9/17/2002 Bulgarien / Sofia
Neinnicken / Alles klar in Sofia ?
Ein Diebstahl, ein aufgebundener Baer, ein Bossa- Nova spielender Mazedonier
(Harald und Renata) Als wir nach dem Schreiben des Tagebuches im Flur des Netcafes unsere Fahrraeder sehen, haben uns, um ja auch jedes Vorurteil zu bestaetigen, freundliche Netcafenutzer Lampe und Tacho abgerissen. Kaum angekommen, schon beklaut. Das kostet Geld, Zeit, aber irgendwie erschuettert mich das nicht sonderlich. Sollte ich jedoch so einen Spezi erwischen, so gnade ihm Gott. Wir suchen das "Art-Hostel", das man uns als preiswertere Unterkunft empfohlen hat. Mitten in der City gelegen, ist es ein typischer "Backpacker": Alle Nationen, sieben Maennlein und Weiblein in einem Zimmer, alle bestens drauf. Drei Belgier, zwei Englaender, Irinen, ein Mazedonier, der auf seiner Klampfe Bossa Nova spielt. Wir gehen zusammen in einen Irish Pub, alle Sprachen flirren durch den Raum. Morgens lachen wir ueber den hiesigen Haushund, der ungefragt in alle Betten steigt und auch den verschlafensten Gast beschmust. Im Garten winseln sechs Welpen um die Wette. Ihr muesstet mich jetzt sehen: ich sitze im Hostel unter einer Holztreppe, mit dem Bauch vor dem Bildschirm- eindeutig und unueberbietbar der kleinstdenkbare Arbeitsplatz. Es gibt hier etliche Netcafes, aber das intime Ambiente hier wollte ich mir nicht entgehen lassen. Sofia ist mit dem bulgarischen Hinterland nicht zu vergleichen- ein Phaenomen, das man ja aus vielen Staaten kennt. Hier ist der Gegensatz jedoch extrem. Neben protzigen, neoklassizistischen Bauten, viel Granit, Messing, Marmor und Glas im Zentrum, sehen wir auch ein Minarett, Strassenverkaeufer bieten Sonnenblumenkerne und Pistazien an. Wir sehen, wie schon in der Provinz, Monumentalstatuen aus der sozialistischen Aera. Es gibt mehrere Waffengeschaefte, wir flanieren, mit einem Auge nach hinten gerichtet, durch die City. Ich kaufe das "Bulgarische Wirtschaftsblatt", die einzige deutschsprachige Zeitung im osteuropaeischen Raum. Der Innenminister Bulgariens bestaetigt, dass die Polizei von der Mafia unterwandert ist, im Getreidehandelsmarkt wird in gigantischem Stil Geld der Mafia gewaschen, Ex-Angehoerige einer Spezialeinheit zur Terrorismusbekaempfung betaetigen sich als Auftragskiller. Das erinnert an russische Verhaeltnisse. Im Zentrum sehen wir ein altes Zigeunerpaerchen mit einem "Tanz"-Baeren, dem ein Eisenring durch die verstuemmelte Nase gezogen wurde. Ich traue meiner Erinnerung erst nicht, aber das Paar bestaetigt selbst, dass sie im deutschen Fernsehen zu sehen waren, als sie einer Tierschuetzerin ihren Baeren unter herzzerreissendem Geheule abgaben. Das "gerettete" Tier sitzt hier vor uns, die alten Narben und ausgebrochenen Zaehne beweisen: Es ist dasselbe Tier. Was fuer ein Schmu, ein Armutszeugnis fuer den Tierschutz hier. Mit dem Geld, das die Tierschuetzerin dem alten Paerchen als Kaufpreis gegeben hatte, haben die Beiden den Baeren flux zurueckgekauft und dabei wahrscheinlich noch einen guten Schnitt gemacht. Irritierend fuer uns ist, dass man hier zur Bestaetigung den Kopf schuettelt und umgekehrt zur Verneinung nickt. Das fuehrt mehrfach zu reizenden Missverstaendnissen. Wir richten unseren Blick nach Osten. Istanbul ist noch ca. 600 km entfernt
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