10/26/2005 Aegypten / Kairo
Batali Jackson
...und Sayed
(Harald) 26.10.2005 Kairo "...im selben Moment verstand ich, dass diese Afrika-Durchquerung per Fahrrad im Grunde wertlos ist. Das, was zaehlt, wovon ich in Zukunft profitieren werde, sind die Erlebnisse und Erfahrungen von unterwegs." Hartmut Fiebig, "Bike-Abenteuer Afrika" Nachtflug nach Kairo, am Morgen Landeanflug ueber der groessten Stadt der islamischen Welt. Moderner Flughafen mit glaenzendem Granit und viel Glas. Visum von jovialen Beamten in bluetenweissen Uniformen. Schlafender Polizist in der Naehe des Gepaeckbandes. Greller Sonnenschein, warmer Wind, Palmen, kein Bus- angeblich. Taxipreise voellig ueberhoeht. "Dann gehe ich zu Fuss." "Nach Kairo?" lacht der Fahrer siegesgewiss. Ich frage an Touristenbussen, vergeblich. Ein Taxifahrer haelt neben mir, ein Fahrgast vorne. "Kommen sie, steigen sie ein. Ganz billig, sie geben mir, was sie fuer richtig halten." "Aleikum Salaam" gruesse ich zurueck. Und: "Tammam!" Einverstanden- manches vergisst man nicht so schnell. Gizeh, Kairos Schwesterstadt am anderen Nilufer, voller sandfarbener, staubbedeckter Hochhaeuser und Verkehr. Zwei Marmorloewen bewachen die Bruecke. Hellbraun-grau der Nil, satt, breit und gelassen. Hoteltuerme, die haeuserblockartigen Schiffe am Ufer. Ich steige am Talab Harb Platz aus. Der Taxifahrer ist mit den 5 USD nicht einverstanden, trotz seines Angebotes, was mich nicht weiter anficht. Um den Talab Harb ist mir jeder Meter gut vertraut, eines meiner Zuhause, drei Monate in 2003. Das "Tulip""-Hotel ist renoviert worden und die Inhaber erkennen mich sogar. Im Gaestebuch finde ich meinen alten Eintrag. Freundliche, korrekte Leute, sauberes Bad mit stets warmem Wasser. Im Nebenzimmer habe ich damals geschlafen. Die Herbergsmutter waescht kostenlos meine Waesche. Sehr weisse Bettwaesche, grosser Spiegel, kuehler Steinboden. Ich oeffne die Chalousien, trete hinaus in den Sonnenschein, auf den winzigen Balkon und schaue auf den Talab Harb mit seiner Statue im Zentrum. Die Schatten fallen so frueh am Morgen noch schraeg, es ist ruhig. Mich erfasst Ruhe. Gelassenheit kommt von Loslassen. Und doch beantwortet die Stille nicht meine Fragen. Ich gehe zur STARCO-Company, besuche Lucia. Die Russin arbeitet noch immer als Sekretaerin von Herrn Nabil, der mir seinerzeit einen Job als Hotelmanager angeboten hatte. Das Geschaeft mit den Hotels am Roten Meer ist endgueltig zusammengebrochen nach den letzten Anschlaegen in Sharm el Sheik und Nuweiba. Lucia arrangiert fuer mich ein guenstiges Zimmer im "Gresham-Hotel". Auch dort wird renoviert, denn in Kairo floriert der Tourismus noch. Immer mehr Touristen scheinen sich allmaehlich mit einem Restrisiko zu arrangieren. Die Waffe "Terror" wird auf Dauer stumpf, wenn die Menschen anfangen, sich damit zu abzufinden, dass man mittlerweile an zu vielen Orten gefaehrdet ist:"Wo soll man denn sonst noch hinfahren..." Aber damit steigt die Gefahr von "Superanschlaegen" um doch noch Wirkung zu erzeugen. Ich bleibe im "Tulip". Gegenueber dem Hotel das Netcafe. Ich frage nach Batali Jackson, dem Sudanesen. Er sei sehr krank heisst es. Ich bitte den Inhaber, der mich ebenfalls noch erkennt, ihn anzurufen. Am Telefon eine hoerbar angeschlagene Stimme: "Harry!" Wo warst du so lange? Warst du in Germany?" Nein, die ganze Zeit in Afrika, mehr als zweieinhalb Jahre lang. Warum? Ich weiss nicht warum. Es ist so gekommen, dass das Radfahren immer unwichtiger wurde und die Bewegung sich somit verlangsamte. Und ich frage nach Sayed, dem Touristen-Guide. Da ist Mohammed, der wibbelige, gerissene Guide, der mir einen Teil seiner Lebensgeschichte erzaehlt hat. Er und die anderen Guides sind misstrauisch: warum willst du Sayed treffen? Willst du ihn verpruegeln? Nein, ich bin zwar u.a. seinetwegen hier, aber nicht um mich zu streiten. Man laesst mich zappeln, mehrere der jungen Maenner kreuzen wiederholt meinen Weg und fragen immer wieder, was ich von Sayed will. Die Jungs sind Konkurrenten, aber ohne definierte Grenzen doch auch eine verschworene Gemeinschaft. Schliesslich erfahre ich, dass Sayed im Netcafe sitzt. Was der fuer ein Gesicht macht als er mich sieht! Unsicher liest er meine Augen ab und sieht nur Freude. Wir klopfen Schultern und gehen in unser Stammcafe in einem engen, gruengestrichenen Hof. Der Besitzer ist schwul, seine beiden Angestellten auch, was seine ausschliesslich aus Heteros bestehende Kundschaft nicht zu stoeren scheint- natuerlich nur Maenner. Sayed geht es gut, er ist unveraendert. "Du willst sicher die Wahrheit wissen. "Nein, deswegen bin ich nicht gekommen, dass ist nicht mehr wichtig. Wieder schaut er mich direkt an: "Du magst mich tatsaechlich" stellt er fast verwundert fest. Die Vertrautheit von Kairos Innenstadt laesst mich spueren, dass ich ankommen will. Wenn ich lache, dann manchmal mit wundem Klang und einem Gefuehl, das weiss, wie schnell es den Knoten im Herzen loesen koennte. Ich bin so uebervoll, alles wurde nur einfach, schnell in Schubladen geworfen, da muss Ordnung hinein, so dass man nicht dauernd unkontrolliert eine aufmacht, in der das Falsche ist. Aus der Reise wird eine Geschichte werden, eine gepflegte Erinnerung, glatter, gestriegelter sogar, wenn ich nicht aufpasse. Ich treffe Batali Jackson. Seine rechte Gesichtshaelfte ist gelaehmt, er ist kaum wiederzuerkennen, aufgequollen, schiefer Mund, da er das Auge nicht schliessen kann, traent es ununterbrochen. Von heute auf morgen entstanden. Mit seinen bescheidenen Mitteln kann er sich eine gute Behandlung nicht leisten. Batali bittet mich, ihn morgen zu seinen Freunden zu begleiten, Buergerkriegsfluechtlinge wie er, viele aus Darfur, rechtlos, stets unsicher ueber ihren Status, ohne Arbeitserlaubnis, haben sie ein Protestcamp in Gizeh aufgeschlagen. Ich verspreche mitzukommen. Abends streife ich durch die Strassen im Zentrum, mische mich unter die Massen, Familien, die bis spaet in die Nacht einkaufen, Eis und Gebaeck essen, ins Kino gehen und Wasserpfeifen rauchen, Tschai trinken. Mir bleibt noch ein Tag bis zu meiner endgueltigen Rueckkehr nach Deutschland. geschrieben am 25.2. in Krefeld
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