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Reisetagebuch

10/1/2005   Aethiopien / Addis Abeba

So lasst uns denn ein Apfelbaeumchen pflanzen, oder: Rosinen auf Afrika

Wie kann man Afrika helfen?

(Harald) Morgens geniesse ich die Fruechte der wohl kuerzesten Kolonialzeit Afrikas, indem ich Macchiato im "Raizel-Cafe" trinke. Neben den Spaghetti, die man auch fast ueberall bekommen kann, sind die verschiedenen Kaffeezubereitungen aus italienischen Maschinen das kulinarische Ueberbleibsel der italienischen Aera Aethiopiens. Die Inder brachten zudem Tschapati und Szamosza ins Land, waehrend man "English Breakfast" mit Wuerstchen und Speck fast nirgends bekommt, anders als z.B. in Kenya, Zimbabwe oder Suedafrika.

Die Leib- und Magenspeise der Aethiopier, Volkes Kost Nr. 1, ist das Indschera, ein schaumiger, riesiger, wenige Millimeter duenner Fladen aus Sorghum-Mehl. Sorghum (ital.), eine Hirseart, ist eines der trockenresistentesten Getreidesorten und uebersteht die saisonalen Duerrezeiten. Es ist ein Suessgras und enthaelt viel Zucker, gaert daher gut und so verwundert es nicht, dass viele Aethiopier haeufig und reichlich "Tella" trinken, ein schwachalkoholisches Hirsebier, dass geradezu eimerweise genossen wird.

Mir schmeckt weder das Eine, noch das Andere wirklich. Aber ohne Indschera zu essen, kommt der Radreisende nicht durchs Land, denn Indschera gibt es ueberall und bereits zum Fruehstueck, meist reichlich mit Chilipulver gewuerzt. Ausschliesslich und ganztaegig, nur mit Wasser oder Tella gegessen, ueberreizt das Chili nicht nur das Verdauungssystem, sondern stellt auch eine Mangelernaehrung dar, die von Aerzten in Aethiopien immer wieder beklagt wird, die viele Patienten mit lebensgefaehrlichen Darmverklebungen behandeln muessen. Eine einseitigere Ernaehrung als in Aethiopien habe ich nirgends gesehen.

Es ist angenehm, nach der anstrengenden Reise irgendwo anzukommen und bleiben zu koennen. Im sauberen, gut sortierten "Raizel-Cafe", umgeben von westlich-luxorioes gekleideten Aethiopiern und ein paar weissen Nordwestlern, versuche ich bei Sandplaetzchen und Apfelkuchen zu vergessen, was da draussen, direkt vor der meist offen stehenden Glastuere los ist. Wenn man beim Macchiatoschluerfen und Genuss von Sahnekuchen zur Tuere hinaussieht, kann sich einem die Genussfreude eintrueben. Da stehen die spindelduennen Alten, halten ihre lepraverfaulten Handstummel hinein, gleich vertrieben vom Geschaeftsfuehrer, der weiss: hier drinnen moechte Addis Abebas Jugend mal fuer kurze Zeit die allgegenwaertige Armut verdraengen. Bettler sind laestig und verderben das Geschaeft, es schmeckt einem einfach nicht mehr richtig, wenn jemand, der fast umfaellt vor Hunger, mit aus den Hoehlen tretenden Augen auf deinen mit Pommes und einem riesigen Hamburger bedeckten Teller starrt. Das ist nicht schoen. Das muss nicht sein.

Damit die Bikinischoenen und ihre Goenner im Sheraton beim Cocktail nicht auf die gleich nebenan gelegenen Blechhuetten schauen muessen, die ihnen das Sonnenbad am Pool vermiesen wuerden, hat man dort Holzwaende aufgestellt und mit gruenen Wiesen, Baeumen und Blumen bemalt.

Ich werde gelegentlich in Mails gefragt, wie man Afrika sinnvoll helfen soll. Ich moechte mich nicht druecken um klare Stellungnahmen, wenngleich pauschale Antworten nie der jeweiligen Gemengelage gerecht werden koennen. Aber so pauschal wie vertretbar: gebt den Regierungen in Afrika kein Geld, solange sie von Korruption zerfressen, von unstillbarer Gier bestimmt sind. Man kann sich den Zynismus dieser Machtmenschen nicht vorstellen, die staendig nur darauf lauern, wie sie an die naechsten Kredite, Entwicklungshilfezahlungen oder zu verhoekernden Hilfslieferungen kommen koennen. Viele dieser Staatsmaenner interessiert nicht, ob ihr Land die aufgenommenen Kredite wird je zurueckzahlen koennen. Sie versprechen alles und halten wenig.

Das ist hier in Aethiopien nicht anders. Waehrend das eigene Volk zu hunderttausenden an Hunger starb, gab die Regierung unter dem Soldatendiktator Mengistu jaehrlich 20 Millionen USD fuer Waffen aus, um Krieg gegen die Provinz Eritrea zu fuehren. Fuer Pensionen der verstuemmelten Soldaten war dann aber kein Geld mehr da. Wuerde die internationale Gemeinschaft nicht gelegentlich Druck ausueben, wuerde um einen voellig unwichtigen Wuestenstreifen immer noch Krieg gefuehrt. Mengistu lebt heute im Schutz Robert Mugabes in Zimbabwe, unbehelligt vom internationalen Gerichtshof. Ich kann mich nicht erinnern, mal gelesen zu haben, dass die USA oder die EU sich um seine Auslieferung bemueht haetten.

Der Gute ist oft einfach am Ende nur der Schwaechere, weil er vor eigenen Intrigen zurueckschreckt, die ihn retten koennten. Das ist das Credo der vielen Diktatoren, die nach der Kolonialzeit an die Macht kamen: nur der Staerkste ist im Recht.

Die Postkolonialzeit dauert in vielen Laendern Afrikas noch an, stabile Verhaeltnisse sind noch nicht erreicht. Afrika ist im Umbruch und in solchen Zeiten kommt es auch zu Gewalt und Rueckfaellen.

Nun soll man nicht meinen, dass sei "typisch Afrika". Man erinnere sich nur an die europaeische und deutsche Geschichte. Diktaturen und Barbarei gab es erst unter Zaren, Kaisern und Koenigen, dann unter Faschisten und KP-Fuehrern. Kindersoldaten? Da brauchen wir nicht zu den Kinderkreuzzuegen zurueck: im 1.WK gab es "Kinderheere", die im Oktober 1914 von den deutschen Generaelen verheizt wurden. Und die "Hitlerjugend" bildete dessen letztes Aufgebot.

Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion kam es zu zahlreichen Kriegen, z.B. in Tschetschenien.

Wie schnell der Rueckfall aus der so stolz hochgehaltenen Zivilisiertheit in die Barbarei vonstatten gehen kann, zeigte noch vor einer Dekade der Balkankrieg. Und bis heute begreifen selbst die Deutschen nicht so recht, wie es sein konnte, dass eines der gebildetsten, kultiviertesten Voelker Europas sich zum Werkzeug beim groessten Genozids der Menschheitsgeschichte machen liess.

In New Orleans, in den franzoesischen Grossstaedten- ueberall zeigt sich 2005, dass der Mensch sich nie aendern wird, sondern nur das System, mit dem er erzogen und unter Kontrolle gehalten wird.

Und fuer eine Entwicklung zu stabilen Verhaeltnissen braucht Afrika a priori eines: Zeit. Optimistisch betrachtet 30-50 Jahre. Wer sich heute der Rosinenbomber erinnert, an den Grossmut und die tiefe Menschlichkeit der amerikanischen Sieger, der sollte heute "Rosinen" auf Afrika werfen. Nicht nur wg. der geschichtlichen Verantwortung, die aus Versklavung und kolonialer Unterdrueckung ruehrt. Nicht nur, weil wir mit Eindringen in den Kontinent, mit dessen andauernder Ausbeutung, involviert sind; ob wir das gut finden oder nicht. Ich will gar nicht ausmalen, was geschehen wuerde, wenn sich Hunderttausende nach Spanien und Italien aufmachten- die Erschossenen in Marokko, die Bootsfluechtlinge im Mittelmeer sind da ein erster Vorgeschmack.

Wir sollten helfen, weil ich glaube, dass wir sonst Afrika verlieren werden, wenn wir das Bauen von Schulen und Krankenhaeusern extremeren Zeitgenossen ueberlassen, fuer die das immer noch "Kreuzzuege" sind, oder schlicht eine Geschaeftsanbahnung. Der Krieg gegen den Terror wird nicht vornehmlich gegen Menschen zu fuehren sein, sondern gegen Armut und Leid. Man gewinnt Menschen nicht durch Sieg, sondern durch offene Herzen, durch Respekt, Menschenliebe und gutes Beispiel.

Und wir muessen helfen, weil wir gar nicht anders koennen. Sonst verrieten wir genau das, was wir fuer eines unserer hoechsten Gueter und Errungenschaften halten: die Menschlichkeit, die Pflicht zur Naechstenliebe, das Gebot der Hilfeleistung. Zivilisiert, gebildet, demokratisch, christlich- wir haben keine Wahl.

Selbst wenn wir sicher wuessten, dass es am Ende nicht gelaenge, Afrika "zu helfen"- es waere nie vergeblich. Weder fuer die Zielpersonen, noch fuer uns selbst. Das ist einer meiner "letzten Saetze" bei Diskussionen, die im Tenor gefuehrt werden, dass Afrika ein Schwarzes Loch sei, in dem alles nutzlos versinke, viel zu gross, viel zu gewalttaetig, ach was auch immer. Luther setzte gegen diese Misanthropie: "Und wuesst ich denn, dass morgen die Welt unterginge, so pflanzte ich doch heut mein Apfelbaeumchen." Ernst Bloch nannte diese Haltung das "Prinzip Hoffnung".

Meine praktische Empfehlung fuer Hilfe ist: geben Sie ihr Geld anerkannten, erfolgreichen Hilfsorganisationen wie "action medeor" und "Menschen fuer Menschen", oder kleinsten, leicht zu ueberschauenden und zu kontrollierenden, wie z.B. "HOKISA". Oder uebernehmen sie eine Patenschaft fuer ein Kind bei SOS-Kinderdorf, unterstuetzen sie kleine Schulprojekte. Dort gibt es i.d.R. keine Korruption und man legt ihnen Rechenschaft ab ueber alle Projekte und Geldfluesse. Solche Hilfsorganisationen lassen sich auch nicht von Politikern instrumentalisieren. Vorsicht bei unbekannten Projekten ist jedoch angebracht.

Besuchen sie bei ihrem naechsten Urlaub mal ein Krankenhaus, eine Schule oder eine Hilfsorganisation, zeigen sie Interesse an den Menschen, begegnen sie ihnen privat- ohne falsche Romantik wohlgemerkt. Und treten sie denen zu Hause entgegen, die immer noch z.B. "Neger" sagen oder "Eingeborene".

Sehr wuenschenswert waere die Aufhebung des anachronistischen Schweizer "Bankgeheimnisses". Denn auch dort, in der ueberfluessig bis laecherlich gewordenen Neutralitaet, lagern die Milliarden, die gespendet wurden und von der korrupten Machtelite Afrikas in den Nummernkonten verschwinden. Wie will, frage ich mich manchmal, ein Schweizer Banker eigentlich Korruption in Afrika anprangern, ist er es doch, der diesen Aasgeiern einen sicheren Hafen fuer deren, dem armen Volk ausgesaugten, Milliarden bietet.

Es gibt so Vieles, was getan werden koennte. Hier kann und will ich das nicht weiter ausfuehren. Davon soll mehr in einem Buch die Rede sein, an dem ich jetzt arbeite.

Zurueck nach Addis, zu Kaffee und Kuchen.

Wenn ich so im Cafehaus sitze, wird mir klar, wie reisemuede ich bin. Wie muede ueberhaupt. Aber jetzt liegen intensive Wochen vor mir: ich will versuchen, fuer die beiden Brueder, deren Schwestern nach Italien adoptiert wurden, einen Schulplatz und noch wichtiger: ein neues Zuhause zu finden. Dann fahre ich nach Bahir Dahr, wo ich die Jungs zu finden hoffe. Wenn sie einverstanden sind, will ich sie nach Addis mitnehmen und unterbringen und zusammen mit meinen italienischen Freunden zukuenftig unterstuetzen.

geschrieben am 19.1. in Krefeld


 


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