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Reisetagebuch

2/9/2003   Syrien / Gabagb

Osama im Laden

Regen haelt uns auf und wir finden erneut freundliche Gastgeber / eine politische Diskussion

(Harald und Renata) Vor Sonnenaufgang bin ich mit dem Hund unterwegs. Wenn wir im Zelt uebernachten, schlafen wir meist frueh ein, weil es jetzt schon um 17.30 Uhr stockfinster ist. So bin ich oft um fuenf oder sechs Uhr morgens ausgeschlafen. Kari wartet vor dem Zelt ungeduldig auf den Morgenspaziergang, der uns durch den Hain, ueber eine Landstrasse und braune Felder fuehrt. Dann rufen die Muezzins durch die Lautsprecher zum Morgengebet und die Sonne geht auf.

Waehrend des Fruehstuecks erscheint der Eigentuemer dieses Gelaendes. Er traegt ein rot-weisses Schmaach, das traditionelle Kopftuch. “Salem aleikum”-“Aleikum Salem” gruessen wir uns. Wir gestikulieren eine kurze Unterhaltung, zwei faltenreiche Augen erfassen die Situation und mit einem “Tammam!” und einem Winken verlaesst uns der ruhige Mann. Wir stellen uns vor, wie ein deutscher Bauer auf die gleiche Situation reagiert haette.

Unser Weg fuehrt uns straff nach Sueden ueber die Landstrasse, auf und ab geht es. Nach 15 km beginnt es zu regnen, der Gegenwind peitscht uns die Tropfen ins Gesicht, bald sind Schuhe und Hosen durchnaesst und die nassen Handschuhe koennen die Waerme nicht mehr halten. Wir muessen den aergsten Schauer abwarten und halten deshalb im naechsten Ort.

Die Farbe der Strasse, der Haeuser und der Felder ist ein helles Ocker und Raeder und Anhaenger haben nun auch diese Farbe angenommen. Die Dorfstrasse ist voller Asphaltloecher, einige absichtlich geschaffene Bodenwellen sollen die auch hier rasenden Autofahrer aufhalten.

In einem Lebensmittelladen kaufen wir etwas ein und beraten dann draussen, was wir nun machen sollen. Wir sind nass wie die jungen Katzen und durchgefroren. Der Ladenbesitzer steht ploetzlich neben uns.

“Come to my house, drink tea,” laedt er uns ein.

Wir lassen uns in dieser Situation nicht zweimal bitten. Sein Betonbungalow liegt gleich hinter dem Laden. Er stellt sich als Osama vor, nicht ohne grinsend einen Witz ueber seinen Namensvetter zu machen. Seine Frau heisst Marijam, weshalb wir spekulieren, ob sie Christen seien. Nein, es sind Moslems und kaum sind wir im Gaesteraum, verrichtet Osama sein Mittagsgebet.

Dabei wendet sich der Betende in Himmelsrichtung Mekka. Er soll dabei sauber sein, weshalb vor den Moscheen stets Haende, Fuesse und Gesicht gewaschen werden. Dann bekennt er sich zu Allah als einzigem Gott. Seine beiden Haende legt er mit den Handflaechen nach vorne neben die Ohren, schottet sich somit bildlich ab: Ich wende mich allein DIR zu und hierzu jetzt von der Welt ab. Dann umfasst die rechte Hand vor dem Bauch das linke Handgelenk, es folgt die erste Verbeugung, wobei sich der Betende auf den Knien abstuetzt, sich wieder aufrichtet und dann auf die Knie faellt und sich vornueber beugt und mit der Stirn den Boden beruehrt.

Je nach Tageszeit werden diese Ablaeufe unter staendig gesprochenen Gebeten mehrfach, mindestens jedoch dreimal wiederholt. Kinder sollen ab dem 12. Lebensjahr beten.

Marijam serviert auf einem runden Metalltablett auf dem Boden Essen. Das Paar hat vier Kinder. Das Juengste ist drei Monate alt und liegt in einer aus Moniereisen selbst geschweissten Wiege, das Gesicht ist unter einer dicken Decke komplett verdeckt. Wir denken an Ploetzlichen Kindstod u.ae. In Deutschland wuerde das kaum eine Mutter machen.

Wir sollen hier uebernachten und nehmen diese Einladung an, obwohl es erst 12.45 Uhr ist, denn der Regen scheint nicht aufzuhoeren.

Renata geht mit Marijam zu deren Tante, einer Woechnerin, in deren 20-qm-Schlafraum sich 13 Frauen und 16 Kinder gleichzeitig draengeln, wobei auch geraucht wird und staendig neue Frauen auftauchen, die vor allem Renata sehen wollen. Die junge Mutter ist leichenblass; offensichtlich ist der Besuchsumfang doch zu gross.

Ich sitze mit Osama in dessen Laden, indem sich bereits 10 Maenner eingefunden haben. Ich mutmasse, dass man sich meinetwegen gezielt eingefunden hat, denn es sind auch zwei Englischlehrer da und Osamas aeltester von 9 Bruedern sowie sein Vater, beides Sheiks, bzw. Imams, d.h. Korangelehrte. Der Vater traegt als einziger ein weisses Schmaach. Es geht gleich zur Sache. Die Irakkrise und vor allem Israel und das Leid der Palaestinenser sind die Themen. Ich hoere zum x-ten Male, dass die USA den Irak nur wegen des Oels angreifen wollten, dass es eine Art Weltverschwoerung der Juden gaebe, den Zionismus, diese die ganze Welt beherrschen wollten. Auf meine Gegenargumente geht man nicht recht ein und der alte Sheik sagt, ich haette das ja nicht studiert, wie er. Und er erzaehlt biblische Geschichten, die belegen sollen, dass man den Juden nicht trauen koenne. Die Deutschen seien gut, Hitler sei ein grosser Mann gewesen. Ich will hier nicht auffuehren, was ich alles zu sagen habe, denn am Ende habe ich nicht das Gefuehl, hier jemandem zum Umdenken gebracht zu haben. Mir scheint die hiesige Haltung schwer ueberwindbar, zu oft ist vom Toeten und von Schuld die Rede. Man laesst mich zwar meist ausreden, wenn ich die Lage der Gegenseite versuche deutlich zu machen, geht aber darauf nicht ein. Und viel zu oft ist von der Vergangenheit die Rede, von dem, was vor zwei- oder dreitausend Jahren jemand angeblich gesagt oder getan hat. So lassen sich die heutigen Probleme nicht loesen.

Nach dem Abendessen schlafen wir auf einem dicken Futon, bekommen drei warme Decken und der gusseiserne Oelofen bollert leise ein Schlaflied. Kari haben wir in den gesaeuberten Haenger gelotst, der ohne Raeder zu unseren Fuessen steht.

Noch ca. 80 km bis zur jordanischen Grenze.

Geschrieben am 18.2. in Haifa/Israel


 

 

 

 

 

 


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