3/16/2003 Israel / 15 km vor Jerusalem
Indianergeheule in der Nacht
"Auf nach Jerusalem" bekommt eine zweite Bedeutung.
(Harald und Renata) Ich werde durch einen Schuss geweckt, was mich hier nicht sehr verwundert. Weit weg. Der Himmel ist morgens bedeckt, der Wind laesst das Zelt flattern. Ein zweiter Schuss, weit unten. Zum Fruehstueck gibt es ein paar Oliven und Pitta mit Schokoladestuecken. Und niemals haben uns diese spartanischen Mahlzeiten nicht geschmeckt. Wir habens genommen, wie es kam. Wir fahren weiter ueber die Autobahn, machen gegen Mittag sonnige Rast an einer Tankstelle. Auf dem gelb-weiss gebaenderten Bordstein sitzend, vertilgen wir mangels gescheiter Speise, gierig weil hungrig, Plaetzchen, Riegel, Eis und Limonade. Die Kassenbedienung traegt einen Spasshut- irgendein juedisches Fest steht an, bei dem man sich verkleidet. Es geht weiter steil bergauf. Neben der im Ausbau befindlichen Strasse stehen ganze Scharen von Turmfalken im Wind und schauen nach huschendem, beschwanztem Mittagessen aus. Noch hoeher kreisen Bussarde, staendig gestoert durch respektlose Kraehen, die Angriffe gegen die Greife fliegen. Und ganz hoch oben ziehen hunderte von Stoerchen gen Norden, kreisen in warmen Aufwinden, um Hoehe zu gewinnen, gleiten dann fluegelschlaglos hinter Ihresgleichen her. An den steinigen Huegelhaengen sehen wir viele abgestorbene Baeume und bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass auch viele, noch gruene, Kiefern und Tannen bereits krank sind und in wenigen Jahren ebenfalls ein grau-kahles Ende finden werden. Baumsterben gibt es auch hier. An den Strassenraendern stehen zwischen den Baeumen Gedenksteine, die an Opfer der Shoa und der Kriege erinnern. Die gewaltreiche Vergangenheit wird hier lebendig erhalten, Vergessen verhindert. Wir muehen uns redlich ab, druecken die schweren, zu schweren Raeder bergauf. Noch 30 Kilometer bis Jerusalem auf dem Berg! Mein Ruecken schmerzt bald, bedingt durch die staendig vorgebeugte Haltung, im Lendenbereich. Die hinteren Muskeln der Oberschenkel zittern, Renata hat Probleme mit den Knien. Fuer Kari ists gemuetlich langsam. Sie ist erstmals laeufig und trotzdem lauffaul. Es wird Zeit einen Zeltplatz zu finden. In einem Tal in den Bergen sehen wir einen landwirtschaftlichen Kibbuz auf einem Hang und neben der Strasse einen Rastplatz. Ebenfalls und gleichzeitig ein Gedenkplatz fuer Shoaopfer. Wir klauben Tannenzapfen und Steine aus dem festgetretenen Waldboden, bauen das Zelt auf, fuettern Kari mit einer der Buechsen Hundefutter. Alle Windleinen werden festgezurrt, soll es doch eine Schlechtwetterfront geben. Ich ziehe mit der Stirnlampe los und suche Brennholz. So ein Lagerfeuer waermt nicht nur, sondern tut Augen und Seele gut und verscheucht auch die ersten Muecken, die jetzt schon unterwegs sind. Waehrend wir fachsimplen, wie man am besten ein Feuer entzuendet und unterhaelt, ertoent ein spitzer Schrei in der Nacht. Dann folgt ein zweites, langgezogenes Heulen, wie ein Kriegsruf der Apachen. Und miteins stimmen dutzende, dann sicher ueber hundert Stimmen ein. Kari knurrt und bellt und das Heulen, kilometerweit entfernt und auch direkt unter uns, verstummt schlagartig. Dafuer bellen die Hunde des Kibbuz gegenueber. In unregelmaessigen Abstaenden ertoenen Schuesse von dort, wahrscheinlich um die hungrigen Fuchsaehnlichen von den Huehnerscharen fernzuhalten, die wir da gackern hoeren. Und spaeter geht es noch einmal los, ein Konzert aus allen Taelern, ein Sichverstaendigen, Rufen, Locken und Abgrenzen, oder ein Rudelruf, der dem Zusammengehoerigkeitsgefuehl dient? Geronimo (Apachenhaeuptling) haette seine Freude gehabt. Nach Vertilgen von ein paar Rosinen und sieben Oliven gehen wir ungesaettigt Schlafen. In der Nacht muss ich Kari staendig beruhigen, weil die schleichenden, grasraschelnden Schakale deutlich hoerbar den Rastplatz nach Nahrung absuchen. Geschrieben am 20.3. in Jerusalem
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