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Reisetagebuch

11/28/2002   Tuerkei / Anamur

Modell Sioux

Ein Tag en famile / Hundeschuhe

(Harald und Renata) Wir sitzen zum Fruehstueck im Kreis um das Tablett auf dem Boden. Es gibt geschaelte Schlangengurken, Tomaten und Oliven, Ekmek (Brot), Tee und Ruehrei mit Lammwurststuecken.

Die Familie ist arm. Spaeter zeigt mir Ali seine zwei kleinen Erdbeerfelder, die Frau melkt derweil die Kuh.

Ali telefoniert mit der Metallwerkstatt, aber der Chef ist nach Alanya gefahren, trotz unserer Verabredung vom Vorabend. Na herzlichen Glueckwunsch!

Das Projekt "Anhaenger" stockt also. So nehmen wir das Thema "Hundeschuhe" in Angriff. Ali und ich verladen den Hund und fahren los. Da er mir vor Abfahrt demonstrativ den Fuellstand seines fast leeren Tanks gezeigt hat, fahren wir zur Tankstelle und ich spende 5 Mill. fuer Benzin.

Danach zum Schuster. Hier werden Lederarten ausgesucht, besorgt und das richtige Schnittmuster fuer die Haute Couture der aktuellen Hundeschuhmode diskutiert. Schliesslich macht das Modell "Sioux-Mokassin" das Rennen. Nach drei Stunden ziehe ich Karabasch, die sich in der Zwischenzeit in den Gassen Anamurs herumgetrieben hat, den Probeschuh an. Sie tapert daraufhin ein, zwei Schritte, schuettelt das Bein, schlenkert es nach aussen, dann schreitet sie wie ein Storch im Salat ueber die Strasse- ein Bild fuer die Goetter. Ich lache Traenen und der ganze Auflauf am Laden auch.

Ali hat inzwischen mangels echter Hundeleinen eine dicke Plastikkordel vom Bootsbedarf samt einer Messingkupplung besorgt und der Schuster naeht aus einem alten Lederguertel ein Halsband. So gehe ich mit dem Hund zum ersten Mal an der Leine und es klappt wunderbar und der Hund akzeptiert auch den Schuh. Das erstaunt auch mich. Irgendwie scheint er zu verstehen oder zu fuehlen, dass die Mokassins seine wunden Fuesse schuetzen. So werden denn weitere drei Schuehchen geschustert. Letztlich kostet das Ganze neun Euro. Fuer Halsband, Kordel und Schuhe erscheint das wohlfeil.

Ich habe beim Fleischer wieder Knochen besorgt und fuer die Kinder Suessigkeiten. Wir fahren zurueck.

Renata hat die Zeit mit den Kindern verbracht und das Familienleben beobachtet und berichtet mir. Gemeinsam mit der Familie spazieren wir durch die Festungsruinen hinter dem Haus, dabei verbellt Karabasch einen angebundenen, grasenden Esel. Der laesst den Quaelgeist nahe herankommen und verpasst ihm beinahe einen Tritt, verfolgt den Hund bis ans Ende seiner Leine. Als verstehe der Hund unser Gelaechter, trollt er sich mit haengenden Ohren voran wie ein begossener Pudel.

Renata erzaehlt, wie der Hund am Morgen ueber die Erdbeerreihen getollt und Kreise in der Luft gesprungen ist; ein ausgelassenes und glueckliches Geschoepf.

Beim Abendbrot erfahren wir, das die Hausherrin krank ist und auf aerztlichen Rat ihr Fasten abgebrochen hat. So koennen wir endlich durchschlafen, bis auf die Aufrufe der Muezzine, die Renata vereinfacht "Mediziner" nennt.

Unter diesen Vorsaengern gibt es echte Singvoegel und manche Troete. Nicht nur Allahs Ohren werden da mehrmals taeglich auf eine schwere Belastungsprobe gestellt. Was haben wir schon gelacht, ueber so manchen fehlgeschlagenen Versuch einer Klaviatur, die im Nirwana des Lautsprecheraethers verkraechzte! Wir sind schon manches Mal vor Lachen von den Raedern gestiegen, so jaemmerlich klang das.

Aber der Inbrunst des Glaubensbekenntnisses tut das keinen Abbruch. Die Moscheen sind zahlreicher und besser besucht als unsere Kirchen. Eine solche Integration in den Alltagl wuerden sich die deutschen Kirchen wuenschen. Und eine Massenbewegung wie das Ramadan-Fasten, ist ein allen sichtbarer und verbindender Staerkebeweis. Unsere christliche Fastenzeit des Karnevals ("Carne", ital. "Fleisch" , auch Fastnacht, also Nacht des Fastens), haelt ja so gut wie niemand mehr ein. Die voroesterliche Fastenzeit dauert traditionell 40 Tage.

Ich will noch eine Dusche nehmen, aber es gibt nur eine runde Plastikschuessel fuer die Waesche in einem Rohsteinraum auf rauem Betonboden. Dort stelle ich mich hinein und uebergiesse mich aus einem Plastikbecher mit warmem Wasser. So habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gebadet.

In derselben Schuessel wasche ich die Kleidung. Draussen haengt eine ganze Leine voller Waesche, die Renata muehsam im Hocken von Hand gereinigt hat.

Zum Abendessen gibt es Suppe und hauchduennes Osmanenbrot, das stapelweise vorgebacken und trocken aufbewahrt wird. Vor dem Essen wird es befeuchtet und die "aufgetischten" gebackenen Auberginen, Pommes de Frites und Joghurt werden darin eingewickelt und so serviert. Als Beilage werden salzig-scharfe Gewuerzgurken, Oliven und Blattsalat mit Schafskaese gereicht. Dazu trinkt man klares Wasser und hernach Schwarzen Tee, der stark gezuckert wird. Heute gibt es als Dessert unser Gebaeck.

Karabasch frisst draussen. Ein Hund im Haus ist hier unvorstellbar. Man zieht sich im Flur die Schuhe aus und bedeckt die Fuesse beim Essen mit dem "Tisch"-tuch, das auf dem Teppich liegt.

Die Teppiche werden draussen in der Sonne ausgeklopft.

Nach dem abendlichen Muecken- und Fliegenklatschen schlafen wir beide im einzigen Bett des Hauses tief und fest, derweil die ganze Familie im Wohnzimmer auf den drei Couchen und auf dem Fussboden auf dicken Baumwollstepmatten, die wie japanische Futons aussehen, schlaeft.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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