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Reisetagebuch

3/29/2006   Deutschland / Krefeld

Epilog

Wenn einer eine Reise tut

(Harald) "Die gefaehrlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, die die Welt nicht angeschaut haben." Alexander von Humboldt (1769-1859)

Seit langem ist diese Reise-Nachlese fertig. Aber wieder und wieder habe ich sie verworfen, umgeschrieben, ergaenzt und gekuerzt, weil sie mir zu melancholisch geraten erschien. Aber ich gebe es jetzt auf, darauf zu warten, dass sich eine heitere Fassung aus meinem Herzen entwickelt. Mir ist eben so zumute.

Hier also mein Schlusswort, der letzte Eintrag nach 44 Monaten Tagebuch.

"Es war einmal..." ein Fahrradreisender, der fuhr durch Europa, Kleinasien und das ganz, ganz grosse, ferne, unbekannte Afrika.

Mein Maerchen koennte auch beginnen mit den Worten: "Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzaehlen, drum nahm ich meinen Stock und Hut und taet das Reisen waehlen." Fuer mich gelten diese Worte des Herrn Urian aus dem Gedicht "Urians Reise um die Welt" von Matthias Claudius ganz sicher. Afrika hat mich erfuellt, ich bin voller Afrika.

Es war ein Aufbruch ins Land der Abenteuer, eine Fahrt ins Ungewisse, eine Begegnung mit Unbekanntem, Fremdem. Das barg unwaegbare Risiken und Gefahren, aber daran habe ich nicht allzu oft gedacht. Eines aber ist sicher: am Ende einer Reise, egal ob kurz oder lang, bist du bereichert, vor allem um neue menschliche Erfahrungen.

Reisen gehoerte schon immer zu den beliebtesten Erzaehlstoffen. Sindbad, Gulliver, Odysseus, der Verlorene Sohn und Einer der auszog, das Fuerchten zu lernen. Sehnsuechte, Wuensche, Traeume treiben den Protagonisten an. Unterwegs trifft ihn das Schicksal, er wird zum Spielball von Naturgewalten, oft ganz allein, auf sich gestellt, sucht er anderswo sein Glueck. Kein Weg ist ihm zu weit, um das gesteckte Ziel zu erreichen und seine Traeume wahr werden zu lassen.

Vor fuenf Monaten bin ich heimgekehrt. Ich bin hier, aber es ist, als sei ein Stueck meiner Seele in Afrika geblieben. Irgendwo da draussen im Akazienbusch laesst sie sich den roten Staub um die Nase wehen und denkt gar nicht daran, wieder in ihre angestammte Huelle zurueckzukehren. So eine Seele ist ein eigensinniges Etwas, das sich der Vernunft und Disziplin verschliesst und ich hoere immer noch eine innere Stimme trotzig sagen: "Ja, ja, denk du nur: in Deutschland ist es schoen, das Leben, hier ist es sicher, bequem, hier ist Heimat, hier sind deine Lieben etc. Ist mir schnuppe, all das Argumentieren!" Und sehnt sich nach der Gefahr, Muehe, nach all dem Dreck und dem Schweiss, nach Einsamkeit und Kampf, Hitze, Hunger und Durst. Warum ist das so?

In Afrika hinterlasse ich nur Spuren. Vielleicht erzaehlen die Kinder in Lokologo jetzt meine Maerchen? Ich habe daraus gelernt, dass man nie so wichtig ist, wie man sich kurzzeitig fuehlen mag. Wichtig ist der Augenblick, wenn du dort bist. Deshalb bin ich froh, dass ich nie das Fotografieren in den Vordergrund gestellt, sondern stets versucht habe, richtig anwesend zu sein, alles wahr- und anzunehmen.

Ich bin melancholisch dieser Tage. Wochenlang ziehe ich mich zurueck und Fremde beurteilen mich als "introvertiert". Wieder und wieder versichern mir Menschen, die lange Reisen gemacht haben: "Alles ganz normal, ist uns auch schon so ergangen, schon nach drei Monaten Reisens." Bei einem Diavortrag in Duesseldorf sagt der Autor, dass er nach 13 Monaten Fahrradreise ein halbes Jahr gebraucht habe, um wieder in Deutschland richtig zu Hause zu sein. Mein Fremdeln mit der Heimat scheint nach ueber drei Jahren also "normal" und verwundert mich wohl mehr als andere.

Ich sitze in der ersten Zeit im Mantel im Haus, zur Belustigung meiner Freunde. Mir ist dauernd kalt und ich bin wochenlang erkaeltet. An festes Schuhwerk muessen sich meine Fuesse nach drei Jahren Sandalentragens erst wieder gewoehnen - anfaenglich kann ich in Lederschuhen schmerzfrei nur kurze Strecken laufen.

Verwandte und Freunde erklaeren mir ueber Wochen Deutschland. "Das ist jetzt anders, Harald!" heisst es, oder auch: "...ach ja, da warst du ja nicht da..." Immer wieder auch: "Hey, Harald, das war ein Witz!" oder: "...ironisch gemeint!" Ironie und Sarkasmus sind mir fremd geworden. Verwundert registriere ich, dass mir Verhaltensweisen auffallen, die ich vor der Reise zwar gespuert, aber mir nicht bewusst gemacht habe. Paare, z.B., die sich gegenseitig ihre Schwaechen oeffentlich servieren. Im Fernsehen wird die Banalitaet inthronisiert. Nach fuenf Monaten habe ich mich wieder weitgehend daran gewoehnt und werde wieder "normal".

Die erste Frau an der Spitze des Staates seit seiner Gruendung. Die zweite Grosse Koalition. Von "Harz 4" hatte ich noch nicht gehoert. Unbekannte Automodelle, neue Strassen. In der Innenstadt ging das Sterben der traditionsreichen Geschaefte weiter, die Uniformierung der Innenstaedte setzt sich fort. Da begruesst dich niemand mehr mit Namen. Diktat der Effizienz.

Beim Spaziergang gruesse ich, wie seit Jahren gewohnt, jedermann, der mir in der Naehe des Wohnortes entgegen kommt. Aber nur wenige gruesst mich zurueck. Mittlerweile gruesse ich nicht mehr. Deutschland irritiert mich. Wie moegen sich hier Afrikaner fuehlen, die ihr ganzes Leben solche Entfremdung nicht kannten?

Am Anfang suche ich die wenigen dunklen Gesichter auf der Strasse wie lang vermisste Vertraute. So erging es mir anfangs in Afrika mit Weissen. Mancher dieser Einwanderer spricht mich an, denn ich scheine zu starren und dann sprechen wir auf der Strasse ueber Daressalam oder Nyahururu. Als ich mangels Kleingeld ohne Fahrschein in einer Bahn in Duesseldorf sitze und drinnen feststelle, dass ich keine Fahrkarte beim Fahrer kaufen kann, ist es ein Tunesier, der mich auf seine Karte kostenlos mitfahren laesst. Als ich in einem Bus kein Kleingeld habe, ist es ein tuerkisch-staemmiger Fahrer, der mir zufluestert: "Komm, steig ein, du kannst so mitfahren." In einem Netcafe sage ich dem Inhaber auf den Kopf zu: "Sie sind doch aus Aethiopien." Genauer: aus Eritrea. Vor der Reise haette ich wahrscheinlich nicht mal einen Sudanesen von einem Suedafrikaner unterscheiden koennen.

Wenn ich in der Stadt zu Fuss laufe, drehe ich mich manchmal um, schaue, wer hinter mir geht. Anfangs weiche ich sogar gelegentlich in Eingaenge zurueck und lasse alle hinter mir Gehenden vorbeilaufen, um zu beobachten, ob mich jemand verfolgt. Der Ueberfall, die vielen Warnungen und Geschichten, sowie 8 Monate in Suedafrika haben Spuren hinterlassen. Wie wunderbar es ist, sich in der Heimat sicher fuehlen zu koennen! Sich nicht staendig sorgen zu muessen, ob Familienangehoerige heil irgendwo ankommen. Erst in und durch Afrika ist mir bewusst geworden, welch hohe Gueter oeffentliche Ordnung und Gerechtigkeit sind.

Es gibt immer noch kein alternatives Konzept gegen das des "Wettbewerbs", das die Menschen einander entfremdet und entsolidarisiert. Koennte nicht etwas "Ubuntu" helfen, etwas "Ich helfe dir und du hilfst mir", Familienzusammenhalt, Nachbarschaftshilfe, nicht-renten-gebundene Generationensolidaritaet, bargeldlose Tauschgeschaefte mit Waren und Leistungen, wie sie Muammar Al Kadahafi, Libyens Herrscher empfiehlt?

Die Strassen sind hier breit, glatt und sauber. Wozu braucht man da riesige, Benzin fressende Allrad-Autos? Alles nur in den Koepfen, alles unnoetig, wie Pelze oder Aluminiumdosen. Die besten Autos der Welt, leise und bequem. Ampeln regeln den Verkehr, der ohne Hupen dicht dahinfliesst. Das ist klasse.

Die Parks sind sauber, die Busse puenktlich und neu. Wenn ich mit dem 60-Sitze-Bus fahre, bin ich manchmal der einzige Fahrgast und ich frage mich; koennten hier nicht die kleinen Matatus helfen gegen solche Geldverschwendung? Minibusse, privat, auf festen Linien, oder Motor-Rikschas? Ein bisschen Afrika uebernehmen?

Ich trinke fast nur noch Leitungswasser. Es ist klar, schmeckt und riecht einwandfrei und duerfte zu den besten der Welt gehoeren. Wozu da Wasser kaufen? Warmes Wasser gibt es in jedem Haus, es fliesst in reichem Strom.

Paradiesisch: 20 Sorten Eis zur Auswahl und ungezaehlte Brotsorten, Kaese ueberreichlich, jede Art von Fleisch und Fisch, Gemuese und Obst aus aller Welt.

Die Polizei: nicht korrumpiert, schikaniert dich nicht und ist hoeflich. Es ist gut, alles stets zu pruefen und zu verbessern, aber auch zufrieden zu sein.

Als ich einen neuen Personalausweis erhalte und wieder krankenversichert bin, kommen immer wieder Gedanken hoch: "Du bist drin in diesem Land. Du gehoerst dazu. Du darfst rein, wo so viele hinwollen. Hast du ein Glueck!"

Immer mehr Lebensmittel sind abgepackt, fertig zubereitet. Kocht ueberhaupt noch jemand? fragt man sich angesichts dieser "Fertigterrinen-Kultur". Das Kochen schaut man sich, anstatt bei Mutter oder Grossmutter am Herd, im Fernsehen an. Das echte Leben ist im Fernsehen. Fernsehen ist unsere Familie und unser Freund. Wir schauen unser fremder Leben. Wir machen keine Hausmusik mehr, sondern legen CDs ein. Wir singen nicht mehr selbst, sondern schauen DSDS. Statt Bewegung die Sportshow, statt Rad zu fahren, geht es mit dem Auto ins Studio und dort aufs Standrad. Und fuer jeden Sport musst du erstmal eine Ausruestung kaufen, selbst Dauerlaufen geht nicht mehr ohne "Werkzeug".

Daran, dass deutsche Maenner nicht angefasst werden moechten, muss ich mich auch erst wieder gewoehnen. Haende halten oder untergehakt bei einem Mann, wuerdest du hier als schwul gesehen werden.

Vielleicht ist es das, was uns tief drinnen an Afrika so fasziniert: die Urspruenglichkeit, das Echte. Ja-ja, Klischee, Klischee...Aber neben allen Klischees und falscher Romantik bleibt wahr, dass Afrika anders ist als Europa. Und ich meine, dass es uns etwas erzaehlen kann, etwas lehren ueber uns selbst, das wir nicht mehr wissen, sondern nur noch spueren oder ahnen. Es ist nicht alles besser in Afrika. Es ist vor allem nicht alles schlechter in Afrika.

Ich reise noch in meinen Tag- und Nachttraeumen. Mal sehen, wann ich ankomme.

Meinen Lesern und Freunden danke ich fuer das Interesse an meinem Projekt, die Anteilnahme und Ermunterungen.

"Was du erlebt, kann dir kein Gott mehr rauben." Robert Hamerling

geschrieben am 17.3.2006 in Krefeld


 


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