2/10/2003 Syrien / Da-il
Gastgeber zweiter Hand
Der Regen haelt uns wieder auf / wir sind zu Gast bei Mohammed und Marijam
(Harald und Renata) Unser erster Blick am Morgen gilt dem Wetter. Durchwachsen wuerde man sagen- also fahren wir los. Osama und Marijam wollen, dass wir noch einen Tag bleiben und sagen zum Abschied, dass wir wiederkommen sollen. Viele Kinder laufen auf den Strassen herum. Wo sollen sie auch hin, ohne Spiel- und Sportplaetze, Kino, Schwimmbaeder, Sportvereine? Die Jungs laufen schreiend mit uns, wobei staendig das Wort “Kaelb” fuer “Hund” auftaucht. Diese Aufregung wegen des Hundes ist uns sehr laestig, denn stets greift bald ein Junge zu einem Stein, um den Hund damit zu treffen. Ich versuche jetzt gleich klarzumachen, dass wir keine Steine fliegen sehen wollen. Aber kaum drehen wir uns um, fliegt der erste auf die Strasse. In einem Dorf vor Sheik Meskin versucht dann ein Junge mit seinem Fahrrad Kari von hinten anzufahren. Ich draenge ihn gerade noch ab, springe wuetend vom Rad und renne hinter ihm her. Der Bursche laesst das Rad fallen und fluechtet durch den Schlamm weiter, was mir zu laestig ist. Dafuer landet sein Drahtesel in einer Pfuetze. Die Aktion verschafft uns Ruhe bis zum Ortsausgang. Man scheint uns irgendwie nicht ganz fuer voll zu nehmen, weil wir ja nichts verstehen - und wer nichts versteht muss ja dumm sein! Auch die Duemmsten koennen uns alles Unmoegliche an den Kopf werfen und sich ueberlegen fuehlen. In Sheik Meskin kaufen wir ein. Der Ladenbesitzer schenkt uns erst gezuckerte Nuesse, dann will er uns auch den Rest schenken, was wir ablehnen. Es setzt erneut starker Regen ein. Wir kaempfen uns noch bis Da-il vor, aber wir muessen essen, um wieder warm zu werden. Vor einem Imbissladen warten wir unter dem loechrigen Zeltdach darauf, dass die Grillhaehnchen fertig werden, als uns der Ladenbesitzer von nebenan zum Tee einlaedt. Kaum haben wir ein paar Worte gewechselt, laedt er uns in sein Haus ein, muss aber nach einem Telefonat mit seiner Frau wieder absagen, weil diese nicht zu Hause bleiben kann. Aber der Agraringenieur, der hier Pestizide verkauft, hat einen Freund herbeigerufen und der ist nun unser Gastgeber. Er hat die bestellten Haehnchen in der Hand und diese auch bezahlt. Mohammed heisst er und faehrt uns nun drei Kilometer durch die unbefestigten, schlammigen Strassen des grossen Ortes mit seinem Moped voraus, wobei er uns die Bengels vom Leib haelt. Hier hat jede Familie ein eigenes Haus, aber die Haeuser sind einfache Betonbauten, ohne Anstrich innen wie aussen, oft gibt es kein Bad, sondern man waescht sich am Gartenhahn. Die Raeume sind fast unmoebliert, man sitzt auf Schaumgummimatten auf dem Boden, Tische, Stuehle, Schraenke fehlen. Neonlampen geben Licht, an den Waenden haengen idealisierende Fotomontagen, die an die Alpen erinnern, mit dichten Tannenwaeldern, gruenen Wiesen und einem Gebirgssee. So stellt sich ein Syrer das Paradies vor: sattgruen mit viel Wasser. Und wir Europaeer suchen die Stille und monotone Einsamkeit der Wueste… Die Frau heisst ebenfalls Marijam, aber ich bekomme sie nur kurz und eher zufaellig durch den Spalt der Haustuere zu sehen. Ansonsten bleibt sie vor mir verborgen. Die Familie hat fuenf Kinder, die beiden juengsten sind von Kari magisch angezogen. Die 15-jaehrige Tochter schlaegt mir gar erschrocken die Tuere vor der Nase zu, obwohl ich fuenf Minuten vorher schon einmal im Haus war. Mohammed laesst sich von den Kindern bedienen. Er bestellt und kommandiert das Geschehen, ohne unfreundlich zu sein. Wir koennen duschen und unsere Waesche wird gewaschen. Nach einem reichlichen Abendessen, Tee und Kaffee mit Kardamom, darf Renata in die hinteren Raeume. Als sie wieder ins Wohnzimmer gehen will, umarmt die Frau sie herzlich. Wie schon haeufiger hat Renata das Gefuehl von Verbundenheit. Man laesst uns allein, als wir ein Gaehnen nicht mehr unterdruecken koennen und ein Decoder ermoeglicht uns, die letzte Stunde des Klassikers “Vom Winde verweht” zu sehen. Geschrieben am 18.2. in Haifa
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