9/25/2002 Bulgarien / Harmanli
Uliza (eine Strasse im Zelt)
Ein Horoskop erfuellt sich / Wir achten auf die Strasse und die Strasse auf uns
(Renata und Harald) Wir verlassen Plovdiv nach einem unserer typischen Fruehstuecke: In einem Strassencafe sitzend, winzige "tuerkische" Kaffees schluerfend, vom nebenan liegenden Strassenstaenden mitgebrachtes Suessgebaeck vertilgend, Leute beguckend, Strassenkarte lesend und sich viel zu viel vornehmend. Hinter Plovdiv bricht die Sonne durch die duesteren Wolken, es ist heiss. Bald fahren wir, wie schon so oft, eines der vielen Restaurants an der Bundesstrasse an. "Zwei Cola, bitte!" Im Schatten sinnieren wir ueber Istanbul, als der Chef sich zu uns stellt. Ein sympathischer, ca. 60 Jahre alter Textilkaufmann tuerkischer Abstammung. Er hat verschmitzte Augen, strahlt Ruhe aus. Und zu Renatas Freude spricht er Russisch und Polnisch. Die englische Konversation kommt zum Erliegen und statt zu einem kurzen Halt, bleiben wir anderthalb Stunden. Harry (mein Spitzname- was fuer ein Zufall) erzaehlt uns, wie gut die siebziger Jahre in Bulgarien waren und unter welchen Restriktionen die tuerkische Minderheit leiden musste. Sein Sohn ist Reisemanager in Antalya- da wollen wir hin! Und ein Bekannter hat ein Hotel an der europaeisch- tuerkischen Kueste- auch da fuehrt unser Weg hin! Und beim Abschied erzaehlt Harry, dass ihm sein Horoskop diese, unsere Begegnung voraus gesagt habe: "Das ist heute mein Glueckstag, dass ich mich so unterhalten konnte." Wir wollen nach Haskovo, aber am Strassenrand folgt uns ein kleiner Hund. Wir halten an- wie immer. Und das winselnde Etwas ist hungrig und freut sich tierisch ueber unsere Zuwendungen. Mein Blick peilt die Lage rechts der Strasse im Feld: Hohes Gras, eine Mulde, ein Baum, kein Mensch zu sehen. "Lass uns hier zelten." Gesagt, getan. Zum ersten Mal bauen wir das Zelt in starkem Wind auf, aber mit einbrechender Dunkelheit sind wir ready. Weil die kleine Hundedame, ein Vielfachmischling, uns nicht mehr von der Seite weicht, bekommt sie unser letztes Wasser, ein Stueck Nusskuchen und dann fangen wir fuer sie Heuschrecken, die sie knackend-gierig vertilgt. Renata tauft sie "Uliza", polnisch fuer "Strasse". Im kuehlen Wind schauen wir uns die Sterne an, orangefarben geht der Mond auf. Gewitterwolken am Horizont werden lautlos von Blitzen erhellt. Die ganze Nacht wacht Uliza ueber das Zelt und uns. Am fruehen Morgen gehe ich mit ihr auf Heuschreckenjagd, aber wir muessen schliesslich Abschied nehmen. Nur kleben die Reifen irgendwie an der Strasse... Renata guckt wieder so nach "das koennen wir doch nicht machen!" Und so stopft sie sich Uliza halb in die Regenjacke, halb in die Hose und wir kutschieren das magere Fellknaeuel in den naechsten Ort, fuettern noch mal Wurst und Kekse nach und dann verdonnert Renata den Tankwart dazu, die Huendin weiter zu fuettern und wir fahren los. Es beginnt richtig zu regnen, es geht lange Steigungen hinauf, Gegenwind drueckt uns unter 10 km/h. Ohne ein Brennen im Herzen wuerde jetzt jeder vom Rad steigen. Wir halten weitere 40 km durch. Erst in Hermanli, mit Wasser in den Schuhen, die Pullover tropfen, entscheiden wir uns fuer ein Hotel fuer kleines Geld- 10 Euro fuers Zimmer erscheinen uns wohlfeil. Keine zehn Pferde werden uns morgen davon abhalten die tuerkische Grenze zu ueberschreiten.
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