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Reisetagebuch

10/11/2005   Aethiopien / Bahir Dahr

Andargatschu und Molugetta

2.Teil: Wiedersehen

(Harald) Mike hat die Jungs gelegentlich getroffen. Wer auf der Strasse lebt in Bahir Dahr, kennt sich. Und Mike ist Touristenguide und kennt jeden.

Als erstes versuchen wir es am Markt. Mike sagt, dass Andargatschu sich hier ein paar Birr verdient, indem der 16-jaehrige Botengaenge macht. Ich vermute, dass er auch Kommissionen mit Touristen verdient. Man faengt die Touristen am Markteingang ab, einem fussball- feldgrossen Gelaende, in dem auf unebenem Lehmboden aus groben, dicken Aesten gebaute Staende stehen, mit Plastikplanen abgedeckt. Der Guide fragt nach der Nationalitaet, nach Namen und Dauer des Aufenthaltes und was der Tourist auf dem Markt wevtl. kaufen will. Dann hilft er ihm, oft nur scheinbar, das Gesuchte zu finden und vereinbart mit dem Verkaeufer auf Amharisch eine Kommission, die er sich, wenn der Tourist ausser Sichtweite ist, beim Haendler sogleich abholt. Haendler, die das nicht mitmachen, bringen die Guides keine Kunden mehr.

Die ersten Strassenkinder erkennen mich, jeder will mir die Hand schuetteln und ich spuere auch eine scheue Zurueckhaltung, die ich als Respekt erkenne. Ich bin zurueckgekehrt.

Wir finden Andargatschu in einem Videokino. Als er vor die Tuere tritt, strahlt er ueber das ganze Gesicht, er gibt mir die Hand und verbeugt sich tief. Ich ziehe ihn hoch. Andargatschu, du solltest boese auf mich sein, denn was habe ich denn zwei Jahre lang fuer dich getan? Ich ziehe ihn an mich und wir umarmen uns lange und fest.

Mike und Andargatschu schicken eine Menge Strassenjungs los, um Molugetta zu finden. Ueberall eine tolle, herzliche Stimmung.

Wir gehen essen. Es gibt Tibs, Whott, Indschera und Joghurt, anschliessend im Cafe einen Macchiato.

Molugetta erscheint, begleitet von einer ganzen Eskorte seiner Freunde, die alle einen Finderlohn wollen. Mike verteilt mein Geld.

Der 13-jaehrige zeigt sein charmantestes Laecheln. Ich erzaehle meine und die Geschichte ihrer Schwestern. Die Jungs sind kaum gewachsen, was ich auf die schlechte Ernaehrung zurueckfuehre. Sie scheinen sich ehrlich zu freuen mich zu sehen.

Beide haben ihr von mir angemietetes Zimmerchen kurz nach meiner Abfahrt verloren und sind seit dem Tod der Mutter auch nicht mehr zur Schule gegangen. Ja, sagen sie, sie wollten wieder zur Schule gehen. Die Schule sei ihnen seinerzeit leicht gefallen. Molugetta verdient sein Geld als Schuhputzer und ab und zu vertritt er einen Conductor der Minibusse, wenn diese zu Mittag essen. Die Schuhputzkiste, die ich ihm kurz vor Abfahrt noch ausgestattet hatte, hat man ihm kurz danach gestohlen. Heute ist er barfuss, weil man ihm heute morgen seine einzigen Schuhe gestohlen hat, ein Paar Badelatschen.

Molugetta ist ein gewitztes Kerlchen, ein huebscher Bengel, der nen Schlag bei den Maedels haben wird. Im Moment, so sagt er, brauche er keine Freundin. Sein Interesse gilt eher Jacky Chan und Jean Claude Van Damme.

Wir kaufen also Schuhe auf dem Markt. Mike ist derart bewegt, durcheinander, dass ihm schlecht wird und er sich uebergibt. Zaghaft versucht er auf sein eigenes Schicksal aufmerksam zu machen, aber er weiss, dass meine Moeglichkeiten begrenzt sind. Zuzusehen, wie anderen geholfen wird, dabei zu helfen, wobei es einem selbst auch nicht viel besser geht, ist belastend und ungerecht.

Wir kaufen ein Paar Plastiksandalen, dass Paar fuer 4,50 EUR, die, wie sich spaeter herausstellt, nur zwei Wochen halten.

Mike geht nach Hause, er ist voellig durcheinander und kaempft vielleicht mit seinen Neidgefuehlen.

Im Internet zeige ich den Jungs die Bilder von 2004. Als sie die Bilder der Schwestern sehen, lachen sie. Ich sehe keine Traurigkeit. Die Bilder aus dem Heim. Herr Haptu hat klar gesagt, ich sei der Einzige gewesen, dem man je erlaubt habe, die Heime in Bahir Dahr und in Addis zu betreten, dass sei sonst nur den Adoptiveltern erlaubt.

Die Jungs haben gestern im Tana-See gebadet, da es sonst keine kostenlose Moeglichkeit gibt, zu baden oder zu duschen. Sie schlafen in einem Zimmerchen bei einem Freund, der auch Molugetta heisst, muessten dort aber in ein paar Wochen raus, wenn der grosse Bruder des Freundes wiederkommt. Ihr Mietbeitrag betraegt 1,50 EUR im Monat. Man fuehre sich vor Augen, mit wie wenig Geld man hier jemandem ein Heim verschaffen kann.

Wir kaufen Brot und gehen in einen Videoladen. Uns bleibt in Bahir Dahr nicht viel Zeit, mich draengt die Zeit, weil meine Reisekasse leer ist. Mit dem Film "Gladiator" gehen wir zu einem der Videokinos. Der Besitzer kassiert fuer eine Vorfuehrung pro Kopf 10 Cent. Ich biete ihm 70 Cent und er wirft ein Dutzend Jungs raus, die gerade einen "Fanta" gekuckt haben und mit gesenkten Koepfen aus dem Dunkel treten. "Fanta" ist Strassenslang fuer einen "franzoesischen Film", also Pornofilm. Ausser in Suedafrika gibt es wohl nirgends auf dem ganzen Kontinent eine Pornifilmproduktion. Also sehen die minderjaehrigen Jungs hunderte von huebschen, weissen Frauen, die scheinbar voellig hemmungslos sind, unverheiratet oder untreu, wahllos und kaeuflich. Zu begreifen, dass nicht die meisten weissen Frauen so leben, geht ueber ihr Wissen. Das ist einer der wichtigsten Gruende, warum man den Norden/Westen fuer voellig dekadent und dem Untergang geweiht ansieht. Sich bei sexuellen Aktivitaeten filmen zu lassen kann eine Kultur, in der es schon verpoent ist, sich in der Oeffentlichkeit auch nur haendchenhaltend zu zeigen, geschweige denn zu umarmen, nicht verstehen. Afrika ist sicher sexuell aktiver als Europa, aber dass gehoert hier nicht an die Oeffentlichkeit und darueber spricht man nicht.

Andargatschu sagt, er sei sehr zufrieden. Ich haette verstehen koenne, dass er enttaeuscht ist. Ich schaeme mich fast ein wenig.

Molugetta fragt nach seiner kleineren Schwester Eyerusalem und ich erzaehle ihm, was ich von den Eltern erfahren habe, dass sie die problematischere der beiden sei und Molugetta sagt: "So wie ich!"

Die Jungs bringe ich am Abend zu ihrer Huette.

Ich habe im Hotel mehr bezahlt als ueblich und dafuer auch noch das schlechteste Zimmer bekommen, weil ich verhandelt habe. Ich habe die ersten Mueckenstiche und am See gibt es Malaria. Man kann hier zwar billige, z.B. chinesische Prophylaxe-Medikamente kaufen, aber die Leute sagen, die seien nahezu nutzlos, weil sie die Erreger mutiert seien und gg. diese Mittel resistent.

Als ich am Fussende meines Bettes stehe und aus dem Fenster ueber die Palmen auf die Strasse schaue, frage ich mich, ob ich hier das Richtige tue. Dies ist das Zuhause der Jungs, hier haben sie Freunde, Verwandte, hier kennen sie sich aus.

Aber da wusste ich noch nicht von der unglaublichen Geschichte von Molugetta.

geschrieben am 27.1. in Krefeld


 


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