12/31/2002 Syrien / Homs
Homs
Wir erreichen die Grossstadt an der Gabelung zwischen Palmyra und Damaskus
(Harald und Renata) In der Nacht hat Kari wieder gehustet. Wir sind voller Sorge, weil sie uns nur bei voelliger Muedigkeit gestattet, dass wir ihr die Augentropfen verabreichen. Rot und entzuendet sind die Schleimhaeute- in Homs muessen wir wohl zum Tierarzt. Wir waschen uns kalt am Waschbecken im Flur vor der Kueche. Die Toilette besteht hier aus einem schluessellochfoermigen Ausschnitt im Marmorboden, darunter sitzt ein ebensolches Keramikbecken. Ein Gummischlauch spendet Wasser zur Reinigung und Spuelung. Ich hatte mich frueher immer gefragt, wie das alles, ohne Sitz und Toilettpapier, funktioniert. Nun- man hockt sich halt hin, die Fuesse rechts und links dieser Aborte. Es wird nicht gestanden, wie ich frueher glaubte. Den Moslems erscheint es unhygienisch, sich mit Papier, ergo trocken zu reinigen. Hierzu wird kaltes Wasser und die linke Hand benutzt, die deshalb als unrein gilt. Das gelingt ohne Seife jedoch nur unzureichend und zur anschliessenden Trocknung gibt es auch nichts. Bei den z.B. in der Tuerkei ueblichen Pluderhosen fuer Mann und Frau, trocknet der Koerper unsichtbar von selbst. Ansonsten muss man halt Papier mitnehmen. Anschliessend waescht man sich. Aber wir haben oft keine Seife vorgefunden. Diese Verhaeltnisse moegen eine Erklaerung fuer manche Magenverstimmung sein, die mich so oft befallen hat. Hier gibt es Seife, Handtuch und ein Fruehstueck. Die Kinder muessen allesamt zur Schule. Ein Bus holt sie ab, um sie in den naechsten Ort zu fahren. Der Aelteste, Ali, darf auf meinem Rad fahren und ich begleite den Schulbus ein Stueck auf dem Drahtesel. Kati reisst das Fenster auf und wiederholt schreiend die Einladung vom Vorabend, wir sollen noch einen Tag bleiben. "Please!!" Aber es geht weiter. Nasser will mal nach Deutschland und wir sind uns gar nicht sicher, ob er das nicht wirklich ernst meint. Mit dem Bus nach Istanbul und dann per Zug nach Deutschland waere eine guenstige Alternative, wenn auch fuer Kind und Kegel eine Strapaze. Was er nicht glauben kann, ist, dass wir kein Haus haben im reichen Deutschland. Und keine Wohnung? Und keine eigene Adresse? Kati hat unsere Mailadresse, wir werden sehen. Die Anstrengung des Vortages steckt uns noch in den Knochen. Aber heute ist es nahezu windstill und es geht, entgegen aller Befuerchtung, nur maessig aufwaerts. Nach 35 km erreichen wir Homs. Endlose Zufahrtsstrassen mit den ueblichen Abbildern von Vater und Sohn Assad, vorbei an grauen Mauern einer Chemiefabrik. Alle grossen Unternehmen sind hier verstaatlicht. Im Zentrum endet die Strasse am Suk, dem Bazar, der Altstadt. Egal wo wir stehen- es sammelt sich gleich ein Haeufchen Leute um uns, bestaunt uns und irgendwer bietet Hilfe an. Hier ist es ein junger Mann der etwas Englisch spricht. Er opfert eine halbe Stunde, um uns ein Hotel zu zeigen. Das "New Bazman" liegt gegenueber einem palmenumstandenen Park, ein guter Auslauf fuer Kari. Und in der Naehe gibt es auch ein Netcafe. Aber die staatlich vorgegebenen Preise fuer dieses Zwei-Sterne-Etablissement sind uns zu hoch. So muss verhandelt werden. Aber viel ist nicht drin. Der Hund wird zoegerlich akzeptiert. Auch hier die Vorstellung, er koenne im Zimmer...Und beisst er? Und bellt er nachts? Nein- tut er nicht. Es gibt reichlich heisses Wasser, im TV die Deutsche Welle, Euronews, CNN und BBC und einen Heizkoerper, der in Betrieb ist, sowie im Foyer Tee und Kaffee for free. Wir wollen ins Netcafe, aber geschockt stellen wir fest, dass ich die Floppydisk samt Fotostick in Antakya im Netcafe vergessen habe. Ein Drama, denn die Fotos sind unersaetzlich und weder Stick noch Disk hier zu bekommen. Wir muessen herausfinden, ob die Sachen noch da sind und ob Rene noch im Hotel ist. Aber heute ist Sylvester und telefonisch kein Durchkommen. Wir essen erstmal zu Abend und schauen Nachrichten. Dann fragen wir uns zu einem Netcafe durch. Dort sitzt neben uns ein junger Syrer, der gut Englisch spricht und mich immer wieder fragend unterbricht. Am Ende bezahlt er unsere Netrechnung und laedt uns zu sich ein. Auch das Taxi uebernimmt er. Im Haus sitzen wir auf Futons auf dem Boden, unbequemerweise ohne Arm- und Rueckenkissen. Wir lehnen, nach unseren negativen Erfahrungen, den offerierten Matetee ab. Nadihm ist Restaurantbesitzer in Homs und politisch sehr interessiert. So kommt das Gespraech bald auf die Palaestinenserfrage und Bin Laden. Mir gefaellt diese Verquickung nicht, aber der Zusammenhang wird allerorts hergestellt. Ich erklaere ihm, dass ich erstmal versuchen moechte, beide Seiten zu verstehen und mir das, trotz mangelnden Detailkenntnissen, bisher auch halbwegs gelungen ist, dass ich einen Krieg gegen den Irak fuer einen Fehler halte. Nach einer halben Stunde sage ich auch hier, dass es nun gut sei. Renata mag sich nicht verstricken und hat einmal mehr geschwiegen. Dann erscheinen die Mutter und die Schwester, beide bis auf die Gesichter und Haende bedeckt und wir wechseln vom Gaestezimmer ins Wohnzimmer. Der Vater heisst uns willkommen- ein Patriarch, wie er im Buche steht. Gelassen und ruhig stellt er wenige Fragen. Ansonsten wird viel geschwiegen und wir zeigen ein paar Fotos, um die Sache aufzulockern. Mittlerweile ist es hier Mitternacht geworden. Draussen boellern ein paar Kracher, ansonsten wars das mit Sylvester. Ausgesprochen ruhig verlaufen, ueberhaupt keine Hektik und Brandwunden. Happy New Year uebrigens, Renata. Wir reichen uns still die Haende in der laufenden Unterhaltung. Wir sollen bleiben, aber um halb zwei fallen uns die Augen zu und wir lassen uns von einem wie ein Lebensmueder rasenden Gastgeber ins Hotel zurueckfliegen. Allen unseren Lesern wuenschen wir ein Gutes, Neues Jahr 2003! Danke fuer Euer Interesse, Eure Mails und Guten Wuensche und manchen moralischen Beistand. Bleibt gesund und uns gewogen. Und: Carpe diem! Wenns alte Jahr erfolgreich war, dann freue dich aufs neue, und war es schlecht, ja dann erst recht. Karl-Heinz Soehler, dt. Publizist, geb. 1923
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