die zweite Kontrolle. Hier muss auch ich aussteigen und werde abgetastet. Weiter. Addis, neuerliche Waffenkontrolle. Man meint es ernst, denn die Volksseele kocht. Niemand kann pruefen, inwieweit die Wahlen tatsaechlich manipuliert waren, aber niemand kann glauben, dass eine Regierung wiedergewaehlt wurde, die so wenig fuer das Volk getan hat. Und schon wieder ist von neuem Krieg gegen Eritrea die Rede. Am groesseren von zwei Busstationen frage ich einen Taxifahrer nach dem Preis. Der verlangt statt angemessenen 3-4 Birr dreist 30. Ich kann da nur lachen. Da ich aus dem Busbahnhof komme, hat der Fahrer gedacht, ich sei neu im Lande und kennte ausserdem die Entfernung zum Zentrum nicht. Er waere wahrscheinlich mit mir spazierengefahren, um mehr rauszuschlagen. Einen ehrlichen Taxifahrer wird man in Afrika nur sehr selten finden. Der Fahrer faehrt mir auf die andere Strassenseite hinterher und bietet durchs offene Fenster niedrigere Preise an, statt einfach auf neue Fahrgaeste zu warten. Klar, denn ich wuerde in jedem Fall ein Vielfaches zahlen. Ich sage dem Kerl, dass ich jetzt mit dem Minibus fuer 1 Birr zur Piazza fahre und da gibt er auf. Im 100 Jahre alten Kolonialhotel "Taitu" nehme ich ein Zimmer. Weisse Fassaden, schwarze Balken, alles stark heruntergekommen. Die Kellnerinnen und die Dame an der Rezeption erkennen mich sofort. Grosses Hallo. Wo meine Frau sei und der taetowierte Mann. Ich frage nach Barakat, dem Jungen mit Polio auf Kruecken. Niemand hat ihn seit langem gesehen, aber er soll einen anderen Touristen gefunden haben, einen neuen Goenner. Der Junge wird seinen Weg machen mit seiner charmanten Art. Ich bin mit Flohstichen uebersaet. Aber es gibt erst kein Wasser, spaeter ist das einzige, funktionierende Bad fuer den ganzen Trakt ununterbrochen besetzt. Ich gehe Essen und stopfe mir, wie gewohnt, zum Schlafen Papiertaschentuchkuegelchen in die Ohren, denn ab ca. 23 Uhr beginnt die Trunkenbold-Hurenralley. geschrieben am 17.1. in Krefeld
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