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Reisetagebuch

10/16/2005   Addis Abeba

6.2.1998

Fahrt nach Addis

(Harald) Um fuer die Hotelzimmer einen akzeptablen Preis zu erzielen, musste ich wieder Mal hart verhandeln. Das Personal hat strikte Anweisung vom Inhaber- der nie im Hotel arbeitet, sondern nur kontrolliert und jeden Tag das Geld abholt- fuer Ferendschies einen hoeheren Preis zu berechnen. Als der vorgeschickte Mogli die Rezeptionistin nach dem Preis fragte, wurde ihm ein niedrigerer Preis genannt. Aber als ich erscheine, revidiert sie das Angebot. "Diese beiden Jungs sind Aethiopier und ich habe nicht viel Geld", protestiere ich. Nutzlos. Ich bin veraergert. "Warum muss ich sogar fuer die aethiopischen Kinder einen hoeheren Preis bezahlen? Muessen reiche Aethiopier auch mehr bezahlen?" Man lacht. Wie dumm von mir, so etwas zu fragen! Natuerlich zahlen alle Aethiopier den gleichen Preis! Aber auch in Rom und Istanbul muessen Touristen mehr bezahlen als Einheimische. Wer soviel Geld hat, dass er ohne Grund reisen kann, hat zuviel Geld, dass ist die Logik. Und Gruende waeren: Arbeit, Gesundheit, Pilgerschaft, Verwandtenbesuch und Brautschau. Zeitvertreib und Erholung, Abenteuer und Unterhaltung, Neugierde und Abstandgewinnung sind alles keine "Gruende" in diesem Sinne.

Fekadu steht mit seinem 4x4 morgens im Dunkeln vor dem Hotel, neben ihm sitzt ein Freund. Tariku, der Halbbruder, ist erschienen und Mike kommt auch noch ueberraschend vorbei. Der junge Kellner des Hotels hat mir einen Brief an eine, mit ihm bekannte Frau in Deutschland, mit der Bitte in die Hand gedrueckt, diesen zuzuleiten. Als ich spaeter in Deutschland diese Frau anrufe, ist sie ueberrascht, kennt den Mann nicht. Jemand hat ihre Adresse in Bahir Dahr wohl weitergegeben, weil sie jemanden anderen unterstuetzt hatte und wenn fuer einen Geld da ist, warum nicht auch fuer Zwei, scheint die dahinterstehende Logik zu sein und Versuch schadet nicht.

Die offensichtliche Aufbruchstimmung versuchen ein paar Bettler zu nutzen und bedraengen mich mit offenen Haenden. Als einer schimpft, weil ihm das, was ich ihm gegeben habe, zuwenig erscheint, gibt ihm Mogli freundlich, aber bestimmt Bescheid und er trollt sich, grummelnd protestierend.

Es ist kuehl und windig, wir haben alle zu wenig geschlafen und sind aufgekratzt. es geht los und ich weiss: es wird nochmals anstrengend in Addis werden und dann geht es endgueltig heimwaerts.

Im ersten Morgengrauen lassen wir den Lake Tana hinter uns. Der gutgefederte Wagen rumpelt ueber die breite, steinige Piste. Unsere Unterhaltung ist angeregt. Tom (Name geaendert) heisst Fekadus Freund. Er ist Jetpilot bei der aethiopischen Armee und nach vagen Andeutungen seinerseits schimpfe ich ein bisschen ueber die jetzige Regierung unter Praesident Meles und siehe da - Tom denkt opositionell. Die aethiopische Armee hat nur ein paar hundert Piloten und falls Toms Haltung die Stimmung unter den jungen und gebildeten Offizieren widergibt, sieht es um die Stablitaet der Regierung nicht so 100%tig aus. Die Kampfpiloten sind ja bei jeder weiteren Schlacht gegen Eritrea dabei und wenn es zu innenpolitischen Spannungen wie jetzt kommt, stellt sich sicher die Frage: was sagen die jungen Piloten? (ich bleibe im Kontakt mit Tom und bekomme spaeter u.a. anonym eine Mail der aethiopischen Oposition aus Europa zugesandt mit Informationen zu innenpolitischen Hintergruenden).

Tom ist ein gutgelaunter, aufgeraeumter Plauderer mit sehr guten Englischkenntnissen. Er hat seine Pilotenausbildung in den USA, bzw. Kanada gemacht, war in England und Deutschland.

Andi und Mogli tragen stolz ihre neue Kleidung. Fuer umgerechnet 40 EUR haben sich die beiden Jungs auf dem Markt komplett neu eingekleidet: Turnschuhe, Socken, Unterwaesche, Jeans, Bw-Hosen, 4 Sweatshirts und 5 T-Shirts. Da soll mal jemand sagen, man bekaeme in Aethiopien nichts fuers Geld! Es ist in Afrika sehr einfach mit wenig Geld viel zu bewegen, dass habe ich immer wieder festgestellt.

Fekadu waehlt die Teerstrasse im Sueden, die zwar rd. 90 km laenger ist, aber schneller voranfuehrt und genauso landschaftlich reizvoll erscheint. Die Sonne geht auf, es wird waermer. Fekadu hupt und brettert was das Zeug haelt. Vor allem der 16jaehrige Andy schaut mit aufgerissenen Augen in die vorbeifliegende Landschaft.

Wir erreichen die Nilschlucht. Es ist das fuenfte Mal, dass ich dies Naturwunder durchfahre. Die Teerstrasse endet in Dejen, direkt am Abgrund, die Schotterpiste windet sich in engen Kurven steil hinab, hinein in die diesige 1000-Meter-Tiefe. Ein paar Ziegenherden, zwei, drei Stellen, an denen man etwas Obst oder Gemuese und Getraenke kaufen kann, aus winzigen Lehmhuetten heraus. LKW, die sich im Fussgaengertempo durch die Schlucht kaempfen, brauchen fast den ganzen Tag fuer die rd. 45 km von einer zur anderen Ortschaft.

Als ich aussteige um ein Foto zu machen, regen sich sofort mehrere Hirten auf, denn es sei verboten die Bruecke ueber den Nil zu fotografieren. Die Bruecke ist allerdings von meinem Standort so weit entfernt, dass sie wie ein Streichholz wirkt. Das Ganze ist laecherlich, denn wenn Terroristen oder der Kriegsgegener Eritrea ein Foto der Bruecke haben wollte, so wuerden sie dies unbemerkt tun. Ich gebe sofort nach, obwohl es mich aergert, dass man eines der groessten Naturwunder Aethiopiens nicht fotografieren kann, wegen dieser Hysterie.

Einer der grossen Fernbusse ist hier abgestuerzt und es gab viele Tote und nur einen einzigen Ueberlebenden, der dann wieder und wieder interviewt wurde, was er glaube, warum Gott ihn als einzigen errettet habe. Die Frage, warum die Kinder und die schwangeren Frauen denn der Errettung nicht wert waren, stelte sich anscheinend weniger. Der Fahrer habe getrunken und sei aggressiv gefahren, erzaehlt man sich.

Wir erreichen Debre Markos, die groesste Stadt auf der Strecke und essen im Shebell-Hotel. Hier habe ich seinerzeit uebernachtet, als ich vom Sudan ueber Gonder und Bahir Dahr kam. Lt. Zahlungsbeleg ist heute der 6.2.1998, da der aethiopische Kalender (basierend auf dem julianischen Kalender, der von Julius Caesar 46 v.C. eingefuhert wurde) anders zaehlt, als der gregorianische/abendlaendische (von Papst Gregor XII 1582 eingefuehrt). Die Differenz betraegt 7 Jahre und 8 Monat. Nur die Aethiopier zaehlen derart und die ganze Nation lebt nach diesem Kalender. Derart konsequent tun dies nicht mal die Muslime mit ihrem Kalender, oder die aegyptischen Kopten, oder die orthodoxen Armenier. Aethiopien ist in vielerlei Hinsicht einzigartig.

Wir erreichen Addis und Tom steigt am Stadtrand aus. Dann setzt uns Fekadu am Hotel ab. Er verspricht, sich mit seiner Frau um Kontakt zu den Jungs zu bemuehen (und haelt spaeter tatsaechlich Wort).

Der Hotelier reagiert ablehnend, als ich um zwei Zimmer bitte. Ich koenne nur mit einem, nicht mit zwei Kindern aufs Zimmer. Vergeblich versuche ich dem Mann, der kaum Englisch spricht, die Situation zu erklaeren und gebe am Ende auf, weil selbst die Kinder ihn auf Amharisch nicht umstimmen koennen. Er reklamaiert auch vehement, ich habe nicht alles bezahlt, als ich abgereist sei. Gut, dann gehen wir in ein anderes Hotel! Leider habe ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn der Mann will mir mein Gepaeck, dass ich hier deponiert habe, nicht herausgeben, ohne von mir Geld bekommen zu haben. Wir sind muede, wollen essen und mir ist nicht nach Streit. Also gehen wir zum Taitu-Hotel. Hier verkuendet ein Schild ueber der Rezeption, dass es keine Preisdiskriminierung gebe: "Gleiche Preise fuer alle- egal ob Einheimischer oder Auslaender."

Wir passen die raren Momente ab, waehrend denen es warmes Wasser gibt und gehen Essen. Die Jungs wollen Indschera, ich verzehre "Beefsteak a la Bismarck". Die drei Fernseher in der Lobby liefern sich wieder mal einen Lautstaerkewettbewerb: BBC gegen das einzige aethiopische Programm in amharischer Sprache.

Wenn ich mit den Jungs auftrete, gibt es viele Blicke, denn Addis ist fuer seine Paedophilenszene beruechtigt. Was will ein Weisser mit zwei Jungs? Die Kellnerinnen schaffen schnell Aufklaerung. Ich werde freudig begruesst, alle kommen an unseren Tisch, sprechen mit den Jungs. Auch die Dame an der Rezeption ist ausnehmend freundlich.

geschrieben am 17.2. in Krefeld


 


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