10/7/2005 Aethiopien / Addis Abeba
Seven Days Adventist Boarding School
In den Strassen von Addis / eine neue Schule fuer die Buben?
(Harald) Freitag. Ich fahre mit einem Minibus von der Churchill-Road hinunter Richtung Hilton und dann aus der Stadt hinaus Richtung Sueden nach Akaki. Wer auf die Schnelle einen Eindruck vom "wahren" Addis bekommen will, sollte mit den kleinen Lasttaxis fahren. Man versteht Vieles durch einfaches Zusehen und Zuhoeren. Am Busbahnhof z.B. sieht man die Fliegenden Haendler, die den wartenden Fahrgaesten anbieten, was billig und schnell zu verzehren ist. Sie reichen ihre Kartons voller Zigaretten, Kekse und Kaugummis zu den Fenstern der Ueberlandbusse hinauf. Die Mamas sitzen auf Decken oder Schemeln vor ihrem Obst. Vor den Toren sitzen die Taxifahrer in ihren blau-weissen Taxis der Marke Lada. Sie stiegen selten aus, denn eine Odnung, wer den naechsten Fahrgast zugeteilt bekommt, gibt es nicht und so muessen sie stets am Start sein. Dann werden aus scherzenden Kollegen binnen Sekunden eifrige Konkurrenten, die sich gegenseitig die Fahrgaeste abzuwerben versuchen und selbst Schlaegereien kommen vor. Da sind die Polizisten, viele in zu kleinen oder zu grossen Uniformen. Ein Dieb ist erwischt worden und der Polizist zelebriert seine Macht. Ich sehe beim Halt, dass der junge Dieb sich mit beiden Haenden an einem Laternenpfahl festhaelt und der Polizist ihm wiederholt mit der Faust und dem Ellbogen ins Gesicht schlaegt, wobei er ihn anschreit. Er hat dem Dieb offensichtlich befohlen, den Pfahl nicht loszulassen und der darf sich nicht mal ducken wenn die Schlaege kommen. Mir ist diese fast sadistische Vorgehensweise zuwider, aber die Fahrgaeste verteidigen den Polizisten auch. Z.B. die stummen Kommandos der Conductoren. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem der Conductor meint, er sei richtig zum Kassieren, murmelt er vielleicht etwas, meist jedoch stoesst er dich lediglich von hinten mit dem Finger an oder drueckt mit dem Handruecken auf deine Schulter. Sitzt du zu weit weg, zischt oder pssstet er dir zu, wie man es in D. nur bei Tieren macht. Daran muss man sich gewoehnen und darf es nicht persoenlich nehmen. Fahrgaeste werden wie Vieh in die Wagen gestopft, so dass selbst die Geduldigen und Leidgewohnten manchmal protestieren. Die Fahrer kauen Mera oder rauchen Dope, um den Dauerstress der Hektik, des Verkehrs und der langen Fahrdauer auszuhalten. Will ein Fahrgast aussteigen oder der Conductor, der aus dem offenen Fenster haengt und das Fahrziel zu den Passanten hinausschreit, seiht einen moeglichen Fahrgast, haut er mit der Hand auf die Karosserie. Das ist das Signal fuer den Fahrer zum Halt oder zum Weiterfahren, gesprochen wird wenig. Das Papiergeld ist Afrikas Zahlmittel Nr. 1, nicht die Muenze, denn die sind durch die grassierenden Inflation meist nichts mehr wert und das Praegen ist teurer als das Drucken. Deshalb findet man in vielen Laendern Afrikas Muenzen auf der Strasse- hundertmal mehr als z.B. in D., wo niemand Geld wegwirft. In einer Geselschaft, in der eine Muenze weniger als ein tausendstel EUR wert ist, weniger als eine Reisszwecke, verkommt das Sprichwort "Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert" zur Farce. Dabei verpasst niemand eine Chance zu lachen, zu albern, eine Geschichte zu erzaehlen, schnell von Autofenster zu Autofenster. Fahrer sein, ist in Afrika etwas Besonderes, einen eigenen Wagen zu haben bedeutet Wohlstand. Ziegen fressen, was kein Bettler isst und keine Muellabfuhr beseitigt- selbst in der Hauptstadt weden immer wieder kleinere Herden durch die Strassen getrieben. Auf den Gehsteigen, die je nach Breite ein- oder zweiseitig mit Staenden verengt sind, rutschen die Polios auf ihren Autogummiunterlagen ein paar hundert Meter am Tag. Ein Rollstuhl ist den Gluecklichen vorbehalten, die einen weissen Goenner oder mal eine Hilfsorganisation gefunden haben. Einer bekommt von mir stets etwas zugesteckt: er heisst Negelamich (sprich: Naegelaemmitsch). Der Mann ist 35 Jahre alt und erkrankte mit 13 an Polio, also 1983. Ihn hat es furchtbar erwischt, denn beide Beine sind nur noch halbtote Stecken und beide Arme verkrampft. Wenn er mein Geld annimmt, lege ich es ihm in seine viel zu schlanke, gebogene Hand und dann laechelt er freundlich. Um mit ihm zu sprechen, hocke ich mich hin, waehrend mich die Massen dicht umfluten. Da hier jeder ein untruegliches Gefuehl fuer eine Situation hat, aus der heraus er eine Chance hat etwas Geld zu verdienen, haelt meist binnen kuerzester Zeit ein Passant und fragt uns beide, um was es geht, um dann zu uebersetzen. Aus Dankbarkeit koennte ich ja ein Essen spendieren oder etwas fuer die eigenen Probleme springen lassen. Solche Hilfe wieder loszuwerden, ist dann manchmal muehselig und geht nicht ohne klare Worte ab. Da viele Auslaender nicht "Nein" sagen koennen, ohne gereizt zu werden, muss man sich ueber das dicke Fell der "Helfer" wundern. Die tausenden von Strassenhunden rotten sich zu bunten Rudeln zusammen und es ist eine Freude zu sehen, wie diese geschundenen Kreaturen miteinander umgehen. Ich glaube fest daran, dass viele Tiere lachen koennen. So auch Hunde. Wenn sie sich gegenseitig pflegen, miteinander balgen, so sehe ich Lebensfreude. Die Hunde leben buchstaeblich bei den Bettlern, die auch das ganze Jahr auf der Strasse schlafen. Mitten im Zentrum, an der Piassa, haben sie sich aus Kartons und Plastikfolien Verschlaege gebaut, umgeben von den Hunden. "Du sollst auch nicht leben wie ein Hund" ist ein Anspruch, der hier fuer viele Tausende nicht eingehalten wird. Mein Minibus erreicht die Aussenbezirke der Stadt. Hinter den ersten Huegeln, die die Stadt dreiseitg umgeben, liegt in einem gruenen Tal der Ort Akaki. Die amerikanisch-protestantische Adventistenkirche hat hier eine Schule gebaut, die von Aethiopiern geleitet wird. Nur die Finanzen werden von einem Afro-Amerikaner verwaltet, nachdem es mehrfach zu Betrug der aethiopischen Manager und ihrer Schatzmeister gekommen war. Das riesige Gelaende sieht wie ein kleines Paradies aus. Grosse Zypressen, Fichten, Eukalyptusbaeume, rot-bluehende Buesche, gepflegte Wege, zwitschernde Voegel. Der Wachmann am Tor gibt sich zufrieden, da ich Weisser bin. Ein Lehrer spricht mich gleich an und fuehrt mich zum Haus des Direktors, den ich Wochen vorher bereits kontaktiert hatte, der mir jedoch auf meine Mail nicht antwortete. Seine Frau holt ihn, obwohl Ato (Herr) Nigatu ausser Dienst ist, herbei. Ich mache es kurz und er auch. Freundlich sasgt er "Ja" zu meiner Frage, ob ich die zwei Jungs aus Bahir Dahr hier unterbringen koennte. Aber da hier selbst Minister ihre Kinder unterrichten lassen, ist es eine teure Einrichtung- jedenfalls im Landesmassstab. Ich streune durch das Gelaende, um mir ein Bild zu machen und begegne erneut dem Lehrer. Er heisst Ato Arega Sima und erklaert mir, dass hier bis zum Collegeabschluss (unserem Abitur vergleichbar) unterrichtet wird. Es ist ein Internat, aus dem Waisenknaben wie Andargatschu und Molugetta nur einmal im Monat am Wochenende heraus kaemen- sofern sie eine Adresse haben, was nicht der Fall waere. Ato Arega zeigt mir die Schlafraeume, in denen bis zu 18 Schueler auf engstem Raum in Doppelbetten schlafen und sich je zwei einen Spind teilen. Das Essen findet in einem Saal statt, der gerade von Schuelern gesaeubert und dessen Boden mit Massen von Indschera uebersaet ist. "Wir essen hier nur vegetarisch." Tja, die Adventisten. Uebertragen ihre hehren Grundsaetze ohne Komma von den USA auf Aethiopien. Hier ist jeder um ein Stueck Fleisch verlegen, da es sowieso kaum Abwechslung im Spesieplan gibt und die aethiopisch-orthodoxen Christen (sofern sie nicht "zwangskonvertiert" wurden) auch noch 150 Fastentage im Jahr einhalten muessen, andenen das Essen von tierischen Produkten, wie Milch und Eiern und somit auch Nudeln, verboten ist. "Wir halten hier ein paar Kuehe, Ziegen und Huehner", zeigt mir Ato Arega. Um nach dem verwehrten Fleischkonsum wenigstens etwas Eiweiss zu sich zu nehmen, werden die Schueler also ihre Fastengebote verletzen und Milch trinken und Eieer essen. Zum Lehrplan der 7-Tage-Adventisten gehoert die creationistische Lehre, wonach es keine Evolution gab und gibt und der Mensch keine gemeinsamen Vorfahren mit den heutigen Menschenaffen hat, sondern die Schoepfung so und vor 7000-8000 Jahren stattfand, wie es im Alten Testament steht und interpretiert wird, also auch an "sieben Tagen". Die Schoepfungsgeschichte wird nicht als symbolisch und Legende angesehen, sondern wortwoertlich genommen. Diesem Weltbild folgen fast alle Kabinettmitglieder von Bush jun. Und fuer diese fundamentalistische Bibelsicht gilt auch das Versprechen als verbindlich, dass Gott den Juden machte, der diesen das "Heilige Land" als das ihrige versprach. Trotz aller meiner Bedenken ist diese Einrichtung immer noch ein Segen fuer die Jungs aus Bahir Dahr, verglichen mit den Umstaenden ihrer letzten Lebensjahre und ich bin erleichtert, eine Loesung gefunden zu haben. Bis zum Beginn des neuen Schuljahres im Februar muss ich jetzt noch eine Unterkunft fuer die Jungs finden und auch eine Heimadresse, damit sie das Gelaende mal verlassen koennen. Ich verlasse das parkaehnliche Gelaende unter dem halbkreisfoermigen Metallschild der "Adevntist Mission Boarding School" hindurch. geschrieben am 25.1. in Krefeld
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