Home Page english version deutsche Version

  Worum es geht...
  Highlights der Reise
  Ueber Harald Radtke
  Zeitungsartikel

  Tagebuch (952 Eintr.)
  Lesermeinungen
  Leseproben
  Reiseroute
  News Archiv

  Pamphlet zur Faulheit

  Laenderinformationen
  Literatur

  Kontaktformular
  Mediainfo/Fotos
  Impressum


Reisetagebuch

10/27/2005   Aegypten / Kairo

Ich bin schon tot

Bei den Fluechtlingen aus Darfur

(Harald) "Die Entscheidungen waren nur der Anfang von etwas. Wenn man einen Entschluss gefasst hat, dann taucht man damit in eine gewaltige Stroemung, die einen mit sich reisst, zu einem Ort, den man sich bei dem Entschluss niemals haette traeumen lassen." Paul Coelho, "Der Alchimist"

Die Muezzine wecken mich bei Sonnenaufgang: "Allahu akbar!"- Gott ist gross. Ich oeffne die Holzgitter und stehe, eingewickelt in die Bettdecke, auf dem schmalen Balkon, angelehnt ans schmiedeeiserne Gitter, schaue auf den Talab Harb und Erinnerungen wehen mit der kuehlen Brise zu mir hoch.

Fruehstueck aus Abgepacktem, grellrot gefaerbte Marmelade, starker Kaffee, im Ruecken erklingt aus dem Fenster das erste Hupen des Tages, arabische Musik, im Fernseher laeuft El Dschazirah, der wichtigste arabische Nachrichtensender.

Ich bin mit Batali Jackson verabredet. Ich fahre mir dem 25-jaehrigen mit einem Minibus- Batali zahlt- ueber den Nil nach Gizeh. Am Ufer stehen Angler, im Schilf badende Kinder, einer waescht sein Auto mit dem Flusswasser, dessen Schlamm aus der Erde Aethiopiens besteht.

Im Zentrum aus sandfarben verstaubten Betontuermen, auf deren Balkonen bunte Waesche flattert, lagern hunderte sudanesischer Buergerkriegsfluechtlinge seit Wochen im Freien, um auf ihre Schicksale aufmerksam zu machen. Ein brusthoher Zaun umfasst einen allseits von Strassen und Buergersteigen begrenzten Platz. Plakate, handgemalt, fordern Gerechtigkeit und Beachtung. Ringsum Polizei in dunkler Uniform, unaufgeregt.

Ich koenne Aufmerksam schaffen ist die Hoffnung.

Fotos von einem halbfertigen Buerohaus herab auf das bunte, dichte Gedraenge. Die Sonne wird heiss, Laken werden ueber unzaehligen Leinen zum Schutz gespannt.

Der Protest ist gut organisiert. Es gibt gekennzeichnete Kontrolleure an allen Zugaengen, es gibt Fuehrer, die gemeinsam Entscheidungen faellen und Sprecher, die ueber ein Megaphon die neuesten Nachrichten an alle Beteiligten verkuenden.

Ich spreche mit einem der Fuehrer. Wir sitzen, die Polizei direkt im Ruecken (Was macht der Europaeer hier?), auf Plastikmatten. Ein Polizist hat ein dickes Jappa auf der Stirn, ein Betmal, dass entsteht, wenn man beim Beten die Stirn oft und heftig auf dem Boden presst.

"Wir alle mussten fluechten und sind hier nicht willkommen. Wir haben keinen Status, keine Rechte, uns droht jederzeit Abschiebung. Weder UN, noch sonstwen kuemmert es, was mit uns passiert. Wir duerfen hier nicht arbeiten und bekommen keine Unterstuetzung." Ich relativiere die Erwartungen, die an mich gestellt werden: "Ich habe nur ein paar tausend Leser, ich kenne keine Presseleute."

Man fuehrt mir auf meinen Wunsch hin mehrere Fluechtlinge zu. Ich erkenne die Schmucknarben der Nuer und Dinka, der groessten und schwaerzesten Menschen Afrikas. Manche sind seit 14 Jahren in Aegypten, andere gerade erst angekommen. Es sind Christen, Muslime, Familien und Einzelpersonen. Sie kommen aus allen Teilen des sudanesischen Suedens, aus Juba, aus Darfur. Es sind stolze Menschen, die alleine durch ihre durchschnittliche Groesse von 190-200 cm, manche von 220, eine Aura von Macht umgibt.

Vor mir sitzt George Baba Sozos, 45, sein Name verraet den Christen. Er hat 5 Kinder und traegt Verantwortung fuer 11 Menschen, von denen keiner mit ihm hier in Kairo ist. Er ist seit Oktober 2003 hier und erzaehlt seine und die Geschichte des Krieges, der ihn hierher getrieben hat. Kaum war der Sudan unabhaengig, begann 1955 der Buergerkrieg um Macht, Rohstoffe, Handelswege, Kultur und Religion. Der Norden von Afrikas groesstem Staat (ca. 7-fache Groesse der BRD) ist muslimisch-arabisch gepraegt, der Sueden animistisch (nur ca. 5 % Christen)-afrikanisch. Es gibt etwa 450 Voelker und ueber 250 Sprachen und Dialekte im Land.

1972 gab es zwar einen Friedensvertrag, aber 1983 brach er wieder aus. Die Muslime versuchten eine landesweit einheitliche Form der Rechtsprechung durchzusetzen, was den Nichtmuslimen das Gesetz der Schariah aufzwang, das durch den letzten Propheten Mohammed von Gott im Koran als verbindlich fuer Muslime gilt- nicht allerdings fuer Andersglaeubige.

Die Scharia verbietet z.B. Genuss von Alkohol und jeglicher Rauschmittel, sowie Prostitution, Glueckspiel, ausserehelichen GV etc. Sie ahndet (mehrfach bezeugten!) Diebstahl, Raub, Vergewaltigung, Mord etc. drastisch.

George Baba Sozos wischt sich muede mit der Hand ueber das Gesicht. Es ist eine lange, tragische Geschichte und er will ueber sich reden. Es ist eine Geschichte des Leids, der Sackgassen und verzweifelten Bemuehungen. Am Ende weiss er nicht, wo seine Familie ist und ihm droht im Sudan Haft und Tod. Warum hilft ihm Aegypten nicht wirklich?

Aegyptens Regierung muss mit dem Heer der Arbeitslosen zurecht kommen, die sich beklagen, dass Sudanesen in ihrer Not fuer Hungerloehne arbeiten und ihnen somit Konkurrenz machen. Sie muss sich gut mit der arabisch-muslimischen Zentralgewalt in Karthoum stellen, die u.a. Kontakte zu den radikalen Moslembruderschaften in Aegypten pflegt und an einem Anschlag auf den Aegyptischen Praesidenten beteiligt war (weshalb die Grenze jahrelang dicht war und es bis heute nur einen einzigen Uebergang gibt). Und hat gleichzeitig Interesse, einen sudanesischen Sueden nicht zu verprellen, der moeglicherweise eines Tages gaenzlich unabhaengig sein und dann Kontrolle ueber den Wasserzufluss des Weissen Nils haben wird. Der Nil ist Aegyptens einzige Lebensader, ohne dessen Wasser ist der ganze Staat zum Tode verurteilt.

Ob ich ein Bild von ihm machen darf, frage ich ihn. "Feel free. Mir macht das nichts aus, wenn sie mich erkennen. Ich bin schon tot." Weil er von seiner Familie getrennt ist. "Ja".

George ist einer der Masterminder der Aktion. Ob es keinerlei Informationen fuer die Fluechtlinge gaebe, frage ich. "Doch. Sehen sie!" Er zieht ein buntes Hochglanzprospekt aus der Hemdtasche."Informationen fuer sudanesische Fluechtlinge."

"Das Ding ist Bullshit. Nutzlos. Wertlos." Ich sitze vor ihm und stelle fest, dass ich nicht zum Journalisten tauge. Mir geht es viel zu nahe, zu hoeren, dass einer seine Familie seit zwei Jahren nicht gesehen hat, sie so sehr vermisst und nichts tun kann. Einfliegen,Interview, Abflug- nichts fuer mich.

George schickt mir weitere Gespraechspartner. Rose Felex Lorolado wurde in Juba geboren, der groessten Stadt des Suedsudan. Sie ist 36 und ist seit 2003 Witwe. Ihr Mann war Doktor der Pharmazie und starb in Karthoum im Krankenhaus, nachdem er von Sicherheitskraeften derart gepruegelt worden war, dass er Lungenprobleme bekam. Sie ist seit einem Jahr in Kairo, hat 2 Buben und 2 Maedchen und ihre juengste Schwester zu versorgen.

Als ihr Mann starb, kamen Geheimpolizisten in ihr Haus und verhafteten sie fuer 8 Tage, ihre Kinder mussten von der Nachbarschaft und Verwandten des Vaters versorgt werden. Sie wurde dreimal geschlagen, mit Pfefferspray traktiert und mit der Dose gepruegelt. Man gab ihr eine Woche, um irgendwelche Namen zu nennen, drohte ihr, sie fertig zu machen, sie zu toeten, worauf sie in der Nacht floh und per Zug nach Wadi Halfa fuhr und dort mit der Faehre die Grenze bei Wadi Halfa ueberschritt, Haus und alles Eigentum zuruecklassend. Mit dem Bus kam sie nach Kairo, 1200 km nilabwaerts.

"Mein Schicksal ist eines von vielen. Aber alle Suedsudanesen sind gleich. Wir leiden alle."

Ein baumlanger Dinka setzt sich vor mich. James Manga Chop Dour ist 31 und Single. Er kam 1987 nach Karthoum. Der sudanessiche Geheimdienst versuchte den Ingenieur bei DAEWO in Karthoum immer wieder unter Druck zu setzen, fuer sie als Spitzel zu arbeiten. Nachdem er sich offen weigerte, wurde er als Mitglied der Rebellen beschuldigt. Er floh 2001 auf dem gleichen Weg wie Rose. Vor acht Monaten wurde er von 5 Aegyptern in Kairo ueberfallen und mit zahlreichen Messerstichen schwer verletzt; sein Gesicht, Kopf, Hals weist dicke, frische Narben auf. "Sie versuchten, mir die Halsschlagader durchzuschneiden, auf beiden Seiten! Und dachten, ich sei tot und liessen mich liegen. Sie haben mir nichts weggenommen und waren geschult in dem, was sie taten." Er vermutet, dass der sud. Geheimdienst hier in Kairo Handlanger, z.B. Ex-Polizisten bezahlt, die demonstrieren sollen, dass man ihnen auch durch Flucht nicht entkommt. Er drueckt mir einen von ihm verfassten Appell an die UN in die Hand und seinen Krankenbericht.

Ibrahim Mohemmed ist 29. Er hat keine Verwandten, nur ein paar Freunde in Kairo und stammt aus Darfur. "Ich verliess meine Heimat und ging nach Nyala. Als ich auch dort verfolgt wurde, reiste ich 2003 nach Karthoum und wohnte in einem Fluechtlingscamp namens Soba", wenige km suedlich der Hauptstadt. Aber auch dort fand man ihn und bedrohte ihn weiter: "Man verlangte eine Liste von Mitgliedern der Rebellen im Camp. Ich hatte viel Angst um mein Leben. Ich wusste, sie wuerden nicht lockerlassen. Ich bin vom Stamm der Zaghawa. Wir sind fast alle Muslime. Und die Araber warfen mir vor, als Muslim haette ich ihnen zu helfen. Ich sollte sagen, wer im Camp fuer den Widerstand agitiert, wer Geld spendet fuer die Rebellenorganisation, Ich bin ledig und habe keine Frau, die mir hilft. Ich habe versucht Guertel auf der Strasse zu verkaufen, dass hat max. 1-2 USD gebracht am Tag. Aber die Polizei jagt dich, denn der Handel ist illegal, aber legal darfst du es auch nicht. Mein Pass galt fuer 2 Jahre und ist seit Juli abgelaufen. Ich frage sie: wuerden sie mir raten zurueck zu gehen?"

Ich mache Fotos. Spaeter, in Deutschland, wird sich keine Redaktion fuer diese Geschichte interessieren. Aber im Dezember raeumt die Polizei das Demo-Camp gewaltsam, es gibt Schwerverletzte und fuer einen Tag sind die Bilder in den Medien. So oft ist es die Gewalt, die erst die Aufmerksamkeit erbringt.

Ich glaube die gehoerten Geschichten und ohne gewichtigen Grund setzt sich niemand monatelang den Bedingungen an dieser Strassenkreuzung aus. Viele sind im Hungerstreik, mehrere brachen zusammen, aber auch das ruehrt niemanden.

Ich schuettle viele Haende und fuehle mich ein wenig wie ein Verraeter, der sie zuruecklaesst mit leeren Worten, ohne Hilfe und morgen in seinen Flieger ins Paradies steigt.

Kurz vor Sonnenuntergang fahre ich mit einem Minibus Richtung Sueden zu den grossen Pyramiden. Der Haupteingang ist geschlossen, aber Aegypten waere nicht Aegypten, wenn es nicht noch einen Hintereingang gaebe. Auf einem gemieteten Pferd reite ich hinunter zum Grabmahl von Cheops Sohn Chephren. Nach ihm gab es keine grossen Pyramiden mehr. Ich stehe in der Wuestenstille im Sand vor den von Menschen gebauten Bergen und ahne Zeit und Bedeutungslosigkeit. All die vielen Schicksale, unbeachtet wie einzelne Sandkoerner in der Wueste. Vielleicht ist dies die groesste Angst des Maechtigen: vergessen zu sein.

Rueckfahrt ueber die Lichter der Hausboote am Nil.

Am Abend warte ich vergeblich auf Sayed im Nachtcafe. Vielleicht ist es besser so.

Ich trinke einen letzten Tschai, den Geruch der Schischas, der Wasserpfeifen in der Nase. Ein Eis noch, ein Spaziergang in der dichten Geschaeftigkeit von Kairos engen Strassen.

Ins Hotel.

Der letzte Tag meiner Reise ist, wie so viele andere Tage, ganz anders verlaufen, als ich es ahnte. Einerseits. Andererseit passt er ganz gut dazu.

geschrieben am 7.3. in Krefeld.


 


  Team Login

© biketour4goodhope