3/8/2003 Israel / Petah Tiqva
Die Westbank
Wir fahren in die Westbank, das von Israel militaerisch besetzte Westjordanland, Siedlungsgebiet der Palaestinenser
(Harald und Renata) Puenktlich erscheint um 9 Uhr der Dokumentarfilmer James Delano, um uns zu einem Treffen der israelischen Friedensbewegung Ta-Ajusch im Sueden zu bringen. Wir wollen mehr ueber die andere Seite der Medaille wissen. Bisher waren wir wochenlang ausschliesslich unter Juden. Und wir hatten uns in Syrien vorgenommen, die palaestinensischen Gebiete zu besuchen. Delano lebt auf Hawaii, ist schlank, ca. 40 Jahre alt, die schwarz-grauen Haare sind buerstig und gegelt, ein orangefarbenes Sweatshirt ueber Bluejeans. Wir fahren Richtung Sueden, nach Be-er Sheva. Die Fahrt dauert doppelt so lange, wie veranschlagt. James telefoniert mit einer Frau von Ta-Ajusch, um zu erfahren, wo genau wir die Gruppe treffen sollen. Es soll weiter nach Sueden gehen, aber da wir um 15 Uhr ein Treffen im Norden haben, ist die Zeit zu kurz und wir kehren um. Wir bitten Delano uns mit seinem weissen Leihwagen in die Westbank zu fahren. Von Sueden her geht es Richtung Hebron, einer der groessten Staedte in der Westbank. Eine Grenze im ueblichen Sinne gibt es nicht. Auffallend ist, dass die Landschaft schlagartig kahl ist, das Gruen ist verschwunden. Nach ein paar Kilometern ist die schmale, gewundene Asphaltstrasse durch einen mannshohen Wall aus roter Erde und grossen Betonwuerfeln versperrt. Wir muessen umkehren und stehen an der ersten Strassenkontrolle der israelischen Armee. Dunkelgruene Stahlhaeuschen mit Schiessscharten, Betonunterstaende mit Sandsaecken auf den Mauern, junge, gepflegte Soldaten mit Sonnenbrillen, die leger kontrollieren, die Zeigefinger gestreckt am Abzug der Automatikgewehre. Delano zeigt seinen Presseausweis, unsere Paesse interessieren niemanden. Delano beantwortet die Fragen nach dem Woher und Wohin gar nicht ernsthaft. Woher er komme. Aus Hawaii. Wohin er fahre. Ins Territorium. Der Soldat versucht den Grund seiner Fragen zu erklaeren. Normalerweise seien Auslaender zu aengstlich, um ins Palaestinensergebiet zu fahren, sagt er. Als er uns freundlich eine gute Reise wuenscht, ist Delano schon losgefahren. Er gruesst jeden Araber, den er am Strassenrand sieht, streckt seine Hand zum Wagenfenster raus und schuettelt eine Hand mit seiner linken Hand, was mich wundert, da sie ja als unrein unter Moslems gilt. Ein paar Kilometer weiter ueberqueren Araber die Landstrasse, teils bepackt mit Tueten und Saecken, dazwischen ein Pferdefuhrwerk, ein beladener Esel. Die Zugaenge zum Dorf rechts und links der Strassen sind durch Waelle aus lehmiger Erde und Betonkloetzen versperrt. Vor diesen Barrieren stehen Reihen gelber Taxis und weisser Minibusse, um die Leute innerhalb der Siedlungsgebiete weiter zu befoerdern. Wir steigen aus und sprechen mit einem Sheik (Scheich), einem Korangelehrten, der an seinem weissen Kopftuch zu erkennen ist. Sein Sohn traegt ein rot-weisses Schmaach, ein Dritter dolmetscht aufgeregt in Englisch und spricht ueber die Unterdrueckung. Man lebe wie Tiere, unfrei, ohne Arbeit, was sei das fuer ein Leben, nirgends koennten sie hingehen. Wir als Deutsche seien o.k., der Holocaust sei eine Luege, es seien nur 5.ooo, ja nur 2.000 Juden umgekommen. Es sprudelt aus ihm heraus, vor Aufregung gestikuliert er heftig und stoesst dem Sheik die Antenne seines Handys ins Gesicht. Dieser unterbricht den Heisssporn mehrfach, beruhigt ihn. Er bedankt sich freundlich fuer unseren Besuch und unser Interesse und gibt sogar Renata die Hand, waehrend sein Sohn ihre ausgestreckte Hand ignoriert, weil ihm das als verheiratetem Mann nicht gestattet ist. Kurz kommt Aufregung auf, als drei Militaerjeeps heranpreschen, aber sie fahren vorbei. Der Sheik laedt uns in sein Haus ein. Wie gerne waeren wir mitgegangen, um - "Schwai-schwai" - mehr zu erfahren. Aber die Zeit draengt. Mit "Salem aleikum" und "Schukran" (Danke) verabschieden wir uns. Wir passieren mehrere Strassenblockaden, die Strasse ist leer, bis auf ein paar Ziegenhirten mit wenigen Tieren. Ein weisser Wagen stoppt. Ein schwedischer Journalist sucht den "Schwedischen Wald" um ihn zu filmen. Viele Staaten haben Geld fuer Aufforstungsprojekte gegeben. Wir passieren Hebron, eine Stadt mit 200.000 Einwohnern. Fast alle Ausfallstrassen sind durch Erdwaelle oder Betonkloetze gesperrt. Neben den Strassen liegen weitere zum Einsatz bereit. Wiederholt passieren wir Checkpoints. Ein Stahlturm und ein Sperrenlabyrinth, Soldaten mit M16-Gewehren in Vorhalte sichern eine Zufahrt zur Stadt. James ist nervoes, weil ihm die Soldaten wohl mehr Angst machen, als die Araber. "Schnell, schnell", sagt er, als ich ein Foto vom Kontrollpunkt mache. Wir passieren Quiriat Arba, wo gestern zwei Palaestinenser ein juedisches Siedlerehepaar erschossen und drei weitere Israelis in einem Feuergefecht verletzt haben, bevor sie selbst, einer von Siedlern, einer von Soldaten, erschossen wurden. Sie waren angeblich mit Sprengstoffguerteln ausgeruestet, um sich in der oertlichen Synagoge in die Luft zu sprengen. Ueberall sehen wir die juedischen "Siedlungen". Das klingt nach Pionierzeit und Provisorium. Aber was wir hier sehen, die Vielzahl und Groesse der Ortschaften, vermittelt einen anderen Eindruck. Die Haeuser sind alle neu, haben rote Ziegeldaecher und sind somit leicht von den arabischen Flachdaechern zu unterscheiden. Die adretten Reihenhaussiedlungen und Einfamilienhaeuser stehen alle auf den Huegelkuppen, sind von Drahtzaeunen umgeben, an den Zufahrten Schlagbaeume und Wachhaeuschen. Die alten arabischen Doerfer stehen meist im Tal, werden von den "Settlements" ueberragt. Wir fahren Richtung Jerusalem und die Anzahl der Settlements verdichtet sich. Reihen von Mehrfamilienhaeusern mit mehr als sechs Stockwerken, Strassen, Spielplaetzen, Schulen und Synagogen sehen wir. "Alles nach den Vereinbarungen in Oslo gebaut" erklaert Delano. In Oslo wurden die palaestinensischen Gebiete festgelegt und ein Stopp des Siedlungsneubaus. Die Intifada hat diesen Prozess unterbrochen. Aber das hier wurde im grossen Stil geplant und angelegt, dass wird nicht mehr verlassen, abgerissen oder an die Araber verschenkt, dass sieht ein Blinder mit Krueckstock. Hier wird das Land billig vom israelischen Staat angeboten, es werden Wasser und Strom geliefert, Buslinien eingerichtet. Das ist kein wilder Siedlungsbau in Eigeninitiative. Diese Settlements liegen oft nur auf der anderen Seite der Strasse gegenueber den arabischen Doerfern. Mit Containern, Baracken faengt es an, dann kommen die Bulldozer und planieren. Wir fahren durch Jerusalem in den Bergen. Die Sonne scheint, es ist ca. 25 Grad warm, die perfekten Strassen gehen steil auf und ab. Wir sind spaet dran und Delano legt einen Zahn zu. Um den Termin in Hariz einhalten zu koennen, treffen wir uns mit David Nir von Ta-Ajusch auf der Autobahn. Er hat seinen 15jaehrigen Sohn mitgebracht, einen zarten, blassen Juengling mit lockigem, langem Haar. James folgt uns. Wir erreichen Hariz, ein palaestinensisches Dorf mit ca. 5.000 Einwohnern, das einzige Minarett wird von einem Wasserspeicherturm ueberragt, den die Japaner gestiftet haben. Wir sind hier mit einem bekannten Palaestinenser namens Abu Rabia verabredet, der hier ein "International Solidarity House" leitet. Das Auto muss vor dem Ort stehen bleiben. Hangaufwaerts fuehrt ein schmaler Fussweg durch einen Olivenhain zu einem einstoeckigen Betonhaus mit Flachdach, ungestrichener, grauer Putz, davor steht ein verbeultes, altes Auto. Geschrieben am 13.3.in Petah Tiqva
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