10/14/2005 Aethiopien / Bahir Dahr
Moglis tolle Geschichte
Abschiede
(Harald) Obwohl Bahir Dahr zu den groessten Staedten des Landes zaehlt, ist eine Internetverbindung hier Gluecksache. Stromausfaelle, ueberlasteter Server, zusammengebrochene Telefonverbindungen, virenverseuchte Computer- die ganze Pallette der Widrigkeiten. Die Bettler kommen waehrend des Fruehstuecks wieder an unseren Tisch. Die Blinden, stets zusammen mit ihrem Fuehrer, strecken mir ihre Hand entgegen, wobei sie mantraaehnlich murmeln: "Gesegnet seist du durch die Gnade der Mutter Gottes, Gott moege dich segnen." Sie koennten, in Abwandlung, auch sagen: "Was du willst, dass man dir tu, dass fueg auch einem andern zu." Dann kommt ein etwa 12-jaehriger Junge mit Polio. Ich frage ihn nach seinem Alter und seinem Namen. Dann kommt ein alter Mann, dann eine alte, kranke Frau. Staatspraesident Meles hat sich vor ein paar Jahren im Fernsehen zu der Aeusserung verstiegen, dass Betteln in Aethiopien ein Industriezweig sei und das es soviele Bettler gaebe, weil so viele Leute den Bettlern etwas gaeben. Und das in einem Land, in dem es kaum Renten oder eine Sozialhilfe und kein funktionierendes Gesundheitssystem gibt. In dem immer wieder Hungernoete ausbrechen, denen z.B. in den 80er Jahren hunderttausende zum Opfer fielen. Aethiopien ist ein einziger, gigantischer Verstoss gegen die Menschenwuerde. Mich widern die einheimischen Eliten an, die im Angesicht der Zustaende in ihrem Land im teuersten Hotel des Landes, dem Sheraton, ganze Bungalows fuer 4000 US-Dollar pro Nacht mieten. Im Hof des Taitu-Hotels stehen rd. 20 schneeweisse Stretch-Limousinen, die fuer Hochzeiten angemietet werden. Sie sind dauernd ausgebucht, genauso wie ganze Filmteams, die jede Minute der tagelangen Hochzeitsfeiern aufnehmen. Gefeiert wird in den exclusivsten Lokalitaeten, ganze Familien verschulden sich manchmal fuer diese Feiern. Dann kommen die Fliegenden Haendler mit ihren Pappkarton- oder Styroporschautafeln, auf denen Ray-Ban-Sonnenbrillen und Rollex-Uhren aufgesteckt sind an den Tisch. Mike schaufelt sein Essen in einem irrsinnigen Tempo in sich hinein und lacht ueber sich selbst, als ich ihm sage, wir haetten Zeit und keiner naehme ihm sein Essen weg. "Gewohnheit" sagt er mit vollem Mund und grinst. Immer wieder sprechen wir ueber Addis. Und heute auch ueber die unglaubliche Geschichte, die mir Frau Gadamu ueber Molugetta erzaehlt hat. Der 12-Jaehrige fasste Im Fruehjahr den Plan nach Addis zu gehen. Und das meinte er woertlich. Zusammen mit einem gleichaltrigen Freund machte er sich zu Fuss zum 570 km entfernten Addis Abeba auf. Sein Freund hatte ein wenig Geld, aber sie hatten nicht genug, um mit dem Bus zu fahren und per Anhalter nimmt kaum jemand zwei solche Bengel mit. Sie marschierten jeden Tag bis Sonnenuntergang, baten unterwegs um Essen oder pflueckten sich etwas am Strassenrand. Die Naechte verbrachten sie wo immer man ihnen einen Platz dafuer anbot. Nach rd. einer Woche hatten sie etwa 320 km zurueckgelegt und erreichten Dejen, eine Kleinstadt direkt an der Nilschlucht. Vor ihnen lag der 1000 Meter tiefe Abstieg von 21 km und ein gleichlanger Aufstieg. Unten in der Schlucht ist es heiss und nur wenige Menschen fristen in der Schlucht ein muehseliges Leben. Moglis Freund jedenfalls beschloss angesichts dieser Aussichten, waehrend dieser im Gras am Wegesrand schlief, nach Bahir Dahr zurueckzukehren. Als Mogli aufwachte, war er nicht nur alleine, sondern auch ohne einen einzigen Birr in der Tasche. Er gab nicht auf, sondern fand eine Mitfahrgelegenheit und erreichte Addis, wo er drei Monate blieb, bis er durch Gelegenheitsjobs das Geld zusammen hatte, um zu seinem Bruder nach Bahir Dahr zurueck zu kehren. Ich benoetige Papiere, um mit den Kindern, die keinerlei Ausweise besitzen, durchs Land reisen zu koennen. Ich habe daher Passbilder machen lassen. Um in Addis zur Schule gehen zu koennen, benoetigen die Jungs auch Zeugnisse, weshalb ich mit ihnen ihre ehemalige Schule aufsuche und um Nachweise bitte. Man erinnert sich der Jungs noch, vor allem Mogli ist in lebhafter Erinnerung wg. seiner Streiche. Andy ist als guter, fleissiger Schueler aufgetreten. Mikes groesstes Problem kann ich auch loesen. Seit mehreren Jahren versucht er vergeblich von den Behoerden eine ID, also eine Art Personalausweis zu bekommen. Seine Mutter ist vor einigen Jahren gestorben. Da sein Vater Eritraeer war und waehrend des Buergerkrieges (1991-2000) das Land verlassen musste, gab man ihm keine Papiere, wahrscheinlich, damit er seinem Vater nicht nach Eritrea folgen konnte. Ohne ID existiert er fuer die Behoerden praktisch nicht und kann auch innerhalb Aethiopiens nicht reisen, kein Gewerbe eroeffnen etc. Als er eines Nachts angetrunken durch die Strassen nach Hause ging, kontrollierte ihn die Polizei und weil er keine Papiere hatte, galt er als verdaechtig und wurde vier Monate ohne Verhandlung einfach im Gefaengnis festgehalten. "Ohne ID bist du Freiwild" sagt Mike. Ich gehe mit ihm zur zustaendigen Kebele-Verwaltung. Mike hat keine grosse Hoffnung, als wir den Innenhof der Behoerde betreten, die mit ihrem Lehmboden wie ein Bauernhof wirkt. Hier werden die Maismehl- und Oelrationen fuer die Beduerftigen verteilt, die von der UNO und anderen NGOs aus Europa an Aethiopien gestiftet wurden. Der zustaendige Mitarbeiter ist nicht da- fast bin ich versucht zu sagen: wie koennte es auch anders sein? Dutzende von Menschen sitzen und stehen im Schatten und warten. Wir sollen am Nachmittag wiederkommen. Als wir zu viert wiederkommen, geht ploetzlich alles ganz schnell. Nachdem ich mich als Chef einer Firma ausgegeben habe, die Mike gerne anstellen moechte, dies aber nicht machen kann, ohne das er Papiere hat, mit denen er mit mir auch nach Addis reisen kann, leihen uns die Frauen der Behoerde, die mit Kochen an einem kleinen Oefchen und Handarbeiten beschaeftigt sind, ein Ohr. Mike erzaehlt offensichtlich eine ruehrende Geschichte, was ich alles schon gemacht haette, ich sage, dass heute Mikes letzte Chance waere, da ich abreisen muesse. Der Chef laesst uns bitten und er befragt in kurzen Worten die Jungs, offensichtlich, um die Story zu pruefen, dass ich ihren Schwestern geholfen haette und binnen einer Stunde hat Mike nicht nur vorlaeufige Papiere, sondern eine richtige, zehn Jahre gueltige ID, die die endgueltige Bestaetigung seiner Staatsbuergerschaft als Aethiopier bedeuten. Im Innenhof steht dann ein weinender Mike vor mir, der zwischen Erleichterung und Freude schwankt, mich umarmt und mir die Schultern klopft. Hand in Hand, wie es in Afrika unter befreundeten Maennern ueblich ist, gehen wir dann in die Stadt zurueck. "Endlich", sagt Mike, "kann ich hier weg und mein Glueck als Touristenguide an einem lohnenderem Ort versuchen." Andy strahlt und sagt mit seinen paar Englischbrocken: "Mike ist jetzt sehr gluecklich." Heute ist wieder einer der 180 aethiopischen Fastentage, an denen es u.a. kein Fleisch gibt. Wir essen Indschera und Gemuese. Am Abend miete ich einen ganzen Minibus samt Fahrer und Conductor fuer 3 EUR und hole Frau Gadamu, sowie den Halbbruder der Jungs ab. Der Junge heisst Tariku, ist 19 und arbeitet als Mechaniker. Ich moechte, dass sich die Jungs quasi vom Grab verabschieden und eine Gelegenheit fuer ein Gebet haben. Wir Sechs fahren zur Begraebnisstaette am Rande der Stadt. Hinter einem kleinen Eukalyptushain stehen ein paar Buesche, dahinter Huetten. Viele Kinder spielen hier. Es gibt keinen Friedhof, Frau Messay ist hier einfach irgendwo verscharrt worden. Frau Gadamu findet die Stelle, eine leichte Erhoehung, von Kraut ueberwuchert. Ueberall liegt menschlicher Kot, auch auf dem Grab, denn hier ist der oeffentliche Kloplatz. Auf den Dreck lege ich abgepflueckte Zweige und es tut mir leid, dass die Jungs das Grab so sehen. Ich bitte Tariku ein kleines Kreuz zu flechten und lege die mitgebrachten Blumen ab. Die Jungs sagen, dass die Kinder die Blumen sofort stehlen werden und ich sage ihnen, dass das nicht wichtig sei, denn es komme auf unsere Geste an, auf unser Tun. Ich rufe die Kinder zu uns und bitte sie, die Blumen liegen zu lassen. Dann sage ich auf Deutsch ein paar Worte, erzaehle der Toten von ihren Toechtern, um die sich jetzt gute Menschen kuemmern und was ich mit ihren Soehnen vorhabe. Tariku spricht ein Gebet und wir gehen wieder, denn der Busfahrer hupt schon. geschrieben am 7.2. in Krefeld
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