2/23/2003 Israel / Haifa
Das Wadi-Paradies
Abschied von den Kantors / Wanderung durch einen Wadi / endlich mal wieder ins Kino!
(Harald und Renata) 21.2. Im ganzen Rummel dieses Haushaltes fallen wir gar nicht auf. Man gibt uns Socken von einer Tochter, einen Pullover von Boris, dem Sohn, Ponchos von der Mutter. Vom Wohnzimmerfenster aus kann man aufs Meer blicken, das im heftigen Wind Schaumkronen wirft. Wir gehen den Berg Karmel hinunter zu Benjamin und Mina. Dort koennen wir den Computer benutzen und Mina bekocht uns mit deftiger, russischer Kueche. Wir sollen ja bei Andrej bleiben und das ist den Kantors nur recht, denn sie sind im Reisefieber, packen die Koffer. Wir holen unser Gepaeck und die Raeder bei Szima ab. Benjamin und seine Frau bringen unser Gepaeck mit dem Auto zu Andrej, so dass wir unbelasteter den Berg aufwaerts radeln koennen. Andrej sagt, wir sollen so lange bleiben, wie wir wollen und wir fuehlen, dass er das auch so meint. 22.2. Die Familie Nekrasov hat eine Onlineverbindung zum Internet. Hier wird gemailt, gechattet, Musik geladen, werden Infos eingeholt. Mittendrin kann ich schreiben und das Wetter checken. Leider soll sich das Regenwetter fortsetzen. Wir brennen unsere Fotos auf CD und bringen diese zu den Kantors, die sie nach Koeln zu ihren Freunden mitnehmen. Unser Abschied ist traurig, da wir uns richtig nahe gekommen sind. Abends schauen wir eine DVD in Englisch- alle zusammen, eine grosse Familie. Sophia, die aelteste der anwesenden Toechter, wuerzt die Unterhaltung mit scharfer Zunge, Boris lacht sehr gerne und Andrej versichert seiner Frau Olga wiederholt seine Liebe- auch, weil sie ihn so gut bekocht. 23.2. Wir fruehstuecken mit Boris alleine, denn der Rest der Familie ist arbeiten oder zur Schule gegangen. Dann kommt Tochter Dalja mit einem Freund und der faehrt uns zu einem kleinen Parkplatz. Boris und wir beide gehen zwischen den modernen, weissen Haeusern in einen Dickicht. Der Weg fuehrt bergab. Es ist ein Wadi, ein Canyon, der nur zur Regenzeit Wasser fuehrt. Jetzt durchfliesst ihn nur ein kleines Baechlein. Ringsum ist alles ueppig gruen, knallrote Blumen, Schmetterlinge. Es ist ein kleines Paradies in der Stadt. Boris hat hier oft als Kind gespielt und zeigt uns ein kleines Zelthaus, in dem seit Jahren ein russisches Ehepaar lebt. Und die Ruine eines Klosters, direkt in den Fels gebaut, in wunderschoener Lage. Heute ist es waermer und die Sonne scheint. Renata macht fleissig Fotos und wir werden aus einer Dreiergruppe Maenner von einem angeherrscht: "No Fotos!" Das wiederholt der Mann etliche Male, voellig ausser sich. Boris signalisiert ihm, alles sei in Ordnung und erklaert uns, am Hang oben wohnten Araber und hier unten wuerden haeufig Drogen verkauft und konsumiert und deshalb wolle sich hier niemand fotografieren lassen. Die Drogen kaemen ueber Libanon und seien unter der israelischen Jugend Gang und Gebe. Wir fahren nach Usofia, einem Dorf, das vornehmlich von Drusen bewohnt wird. Die Drusen haben eine Geheimreligion, die aber islamisch inspiriert ist. Die Frauen tragen grosse, weisse Kopftuecher, die Maenner die uns aus der Tuerkei bekannten grossen Hosen. Daljas Freund Ayman wohnt hier und wir gehen bei seinem Freund in einem Restaurant essen. Dann zeigt uns Ayman sein Zuhause. Er ist vom Islam zum Christentum konvertiert und Kuester der Kirche Kehilat Ha-Karmel. Hier gibt es keine Bilder oder Statuen, wie in den Moscheen. Es ist ein runder Bau ohne Kreuze, innen und aussen weiss und symmetrisch. Vom Flachdach haben wir eine Aussicht auf das naechtliche Haifa und Ayman erzaehlt, dass hier, wie schon 1991, vor allem amerikanische Einwanderer, die ihm besonders aengstlich scheinen, im Keller waehrend des kommenden Krieges mit dem Irak, Schutz suchen wollen. 1991 habe er von hier oben die Scud-Raketen ueber Haifa fliegen gesehen und die Patriot-Abwehrraketen, die nur zwei von drei Scuds abschiessen konnten. Wir fahren zu einem Kinokomplex, der draussen vor dem Stadtzentrum neben einem Einkaufskomplex liegt und sehen uns "Herr der Ringe" an. Vor dem Kino patrollieren, wie ueberall, Soldaten. Wir werden mit einem Metalldetektor nach Waffen abgetastet und sind dankbar fuer die damit gewaehrleistete Sicherheit. Und bis morgens um vier Uhr diskutieren wir ueber die Politik, darueber, dass fuer die linke Jugend in Israel Sharon ein Kriegsverbrecher ist und man endlich Frieden will und Gerechtigkeit fuer die Palaestinenser und das es Kriegsverbrechen der israelischen Armee im Territorium gibt. Geschrieben am 24.2. in Haifa
|