11/24/2002 Tuerkei / Anamur
Mein Name ist Assan!
Ein ereignisreicher Tag: Rueckfahrt nach Gazipascha, verlorenes Gut wird wieder gefunden, Weiterfahrt zu einer schoenen Bucht, die erste gemeinsame Nacht im Holzverbau.
(Renata und Harald) Wir fruehstuecken an einem kleinen Tisch auf der Terrasse, an dem noch eine unserer Windleinen befestigt ist. Da wir die einzigen Gaeste sind, ist der Service exklusiv. Wir sitzen im Sonnenschein und beraten, was wegen des Hundes zu tun ist. Um neun Uhr soll der Bus nach Gazipascha kommen. Wir starren gebannt auf die Bergstrasse, schliesslich stellen wir uns an dieselbe, um dann zu erfahren, der Bus komme evtl. um zehn Uhr. Wir wollen nicht warten und halten den Daumen raus. Bereits ein paar Autos spaeter nehmen uns zwei junge Maenner im PKW mit und setzen uns genau dort ab, wo wir den Hund am Vortag zurueck gelassen haben. Ich erklaere mit meinen Haenden als Ohren und einem "Wauwau", wen wir suchen. Ein Mann zeigt uns: "Ja! Mitkommen!" und neben den Stufen einer Aussentreppe liegt im braunen Laub eines Eukalyptusbaumes ein schwarzer Hund mit grossen, haengenden Ohren und traurigem Blick und er braucht ein paar Sekunden um aus seiner Stimmung zu erwachen, um uns zu erkennen und er erkennt uns und stuerzt auf uns zu, junkt, der ganze Leib wackelt und die Haende werden geleckt und er springt hoch und weiss sich vor Freude nicht zu lassen und wir freuen uns mit ihm und uns stehen die Haare zu Berge. Das ist ein Wiedererkennen, denn dass haette ein fremder Hund nicht getan. Wir gehen gerade zur Strasse, als der Mann angefahren kommt, der mir am Vortag die Waescheleine in die Hand drueckte, als ob er sagen wollte: "Mein Guter, dass mach Mann schoen selbst, wenn dus kannst." Hunde fassen die Menschen in der Tuerkei nicht gerne an. Wir erklaeren ihm, dass uns die Begegnung keine Ruhe liess. Er will lediglich wissen, ob wir den Hund wollen und mitnehmen. Ja! Das wollen wir. "Tammam"- o.k., sagt er. Wieder haelt alsbald ein PKW. Ich muss den Hund ins Auto tragen, Renata haelt die Huendin auf dem Schoss. Sie wiegt schaetzungsweise 20 kg, hat etwa 60 cm Kopfhoehe und ist kohlrabenschwarz, mit einem kleinen, weissen Dreieck auf der Brust. Sie scheint jung zu sein, weil sie noch so verspielt ist, auch erscheinen die Ohren etwas unproportional. Sie hat am Kopf etwas von einem Bullterrier und einem Dobermann- eben ein Bastard, wie alle Hunde hier und ein noch sehr spitzes, imponierendes Gebiss. Der Fahrer nimmt uns drei bis Gazipascha mit, wo wir eine Leine kaufen wollen- aber so etwas ist hier voellig unbekannt. Niemand fuehrt einen Hund an der Leine. Es gibt hier genug Kinder und fuer Liebesbeziehungen zu Hunden fehlt die Basis. Auch Hundefutter gibt es daher nirgends, denn Hunde sind ausschliesslich draussen und fressen alles, was sie finden und vor die Tueren geworfen wird. Im Bazar der Stadt treffen wir einen Tuerken, der mit einer Deutschen zwei Kinder hat und sehr gut Deutsch spricht. Er fuehrt uns zu seinem Friseur- wir wollen uns etwas verwoehnen lassen. Habe ich mich vor der Reise immer gefragt: Wann war ich zuletzt beim Friseur? - so heisst es nun: Wo? In Mainz und in Istanbul! Der Hund ist es derart gewohnt, nirgendwo hinein zu duerfen, dass er voellig blockiert und sich nicht in den Basar traut. Winselnd laeuft er vor dem Eingang auf und ab und quaelt sich. Schliesslich zweckentfremden wir den Trageriemen der Lenkertasche zur Hundeleine und mit, im wahrsten Sinne des Wortes, Haengen und Wuergen, kann ich den Hund in die Naehe des Friseurladens ziehen, derweil sich Renata frisieren und ausgiebig massieren laesst. Als die Herren der Schoepfung auch die Waden bearbeiten, hebe ich die Augenbrauen, an den Knien angekommen (muss man ja alles machen, wegen Radfahren und so...), rufe ich laut in den Laden: "Eine Etage hoeher ist Schluss!“ - was nach Uebersetzung allgemeines Gelaechter zur Folge hat. Dann loest mich Renata, wieder zu einem Filmstar gestylt (etwa Nicole Kidman), bei der Hundebetreung ab und ich werde geschoren, geschnitten, gewaschen, gefoehnt, barbiert, die Ohren werden mit Watte gesaeubert, abgeflaemmt, es wird gegelt und parfuemiert und dann ausgiebig massiert. Wir sehen wie runderneuert aus und das alles fuer 4 Euro fuer beide. Beim Fleischer kaufen wir in Begleitung unseres Betreuers fuer den Hund etwas zu Fressen, was er gierig verschlingt. Dann ist ploetzlich der Bus nach Utschare da, es geht alles ganz schnell. Ich nehme den Hund auf den Arm und als wir abfahren, winkt der freundliche Mann und ruft durch die offene Bustuere noch: "Mein Name ist Assan!" Er hat nicht mal unsere Karte. Solche Momente ruehren uns immer wieder. So viele Abschiede. Im Bus allseits Befremden ueber einen Hund an Bord. Jeder mustert uns, den Hund, teils amuesiert, teils etwas entruestet und es werden auf Tuerkisch Witzchen gerissen- soviel kriegen wir denn doch mit. Nachmittags sind wir wieder in Kaledran, von dort aus geht es per Taxi weiter nach Utschare, wo wir von den beiden jungen Maennern des Restaurants begruesst werden. Wir wollen weiter und satteln die Pferde deshalb gleich und fahren los. Unsere Visitenkarte bleibt zurueck und tatsaechlich erhalten wir Tage spaeter eine Mail! Es geht, mit kleinen Steigungen, durch die hellgruenen Kiefernwaelder, schliesslich fast nur noch bergab. Der Hund zeigt eine starke Scheu vor Autos, weicht aengstlich zurueck, bleibt sogar stehen. Das ist gut und macht uns Mut. Denn ich habe Renata auch gefragt, ob sie glaubt, dass wir damit fertig wuerden, falls der Hund ueberfahren wuerde. Das ist die groesste Gefahr an den fuer uns geeigneten Strassen. Das koennte dem Hund auch so passieren, wie so vielen anderen Artgenossen auch. Aber so liegt es in unserer Mitverantwortung und es ist nicht zu verhindern, weil das Tier nicht an der Leine laufen kann. Renata will der Huendin endlich einen Namen geben, aber ich nicht. Sie soll erst zeigen, ob sie mitreisen kann und will, letztlich ob sie ein Globetrotterhund ist. Da sie sich von Fahrraedern und reisenden Fremden angezogen fuehlte und das Strassenleben gewohnt ist, kann man annehmen, dass sie das Unterwegssein mag. Aber auch die damit verbundene Anstrengung auf Dauer? Der Hund geht, trabt und galoppiert bis ca. 20 km/h schnell. Nach 15 km erreichen wir Melletsch, einen Weiler in einer kleinen Bucht, mit zwei Pensionen und einem kostenfreien Campingplatz. Auf der steinigen, abschuessigen Flaeche zwischen Strasse und Meer steht eine Art Pfahlbau aus dicken Aesten und Planken. Unser Zelt passt gerade so hinein. Zuerst gilt es den Hund zu fuettern. Er ist Allesfresser. Wir weichen Brot in Wasser an, streichen "Uelker", tuerkische Nutella, darauf, ein Stueck Kaese faellt auch noch ab und das Tier ist versorgt. Auf den Holzstufen sitzend brechen wir unser Brot, essen frische Orangen und saftige Tomaten und trinken "Szu"- Wasser. Als Nachtisch gibt es Milchschokolade und Bananen. Der Hund erkundet derweil die Umgegend, schnueffelt neugierig an den Taschen und am Zelt, macht sich alles vertraut. Als Renata spaeter ins Zelt kriechen will, knurrt sie ein grosser, schwarzer Knubbel an, der sich auf den Schlafmatten breitgemacht hat. Aber so haben wir nicht gewettet! Ich verscheuche den Frechdachs energisch- im Innenzelt hat sie nichts zu suchen. Im Vorzelt bauen wir ihr einen Windfang aus den Taschen, legen unser grosses Handtuch aus und sofort kringelt sie sich ein, schnaufend und seufzend schliesst sie die Augen. In der Nacht weckt uns der Hund ein, zwei Mal, weil das Klaeffen anderer Hunde ihn provoziert. Einen ganz enervierenden Artgenossen muss ich selbst verjagen, damit endlich Ruhe ist. Ansonsten schlaeft der Hund fest und ruhig durch, sein warmer Ruecken schmiegt sich durch den Zeltstoff an meine Seite und so waermen wir uns in der lausig kalten Nacht gegenseitig. Das Schlimmste ist der starke Wind, der hier naechtens aufkommt. Nachts ist es noch etwa acht Grad warm. Vor Sonnenaufgang bin ich mit dem Hund am Meer.
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