Home Page english version deutsche Version

  Worum es geht...
  Highlights der Reise
  Ueber Harald Radtke
  Zeitungsartikel

  Tagebuch (952 Eintr.)
  Lesermeinungen
  Leseproben
  Reiseroute
  News Archiv

  Pamphlet zur Faulheit

  Laenderinformationen
  Literatur

  Kontaktformular
  Mediainfo/Fotos
  Impressum


Reisetagebuch

10/10/2005   Aethiopien, ca. 40 km vor Bahir Dahr

Ethiopia, Abyssina!

Die Schlucht des Blauen Nil

(Harald) Ich stehe um vier Uhr auf. Den Grossteil meines Gepaecks lasse ich im Hotel. Leider gibt es wieder Probleme wg. der Zimmermiete, wofuer der kassierende Nachtwaechter keine Quittung ausstellt und somit nicht bewiesen werden kann, dass ich bereits bezahlt habe. Da mir die Zeit fuer lange Diskussionen fehlt, deute ich auf mein Gepaeck und mache dem Mann, der kaum ein Wort Englisch versteht, klar, dass ich ja in jedem Fall zurueck komme und wir das dann klaeren koennen. Dieses Gegiere ums Geld nervt furchtbar.

Ein Taxifahrer will wieder ein Vielfaches des Preises und ich lasse ihn sofort stehen und sage ihm, dass ich einfach zu Fuss gehe. Er faehrt mir nach und lenkt ein. An der Busstation angekommen, verlangt er ploetzlich einen hoeheren Fahrpreis und als ich auf dem vereinbarten Preis bestehe, will er mir das Wechselgeld nicht herausgeben. Ich bin nicht in der Stimmung fuer lockeres Nachfeilschen, ziehe einen Kuli und ein Stueck Papier aus der Tasche und steige sofort mit den Worten aus: "Kein Problem. Ich hole einen Polizisten." Damit er nicht fluechten kann, stelle ich mich vor sein Auto, schreibe ostentativ seine Nr. auf und als ich einen jungen Mann anhalte und ihm sage, er solle den nahen Polizisten rufen, springt der Fahrer aus dem Wagen und gibt mir das Wechselgeld. Jetzt will er mir unbedingt "helfen", was nichts anderes heisst, als dass er an meiner Fahrkarte eine Kommission verdienen will. Als ich ihm sage, dass ich bereits eine Fahrkarte habe, verliert er schlagartig das Interesse.

5.30 Uhr. Ich bin viel zu frueh und der einzige Weisse unter 3500 Aethiopiern. Es ist noch dunkel, es gibt keine Beleuchtung an der Station und es ist kalt. Nach einer Std. fahren die ersten der grossen IVECO-Busse ab, Russwolken ausstossend. Die Fahrer lassen die Motoren laufen, manche eine Std. lang. Auf vernuenftige Argumente laesst sich da niemand ein. Nur im mangelkranken Zimbabwe haben die Menschen gelernt, dass auch im Stand laufende Motoren Benzin verbrauchen.

Ich sehe manche Leute beiderlei Geschlechts einfach in ihre Haende rotzen und die Reste dessen, was sie nicht "abwerfen" koennen, in ihre Kleidung oder in den Haenden verreiben. Der Boden ist uebersaet mit Spucke.

Wir warten zwei Std. auf die Abfahrt. Auch unser Busfahrer faehrt, wie einige seiner Kollegen, ganz ploetzlich los. Zwei Dutzend Passagiere muessen dem Bus hinterherlaufen und springen in den fahrenden Bus, der durch die ueberfuellte Busstation rast.

Im Bus ein schwerer Geruch nach Ungewaschenem. Wenigstens habe ich mir einen Sitzplatz vorne und am Gang ergattert, so dass ich nicht eingezwaengt bin und schnell aussteigen kann. Nur ist der Sitz leider nass und klebt- also wenigstens kein Urin.

An der Tankstelle steigen Fliegende Haendler in den Bus und schreien ihre Angebote hinaus: Taschentuecher, Notizhefte, bestickte Kopftuecher, vergoldete Kettchen mit Kreuzen, Apfelsinen, hinter Glas gerahmte Jesus- und Mariabilder.

Der Bus steigt in die eukalytusbestandenen Haenge der die Stadt umgebenden Huegel hinauf. Letzter Halt auf dem Kamm am Ortsschild. Man deckt sich mit Zuckerrohrstangen ein, unterarmlange Stuecke, die mit den Zaehnen geschaelt, dann bruchstueckweise durchgekaut und danach ausgespuckt werden. Afrikas meistgegessene Suessigkeit.

Durch die irisch-gruene Landschaft windet sich die Strasse Rtg. Nordwesten. Nach 160 km erreichen wir um 11.30 Uhr die Stadt Gebre Guracha. Pause. Ich habe mich mit ein paar Maennern angefreundet, die Englisch sprechen. Man bestellt fuer mich, damit ich einen fairen Preis bekomme. Es gibt Whott, gekochtes Ziegenfleisch mit reichlich Berberi, also Chilipulver. Ohne Brot oder Indschera ungeniessbar scharf. Das Wasser ist leicht truebe, aber ich trinke es wie alle anderen. Danach ein Macchiato, eine kinderfaustgrosse Tasse.

Weiterfahrt. Auf den Strassen Viehtrieb, tausende von Kuehen werden in kleinen Herden bewegt. Vorbei an kleinen, braunen Feldern. Traditionelle Musik der Oromen droehnt ohrenbetaeubend aus den Lautsprechern. Der Klang ist melancholisch, traurig-schraeg. Gesang wirkt manchmal wie ein Weinen, vorherrschendes Instrument ist das Saxophon.

Jetzt kommt der unueberbietbare Hoehepunkt der Fahrt: die Nilschlucht. Der Fahrer ist vielleicht romantisch gestimmt; jedenfalls legt er von Tedy Afro ein wunderschoens Lied auf und in dem Moment, wo wir den Rand der gigantischen Schlucht erreichen, singt Tedy: "Ethiopia, Abyssinia..." Es ist perfekt.

Der Anblick: ca. 1000 m ist die Schlucht tief und ca. 15 km breit. Der Blaue Nil, der nie blau, sondern braun ist, windet sich in kilometerlangen Kurven durch diesen Riss in der gruenen Landschaft. Stecknadelkopfgross arbeitet sich hinter dem Dunst des heissen Tages auf der anderen Seite ein LKW die schmale Strasse hinauf.

Die Teerstrasse endet hier. Conductoren und Passagiere steigen aus, um grosse Steine aus dem Weg zu raeumen. Orthodoxe Priester in gelben Umhaengen, mit braunen Hueten, strecken den vorbeieilenden Busfenstern umgedrehte Regenschirme entgegen. Mancher wirft eine Muenze hinein und bittet um Gottes Segen fuer diesen gefaehrlichsten Strassenabschnitt Aethiopiens.

Als neben dem Bus weniger als 1 m steinige Erde bleibt und daneben nur hunderte Metern Abgrund, erklingt "Fly Robin, fly" von Silver Convention. Wie passend. Danach schmettert Ramona: "Wir wolln alle gluecklich werden". Frank Farian hier, wer haette das gedacht?

Es dauert zwei Std. bis wir die Schlucht durchfahren haben. 21 km hinunter und 21 hinauf.

Danach gelegentlich ein Halt. Bei Anbruch der Dunkelheit hilft mir Ato Derege Ketema, mein Sitznachbar, ein Zimmer zu organisieren. Der arme Mann hat nur Probleme mit mir, denn wenn er mit mir auftaucht, steigen auch fuer ihn die Preise, da er ja einen reichen Freund hat. Der winzige Raum kostet aber nur 1 EUR. Im Restaurant nebenan essen wir Tibs, gekochtes Schaffleisch, mild zubereitet mit Zwiebeln und gruenem Paprika, dazu Indschera. Trotzdem wir den Preis vorab vereinbart haben, bekomme ich mein Wechselgeld wieder nicht heraus. Ato Ketema tut sein Bestes, auch die Gaeste sind bald auf unserer Seite, aber nichts hilft, die Frau behaelt das Geld, spielt das alte Spiel von Nichtverstehen, Weggehen, von "ja, gleich". Als ich ungeduldig werde, wird sie laut, schreit am Ende fast, verlangt sogar noch mehr Geld. Ich frage die Gaeste nochmals, was Tibs kostet und dann gehe ich zur Theke und haue mit der flachen Hand drei, vier Mal darauf, dass es kracht und die Frau zurueckschreckt: "Ich will mein Change. Sofort!" Die Nachbarschaft laeuft zusammen, draengelt sich in der Tuere, das ist besser als Fernsehen. Der Ehemann kommt aus der Kueche und tut so, als wisse er nicht worum es geht. "Um meine Hautfarbe", antworte ich genervt. Nach kurzer Diskussion zahlt er mir das Geld aus, weil alle ihm sagen, dass ich nicht den Eindruck mache, als wuerde ich ohne es abziehen.

Ato Ketema und ich trinken nebenan Tschai, als der Strom ausfaellt. Kein Wasser, kein Strom, niemand kommt schon. Stromausfaelle zeigen dir blitzschnell, wieviel Bequemlichkeit und Luxus durch Elektrizitaet ermoeglicht wird. Und nichts dagegen machen zu koennen, macht demuetig.

Alles liegt in voelliger Finsternis, ein paar weisse Schemmas, die traditionellen Decken, leuchten im Licht der Sterne, Feuerschein flackert durch die Stille, der Wind raschelt die Eukalyptusblaetter rythmisch, gedaempftes Lachen. Da stehen wir staunend unter den Sternen, schauen auf das leuchtende Band aus Sonnen, die einen Jahrmilliarden langen Reigen tanzen, bis sie in der lichtfesselnden Dichte eines Materie-Schwerkraftklumpens verschwinden; komprimiert auf Apfelsinengroesse vielleicht, was 300.000 mal groesser als die Erde ist. Wer braucht da noch Wunder?

geschrieben am 26.1. in Krefeld


 


  Team Login

© biketour4goodhope