9/6/2002 Jugoslawien / Belgrad
Gemischte Gefuehle
"Hey, Deutschmann!"/ "Was halten sie von Jugoslawien?"/ Groteske Eindruecke in Belgrad
(Harald und Renata) Wir verlassen Novi Sad ueber die Donau. Bei ihren Luftangriffen hat die Nato 1999 eine Bruecke stehen gelassen. Eine zweite ist durch einen Ponton-Uebergang ersetzt worden. Auf der anderen Flussseite thront eine grosse Festungsanlage ueber der Stadt. Es ist bereits Abend, gegen 19 Uhr, als wir aufbrechen. Das Licht der untergehenden Sonne im Ruecken, fahren wir durch Doerfer, die wie die in Ungarn oder Kroatien aussehen: Haeuser aus der Zeit um 1900, der Wassergraben vor den kleinen Vorgaerten, die Stromleitungsmasten neben der Strasse. Allerdings gibt es hier mehr Neubauten. Weder in Ungarn, noch in Kroatien haben wir auch nur eine einzige Kuh gesehen. Erst hier steht eine neben der Strasse. Kurz hinter Novi Sad steigt die Bundesstrasse kilometerlang bergauf. Unten liegen links der Strecke die Donauauen. Der getrocknete Schlamm des Hochwassers markiert deutlich dessen Hoechststand. In der Folge gibt es auch hier Muecken bis zum Abwinken. Waehrend wir uns lange Kleidung anziehen, muessen wir uns gegenseitig die Biester vom Leib halten. Eine Wolke umgibt uns- ich koennte rasend werden. Erst ab einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h haben wir Ruhe- aber bergauf ist das kaum machbar. Es ist dunkel, die feuchte Hitze und unser Schweiss klebt uns die Kleidung an den Koerper. Unter den Helmen staut sich die Waerme. Aber nirgendwo wurden wir so oft angehupt, geschnitten wie hier. Die Steigung nimmt kein Ende. Nach jeder Biegung statt des erhofften Kamms ein neuer Anstieg. Als wir endlich oben sind, vergaellt uns eine voellig zerplatzte Betonfahrbahn das Vergnuegen der Abfahrt. Meine Haende sind taub, erholen sich erst ueber 24 Std. spaeter von den Vibrationen und das trotz Gabelfederung. An einer einsamen, kleinen Tankstelle wollen wir Getraenke kaufen. Wir sehen wohl so fertig aus, dass der Tankwart uns anbietet, hier das Zelt aufzuschlagen. Wir schauen uns an und nicken. Nur ca. 30 km geschafft- aber voellig erledigt. Direkt neben der Reifenkillerstrasse ueber die polternd die LKW rumpeln, fluechten wir uns ins Zelt vor den wuetenden Moskitos. Und weil wir uns mit dem Wachhund gleich angefreundet haben, bitte ich ihn, uns zu bewachen. Das mag seltsam klingen- aber es funktioniert tatsaechlich. Als ein LKW-Fahrer sich unserem Zelt in der Nacht neugierig naehert, verbellt er ihn bis er weggeht. Mit Papier in den Ohren schlafen wir satte acht Stunden durch und fruehstuecken auf einem Betondeckel mit dem Hund. Kaffee gibt es kostenlos von den Tankwaertern. "Chwala"- Danke! Wir brechen frueh auf und versorgen uns auf einem kleinen Markt. "Hey, Deutschmann!" Wir bekommen Obst geschenkt. Und kaufen Naehmaschinenoel fuer die Ketten. Das Oelen geht nicht ohne verschmierte Haende ab. "Hey, Deutschmann, nehmen Schnaps, komm!" Er uebergiesst mir mit Schnaps die Haende und am Brunnen waschen wir das Obst. Und: "Dowidzenja"- Auf Wiedersehen. Belgrad begruesst uns mit Sonnenschein und erinnert an Paris oder Bruessel. Neben dem groessten Hotel "Yugoslawia" hat die Nato mit kaum vorstellbarer Praezision das Energieversorgungsunternehmen zerbombt. 10 Meter daneben haette es das Hotel getroffen. Und etwas weiter ueberragt eine ausgebrannte Hochhausruine, die gerade wieder aufgebaut wird, die Stadt. Wir fragen die Bauarbeiter, was passiert ist. "Die Nato, 1999, Stadtverwaltung." Aha! Uns ist unwohl, schliesslich stehen sich hier eigentlich Ex-Kriegsgegner gegenueber. Und das nach erst drei Jahren. Nach Ueberquerung einer unzerstoerten Bruecke, haelt uns ein Geschaeftsmann an. Wir tragen die T-Shirts, die man uns in Novi Sad im Fahrradladen geschenkt hat. Und er ist Mitglied im selben Club und hilft uns, die Jugendherberge zu finden. Leider hat sie seit drei Tagen geschlossen. Ein Maedchen, ca. 18 Jahre alt, fragt mich, was ich von Jugoslawien halte. Sofort bin ich umringt von neugierigen Teenagern. Was soll ich sagen, nach so kurzer Zeit in eurem Land? Ob die Jugoslawen so schmutzig seien, wie ich gedacht habe, fragt mich eine andere. Wieso schmutzig? Es ist das System, die politische Auffassung, die wir nicht teilten. Die Jugend will, so scheint es, sofort in Europa integriert werden. Auf dem Weg zum naechsten "Hotel Royal" unsere Tour, sehen wir "westliche" Markenkleidung, so manchen freien Bauchnabel, moderne Frisuren, Strassencafes. Bis spaet in die Nacht ein Einkaufsrausch. Es irritiert etwas, ueberall die in Blau gekleidete Miliz zu sehen, mit langen Schlagstoecken. Ueberhaupt fragen wir uns, hinter welchen freundlichen Gesichtern sich die Maenner verbergen, die rundherum im Land so gewuetet haben. Polizisten, Milizen, Soldaten. Es muss fuer die davon Betroffenen unertraeglich sein, nach so kurzer Zeit zu scheinbarer Normalitaet uebergehen zu sollen. Das Hotel ist laut, aber wir wissen, das auf uns noch ganz andere Unterkuenfte warten- Bettwanzen, Floehe etc. So kaufen wir denn auch das Gebaeck neben dem Hotel, obwohl gerade eine Kakerlake durch die Auslage krabbelt. Unser D2-Handy bekommt hier keine Verbindung. Wir muessen vielleicht bald unser Satelitentelefon einschalten. Am naechsten Tag brechen wir gegen Mittag auf, nachdem die Waesche getrocknet ist.
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