1/14/2003 Syrien / Damaskus
Das Interview
Wir sind bei Familie Fadly eingeladen und Herr Saad macht ein Interview mit uns.
(Harald and Renata) Auf einem kleinen Elektrokocher machen wir uns Nescafe, in der Kueche finden wir gruene Oliven, Brot und Kaese. Die Wohnung ist ein Ausweichquartier fuer Herrn Saad, denn hier gibt es kein Radio, keinen Fernseher, es sieht aus wie unbewohnt. Wir machen uns Richtung Stadtzentrum auf. Die Strassen sind staubig und gehen so steil bergab, dass die Raeder der Kleinlastwagen durchdrehen. Kari jagt ein paar der vielen Katzen, die hier herumstreunen. Einen Hund sehen wir hier nicht. Am Fuss der Siedlung fuehrt die Hauptverkehrsstrasse in die City vorbei. Wir wollen einen Microbus nehmen, aber wegen des Hundes fahren die Fahrer durch. Herzlichen Dank! Ja, auch ihnen vielen Dank! Und - der Naechste bitte... Und tschuess! Am Ende nehmen wir ein Taxi, teurer, aber fuer zwei Euro kommen wir bis vor die Tuere des Netcafes, wo wir die naechsten Stunden verbringen. Am Mittag sind wir bei Familie Fadly eingeladen. Der Taxifahrer spricht etwas Deutsch und verlangt 50 SP (Syrische Pfund), haelt aber bald an und steigt aus, angeblich, weil er nicht weiss, wo er hin muss. Als er wieder einsteigt, will er 100 SP haben, weil das weit sei. Wir sagen Nein, dann steigen wir eben aus! Jetzt lenkt er ein und nach sage und schreibe zwei Minuten sind wir da- wieder mal ein Grosses Theater! Von wegen: weit. Das kennen wir aus der Tuerkei: Die Verwendung unserer Muttersprache wird benutzt, um das "Nein"-Sagen zu erschweren. Mittlerweile sind wir dagegen gefeit. Herr Fadly sagt "Welcome!", aber der Hund bleibt im Wohnungsflur. Wir sind froh, einen so unkomplizierten Kameraden zu haben, denn Kari ist folgsam und bleibt dort sitzen. In der Kueche gibt es kleine Pizzen und Salat und es wird viel erzaehlt. Der Reifen des Anhaengers ist wieder platt und ich ziehe den Schlauch heraus, damit wir einen neuen kaufen koennen. Aber Herr Fadly will das unbedingt fuer uns erledigen. Am Nachmittag muessen wir zum Fernsehsender. Am Eingang stehen zwei Zivilisten mit Kalaschnikows in der Hand, ein Anblick, wie vor jedem staatlichen Unternehmen hier. Schon in Latakia haben wir uns gewundert, warum sogar Jugendliche Schnellfeuergewehre halten duerfen. Warum eine bewaffnete Bewachung ueberhaupt noetig ist, warum nicht Pistolen ausreichen, bleibt unklar. Fuer mich als Exsoldaten ist der hiesige Umgang mit den Waffen hanebuechend, weil sie wie Stoecke baumeln und aufgesetzt oder am Lauf getragen werden. Im Portiershaeuschen muessen wir warten. Der Regisseur des Programms, Herr Kahled und Jihad kommen. Sie sagen uns, wir muessten am Abend wiederkommen, gegen 21 Uhr. Jihad bringt uns zu einem Netcafe, indem wir zwar E-Mails lesen, aber kein Tagebuch schreiben koennen- das altbekannte Problem. Abends kaufen wir ein und braten uns Ruehrei. Wenn auch bescheiden, geniessen wir es dennoch, mal wieder Selbstzubereitetes zu essen - genauso, wie wir es gerne haben. Beim Fernsehsender werden wir in ein Buero gefuehrt und ein Kameramann erzaehlt uns etwas ueber das Programm. Es heisst: "Voegel, erzaehlt uns!" Es ist in allen arabisch sprechenden Laendern beruehmt und somit auch Herr Saad. Es geht in der Sendung darum, vermisste Menschen zu finden und vor der Kamera erstmals wieder zusammen zu fuehren. Kinder suchen ihre Eltern, Brueder ihre Schwestern. Teilweise kommen Anfragen aus Amerika, Deutschland, Spanien. Schliesslich sitzen wir im Regieraum vor dem kleinen Studio und sehen auf den Monitoren der Live-Sendung zu. Renata laesst sich schminken, aber ich verzichte und behalte auch meine Windjacke an- es soll ja alles authentisch sein. Zusaetzlich sollen Aussenaufnahmen mit den Fahrraedern und Kari gemacht werden. Dann ist es soweit. Aber es wird nicht live gesendet, wie geplant, sondern aufgezeichnet. Jihad stellt vor allem persoenliche Fragen, warum wir die Reise machen, warum mit Raedern, ob sich unsere Beziehung dadurch geaendert hat etc. Nach 15 Minuten ist der Dreh vorbei und es werden noch ein paar Aufnahmen mit unseren aufmerksamen und nickenden Gesichtern gemacht, um Material fuer Gegenueberstellungen zu haben. Dann heisst es: "Tammam" - Gut! Naechsten Dienstag soll das Aufgenommene ausgestrahlt werden. Wir verlassen das Gelaende und Jihad nimmt uns im Auto mit und holt seine Kollegin Massoun ab und wir fahren zu einem Schnellimbiss, dann zur Wohnung. Die Beiden verabschieden sich alsbald. Jihad kuendigt uns an, dass er und Massoun jetzt wenig Zeit haben werden, weil sie einen Kinofilm drehen. In der Nacht backt der Stecker der Elektroheizung an der Steckdose fest und laesst sich nicht wieder herausziehen. Ab jetzt wird es hier kaelter. Na, Nacht Mattes! Geschrieben am 22.1. in Damaskus Harald and Renata
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