11/27/2002 Tuerkei / Anamur
Mehmet-Ali
Anamur und der 25-km-Hund / eine private Einladung
(Harald und Renata) Am naechsten Tag verabschieden wir uns von Thomas und dem Wirt namens Selahattin und schieben erstmal wieder bergauf. Das kommt dem Hund gelegen und bergab fahren wir nur Trabtempo, das ist etwa 10 bis 12 km/h. Der Hund laeuft leider gelegentlich auf die Fahrbahn, da muessen wir doch aufpassen. Das Fahren gemeinsam mit dem Hund ist anders und schoen. Wir sind nun eine kleine Mannschaft geworden- herrlich anzusehen, wie das Tier die Bewegung geniesst und gutgelaunt mitmacht. In den Bergen machen wir eine Teepause. Der Inhaber radebrecht mit uns eine Unterhaltung. Den zweiten Tee will er ausgeben und am Ende sollen wir gar nichts bezahlen. Das nehmen wir nicht an und zahlen. Und dann laedt uns Mehmet-Ali zu sich nach Hause in Anamur ein. Wir werden sehen- und fahren los. Sehr leicht erreichen wir Anamur- das waren 25 km! Fuer den Anfang ganz gut. Anamur ist der suedlichste Punkt des tuerkischen Festlandes und der Name ist vor allem durch das gleichnamige Kap, sowie das Schiff "Cap Anamur" bekannt. Das den Namen ein antiker Ort namens Anamurium gab, war auch mir unbekannt. Wir fahren ins Zentrum und dort steht Mehmet-Ali und wartet auf uns und erneuert seine Einladung, die wir gerne annehmen. Karabasch wird zur Schonung ins Auto verladen und wir fahren Alis Wagen hinterdrein. Unterwegs nehmen wir im Dunkeln seine beiden Toechter an der Schule auf, da der Unterricht hier bis nach 16 Uhr dauert. Alis Haus liegt am Stadtende, vor einem Berghang. Zuhause warten seine Frau und der aeltere Sohn Kadir und das Nesthaekchen Durmusch. Man raeumt fuer uns das einzige Nebenzimmer und wir essen erstmal gemeinsam zu Abend. Dabei sitzen wir auf dem mit Teppichen ausgelegten Fussboden um ein grosses, rundes Blechtablett herum. Wir essen gemeinsam aus den Schuesseln, das Brot wird gerissen. Unter uns steht im Erdgeschoss eine Kuh, um das Haus laufen Huehner und ein kleiner Kater laesst sich auf der Couch genuesslich kraulen. Karabasch bleibt draussen auf der Terrasse und bekommt eine reichliche Mahlzeit und schlaeft alsbald auf ihrem Handtuch. Als Renata sie auch noch mit einer Decke vor der Kaelte schuetzen will, knurrt sie unwillig- wenn sie so muede ist, laesst man sie besser in Ruhe. Da sie nicht beisst, lasse ich ihr das als Eigenheit durchgehen. Es ist immer noch Ramadan, in der Tuerkei Ramazan genannt, und unsere Gastgeberin haelt das Fastengebot ein. Das bedeutet, dass von Sonnenauf- bis -untergang nichts gegessen und erstaunlicherweise sogar nichts getrunken wird, nicht mal Wasser. Da sich der Fastenmonat Ramadan jaehrlich um 10 Tage verschiebt, liegt er turnusmaessig auch mal in den heissen Sommermonaten. Bei ueber 40 Grad im Schatten draussen schweisstreibend zu arbeiten und von ca. 4.30 bis 22.30 Uhr nichts zu trinken, ist eine erstaunliche Leistung und schult ernorm die Faehigkeit zu Disziplin und Verzicht. Als wir nach angeregter, pantomimischer Unterhaltung, mit vielen gezeichneten Bildchen, schlafen gehen, sind wir hundemuede. Aber um 1.30 Uhr werden wir wach, weil ein Nachbar die Hausherrin zum Nacht-Essen weckt. Das Rumoren geht bis 3 Uhr morgens und ich stehe deshalb auf und gehe zum Berghang spazieren. Und trotzdem bin ich wieder frueh auf. In diesen Stunden kreisen dann die Gedanken darum, wo wir gerade sind, wie anders dieses Leben ist, manchmal unwirklich, jedenfalls ein Ausnahmezustand, auch weil wir nicht arbeiten. Waehrend ich diese Zeilen vorschreibe, sitze ich in Anamur auf einer Motelterrasse an der Strasse. Im heftigen, kuehlen Wind klappern ueber mir getrocknete Flaschenkuerbisse an der Ueberdachung und der Hund jagt vorbeifliegenden Blaettern nach. Das Meer ist rau und grau, der Himmel bedeckt, es regnet. Der erste Advent- in Deutschland weihnachtet es jetzt. Tuerkische Christen haben wir keine getroffen, hier kennt man nur Baba Noell aus Myra. Und gestern hat Renata zum ersten Mal sehnsuechtig von einem gemuetlichen Heim phantasiert.
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