9/4/2002 Jugoslawien / Novi Sad
Kazite nam gdie su ? (Kroatisch)
Schatten ueber dem Land / Phoenix aus der Asche / Ein Deja-vu-Erlebnis an der Grenze
(Renata und Harald) Ich hatte Renata im Vorhinein auf unser naechstes Ziel vorzubereiten versucht, was nicht wirklich gelang: Vukovar- ein Fanal des Krieges von 1991. Wir brechen in Osijek bei Sonnenschein auf. Das Brennen einer CD mit Fotos, sowie deren Versand per Post, haelt uns den halben Tag auf. Ueber die zweispurige Bundesstrasse, vorbei an zerstoerten Buerger- und Hochhaeusern und Einkaufszentren, geht es nach Osten. Der Asphalt ist ueberall durch Panzerketten zerdrueckt. Die Strassenschilder sind durch Kugeln in Richtung Serbien zerschossen. Vor einer zerstoerten Fabrik steht ein weisser UN-Panzerwagen mit zersplitterten Glasfenstern. Welche Geschichte steckt dahinter? Die Fabrik ist verlassen. Unbewirtschaftete Landstriche stellen sich als gesperrte Minengebiete heraus. Die Strasse ist schnurgerade. Am Horizont zieht ein Gewitter auf und kurz vor Vukovar prasselt es auf uns nieder. Im Regen durchfahren wir die Vororte, erreichen die Stadt. Die Zerstoerungen von 1991 sind ueberall sichtbar und uebertreffen alles, was wir je selbst gesehen haben. Im Zentrum blieb kein Haus verschont. Ruinen, wie wir sie nur durch Bilder aus dem zweiten Weltkrieg kennen. Mein Gott, was fuer ein Desaster! Die wenigen Menschen, die seit der Rueckeroberung Slawoniens durch die Kroaten 1996 wieder zurueckgekehrt sind, haben einige wenige Geschaefte wieder aufgebaut. Man erzaehlt uns, dass der jetzige Zustand der Stadt schon viel besser sei. Die schoenen, alten Bauten direkt an den Ufern von Drave und Vuko: Nur noch Gerippe. In der Ruine der ehemaligen Stadtverwaltung streunen herrenlose Katzen umher, scheu fluechten sie in den Untergrund. Als eine alte Frau ihnen Futter bringt, kommen sie hervor. Renata kommt hier mit dem Dialekt nicht gut zurecht. Aber sie versteht, dass die alte Frau sehr verzweifelt ist und vom Krieg erzaehlt. Wir wollen das einzige, teure Hotel nicht beziehen und lassen uns eines vor der Stadt, in Borovo, empfehlen. Im Dunkeln suchen wir den Sender "Radio Vukovar", in dessen Gebaeude es zu finden sein soll. Das Hotel ist da, aber belegt. Man bietet uns an, nach Schliessung des kleinen Aufenthaltraumes dort zu schlafen. Wir unterhalten uns mit den ausschliesslich maennlichen Gaesten- der Krieg ist hier Thema Nr. 1. Renatas freundlich-offenherzige Art wird von einem Ex-Knacki - er habe 20 Jahre "gesessen" wird erzaehlt- missverstanden. Der Romeo laesst nicht mehr locker und streift bis drei Uhr morgens im Dunkeln um unser Zelt, das wir wg. der Muecken selbst im Cafe-Raum des Gebaeudes aufgeschlagen haben. Aber der anwesende Portier legt sich auf drei zusammengeschobene Stuehle demonstrativ vor unser Zelt. Ich mache kaum ein Auge zu und wir stehen um fuenf Uhr auf und fahren ab. Hinter Vukovar Sperrung des Verkehrs. Hier werden jeden Tag zwischen 7 und 14 Uhr Minen geraeumt. Der Verkehr wird periodisch durchgelassen. Wir fahren an den Minenfeldern vorbei. Zwei blaue Fahnen kennzeichnen jeweils den Fundort einer Mine. Eine Markierung steht weniger als einen Meter neben der Fahrbahn. Wir durchfahren Sotin. Auf dem Marktplatz ein Zelt, innen Ewige Lichte, zwei Tafeln mit Fotos und etwa vierzig Namen. Man erklaert uns, dass hier, neben einem Mahnmal fuer die Kriegsopfer, Baenke fuer die Witwen der Opfer aufgestellt werden. Im Zelt Nr. 10 Sitzplaetze, die offensichtlich viel genutzt werden. Die Fotos zeigen u.a. alte Frauen- alle sind spurlos verschwunden, liegen irgendwo verscharrt. Auf den Tafeln steht: " Kazite nam gdie su?" Sagt ihr uns, wo sie sind? Man moechte wenigstens Graeber anlegen koennen. Auf dem Weg zur Grenze laedt uns ein Bauer zum Kaffee ein. Aber wir wollen weiter und Novi Sad erreichen. In einem Dorf fange ich eine praechtige Smaragdeidechse, ein gut 30 Zentimeter langes Exemplar und gleich darauf eine Ringelnatter, die gerade eine Eidechse verspeist. Die Grenze zwischen den Ex-Kriegsparteien bildet eine Bruecke. Drueben will man ein Touristenvisum. Haben wir nicht. Kann man erwerben- fuer 12 Euro. Euro haben wir nicht. Dollar, Schweizer Franken? Haben wir nicht. Kroatische Kuna (Kronen) nimmt man nicht: "Wir sind in Jugoslawien, nicht in Kroatien." Wie schoen. Also zurueck nach Ilok, dem Grenzort und Geld gewechselt. Die kroatischen Zoellner unken: "Ja, ja- so machen die Europa da drueben." Als wir ueber die Bruecke fahren, ist uns, als waeren wir doch schon mal hier gewesen... Die Donau im Sonnenlicht, breit und traege, die gruenen Auen beiderseits. Eine Wohltat fuer die Augen. In Jugoslawien stinken die Autos, z.B. Marke "Jugo", schrecklich. So einen Dreck aus Auspuffen haben wir noch nicht erlebt. Aber es wirkt allgemein aufgeraeumter, ein Land, so scheint uns, im Aufbruch. Ueberall wird gebaut: Strassen, Industrie, Privathaeuser. An einer Raststaette in Hlozany machen wir eine Pause. Die Betreiberfamilie ist ueberaus herzlich, laedt uns zum Eis ein und gibt uns Tipps, der Sohn faehrt begeistert mit Renatas Rad. Novi Sad bildet eine Grossstadt mit mehreren Vorstaedten und zeigt hektisches Leben. Wir suchen den ausgeschilderten Campingplatz an der Donau, den es aber nicht gibt. Schliesslich nehmen wir ein sog. "Campinghaus"- die guenstigste Alternative, die wir nach vielem Suchen finden koennen. Auch hier muss ich im Zelt auf der Matte schlafen, weil die Muecken mich so lieben. Vorbei an einer durch die Nato zerbombten Donaubruecke, steuern wir morgens einen Fahrradladen an. Hier, wie ueberall, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft- keine Drachen in Serbien. Es geht weiter Richtung Belgrad.
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