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Reisetagebuch

10/11/2002   Tuerkei / Manisar

Die Messerattacke

Richtung Sueden! Und: Regenwasserschuhe, Schildkroeten und das Niluefer

(Renata und Harald) Am Abend sitzen wir in Yalova bis ein Uhr im Internetcafe, weil die Uebertragung der Digitalbilder nach wie vor nicht gut funktioniert. Wir lassen alle Bilddaten auf eine CD brennen, damit wir freien Speicherplatz fuer unsere Kamera erhalten. Nun stehen wir aber vor dem Problem, diese CD zeitnah und sicher nach Deutschland zu versenden. Alles nicht so einfach.

Am naechsten Morgen regnet es. Hinter Yalova geht es derart steil bergauf, dass wir nur schieben koennen und das ueber sechs Kilometer. Wir sind voellig durchnaesst. Die sagenhafte Regenkleidung, vor allem die Jacke, laesst Wasser durch und somit erkalten alsbald Arme und Koerper und vom Hueftbund und den Aermelansaetzen an den Handgelenken her ist die Unterkleidung tropfnass. Aber wir fahren weiter.

In Gemlik, einem kleinen Hafenstaedtchen, fuehrt uns die Strasse an einer der zahlreichen Kasernen der Gendarmerie vorbei. Der Wachtposten laedt uns zum Tschai ein- hinter ihm steht sein Kommandant in Zivil. Ein gutes Deutsch sprechender Soldat dolmetscht. Wir sitzen da, waermen uns auf, erzaehlen, wie so oft schon, von unserer Reise, von Deutschland, was man verdient, was dies und das kostet etc. Der Kommandant war fuenf Jahre im Kurdengebiet. Auf meine etwas freche Frage, ob er auch waehrend der Einsaetze im Irak war, laechelt er und zuckt die Schultern. Er dankt Allah, dass er die Kampfeinsaetze gegen die PKK (militante Kurdische Partei) ueberlebt hat. Nach einer halben Stunde heisst es "Allah s-smaladik" und "Guele-guele", "Auf Wiedersehen", nicht ohne eine unserer Visitenkarten da zu lassen.

Durch Orhangazi am Izniksee vorbei, geht es dann nochmals bergauf. Schaetzungsweise 400 Hoehenmeter sind an einem Stueck zu ueberwinden. In den Schuhen gurgelt bei jedem Tritt das Wasser, aus den Aermeln tropft es- die Pullover kann man hervorziehen und auswringen. Wir ueberqueren die "Niluefer", ein Fluesschen vor Bursa.

Laut Karte sollen es bis zum Etappenziel Bursa nur 44 km sein- tatsaechlich sind es 72. Ein Weiterfahren ist unmoeglich. Wir fragen wieder einen Taxifahrer nach einem billigen Hotel. Er faehrt uns voraus. Aber 35 Millionen Lira sind ca. 22 Euro und fuer die Kaschemme ein Witz. Man muss hier jeden Preis verhandeln- jeden Tee, jeden Kebab. Das ist laestig und, weil man offensichtlich immer das Mehrfache des Normalpreises bezahlen soll, auch frustig. So eine Art tuerkischer Volkssport. Schliesslich knicken wir ob unseres Zustandes bei 20 Mill. ein- ohne Fruehstueck, nur Tee und Kaffee noergeln wir noch heraus. Viel zuviel Geld, aber wo soll man in der baumlosen Gegend campieren- Campingplaetze gibt es nicht. Der gepriesene "best service" loesst bei uns viel Gelaechter aus: Es gibt keinen Spiegel im Bad, kein Toiletpapier, der Fernseher hat keinen Stecker, die graue Bettwaesche ist voller Haare und im Bad trete ich mir eine Scherbe in die Ferse. Wir uebersaeen das Zimmer mit zum Trocknen ausgebreiteter Kleidung.

Am Morgen flitze ich mit dem Rad los um einzukaufen. Brot gibt es in der Baeckerei namens "Darmstadt". Die Auswahl beschraenkt sich auf Formen, denn der Geschmack ist bei nahezu allen Broten aehnlich und gleicht frappierend dem eines Baguettes. Wir fruehstuecken im Zimmer an einem Campingtisch, reissen Brotstuecke mangels Messer vom Laib ab und ziehen diese durch den Streichkaese. Dazu gibt es Tschai/Tee und fuer Renata einen Nescafe. Filterkaffee bekommt man nirgends.

Gegen 10 Uhr brechen wir auf und passieren den Ulubat-See und die Stadt Mustafa-Kemal-Pascha und erklimmen von dort aus die Berge. Nach 106 km erreichen wir Susurluk, ein kleines Staedtchen mit nur einem Hotel. Wir sind beide erkaeltet - eine Folge des Vortages. Trotzdem suchen wir ein Internetcafe auf. Wir checken gerade unsere E-Mails, als mich eine seltsame Unruhe des Personals alarmiert. Und ploetzlich draengt ein Pulk junger Maenner durch den Eingang, voran ein staemmiger Typ mit einem grossen Messer. Ein anderer greift- was fuer ein Mut! - in die offene Klinge und die anderen druecken die Beiden zu Boden. Der Messerstecher laesst, angesichts der Erfolglosigkeit seines Tuns, das Messer los und das Messer richtet sich nun auf ihn. Ich habe mir zu unserer Verteidigung einen Stuhl geschnappt, aber eigentlich war es schon zu spaet. Das Ganze spielt sich nur einen Meter neben uns ab. Renata ist kreidebleich und zittert wie Espenlaub. Wir werden vom Besitzer des Netcafes zwar zu ihm nach Hause eingeladen, lehnen aber ab und ziehen uns ins Hotel zurueck.

Der naechste Tag wird der haerteste unserer Tour. Hinter Susurluk wollen wir Wasser aus einer der zahlreichen Quellen schoepfen. Ein Obstverkaeufer hat dort sein Quartier aufgeschlagen und laedt uns zum Tschai ein. Der offensichtlich arme Mann tischt uns eine Honigmelone auf (jetzt wissen wir endlich, wie man die Dinger gekonnt zerlegt), sowie Brot und Oliven. Kamil heisst er und hat einen jungen Hund und seine Augen sind rot und voller Trauer. Seine Frau starb im Mai, als sein Haus bei einer Gasexplosion in die Luft flog. Jetzt schlaeft er hier unter freiem Himmel. Nach einer Stunde muessen wir weiter. Kamil sagt zum Schluss, er moechte so gerne mal nach Deutschland.

Es geht durch die Grossstadt Balekesir. Ein Streifenwagen der Verkehrspolizei umfaehrt uns und die Beamten laden uns zum Tschai ein. Wieder Maenner mit Lachfalten und relaxtem Gang.

Vor allem ich bin schlapp. Es geht staendig bergauf, die Beine wollen nicht mehr. Kopf, Hals, Gelenke schmerzen. Wenn man unbeobachtet Zelten will, muss man genau den Einbruch der Dunkelheit abwarten. Noch genug Licht, um zu erkunden, aber dunkel genug, um unbemerkt das Zelt aufbauen zu koennen. Wir finden den Weg, den Zeitpunkt, den Platz. Prima! Als wir gerade abpacken, hoert Renata zwei Maenner- ihre Silhouetten sind oben am Hang zu sehen. Mist! Wir wollen nicht riskieren, dass die wiederkommen oder im Dorf von uns erzaehlen. Abbruch, Weiterfahrt, Chance vertan.

Es wird dunkel, Renatas Lampe geht zudem aus. Und es ist richtig kalt. Wir haben Hunger. Als wir um 22 Uhr Gelenbe erreichen und in einer Fernfahrergaststaette essen (was fuer ein Geschrei), erfahren wir: No Hotel! Was jetzt? Ein Kellner fuehrt uns zur Moschee, weil man dort auf dem Boden schlafen koenne. Aber das Gotteshaus ist abgeschlossen. Die naechste Stadt ist Akhisar- fast 30 km entfernt. Es ist Mitternacht- wir sind einfach zu muede um weiterzufahren.

Zum Campieren verlassen wir die Stadt. Ein Weg rechts der Strasse, die Nacht ist fast schwarz. Mit der Fahrradlampe erkunde ich eine ungeeignete Wiese, daneben einen Olivenhain auf schlammigem Acker. Egal! Mit letzter Kraft druecken wir die Raeder durch den Morast, tief in den Hain, sammeln die dicken Steine auf, treten den Acker platt, breiten die Plastikfolie aus und bauen das Zelt auf. Renata schlaeft tief und durch und ich, ganz der Wachhund, dusele bis zum Morgen herum. Aber wir sind erholter, wenn auch immer noch krank. Zudem hat nun auch Renata den Flotten Otto- das war nicht unser Tag. Aber wir haben 120 km geschafft.

Am Morgen scheint die Sonne. Durch Akhisar radeln wir bis Manisar, einer Grossstadt kurz vor Izmir. An der Strasse die ersten Eukalyptusbaeume und Baumwollfelder. Wir stiefeln runter in ein Feld und lassen uns von den Frauen zeigen und erklaeren, wie das so ist, sieben Stunden am Tag gebueckt im Schlamm stehen, Stacheln zerkratzen die Haende, dazu die Hitze oder Kaelte, nur Wasser und Brot und Kaese und das fuer etwa 5 Euro am Tag.

Eine grosse Schildkroete kreuzt die Strasse, Wiedehopfe kreisen ueber unseren Koepfen, eine mir unbekannte Schlange liegt am Fahrbahnrand. Immer noch gibt es viele Raupen, trotz des Herbstes.

Hier in Manisar gibt es riesige Palmen.

Zwei Maedchen verhelfen uns zu Hotel und Netcafe. Sie waren, wie ich, auf der Expo in Hannover und sprechen gut Englisch- eine echte Ausnahme hier.

Morgen geht es ueber Izmir zum Aegaeischen Meer.


 

 

 

 

 

 

 

 


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