3/19/2003 Ost-Jerusalem
Am Vorabend eines Krieges?
Wir besuchen den Suk (sprich: "Szuck") / etwas Politik
(Harald und Renata) Wir fruehstuecken im beruhigenden Ambiente des Speisesaals, der an alte Jugendherbergszeiten erinnert, mit Steinfliesenboden, weissen, hohen Waenden, zierlichen Holzstuehlen und gelben Tischdecken. Heute sind wir die einzigen Gaeste. Alles ist gefluechtet und als wir spaeter in die Altstadt gehen, sehen wir nicht einen Touristen. Es regnet in Stroemen und der Ausflug ist nur ertraeglich, weil so viele Ueberdachungen existieren. Wir suchen ein Internetcafe, sind aber zu frueh. In einem der Nischenlaedchen im christlichen Teil der Altstadt kaufe ich ein schwarz-weisses Schmaach - gegen die Sonne, den Staub und als Anerkenntnis an die vor uns liegenden Kleidungsgewohnheiten. Die Altstadt ist in vier Viertel unterteilt: einen moslemischen, einen christlichen, einen juedischen und einen armenischen Teil. Nur die Grenze zum moslemischen Viertel ist anhand schwerer, neuer Eisengittertore erkennbar. Der Zugang zu den Stadttoren ist heute schwer bewacht, fuenf blaugekleidete Polizisten mit Schlagstoecken, schusssicheren Westen, Kampfanzug und Pistolen in Halftern vor dem Bauch und Maschinenpistolen ueber der Schulter, durchsuchen sogar Rucksaecke. Spaeter sind sie inkonsequenterweise aber wieder abgezogen. Wie werden die Palaestinenser hier in ihrem Teil Jerusalems reagieren, wenn der Krieg losbricht? Heute ist das Kostuemfest der Juden, deren Laeden sind als einzige geschlossen, und wir sehen manche bunte Verkleidung und einige Knaeblein, die sich als Soldaten verkleidet haben, mit, den Eltern sei da herzlich gedankt, Plastikmaschinenpistolen, wie wir das in Jordanien so massenhaft gesehen haben. Damit auch die Kleinen den Sinn des Lebens gleich erlernen und nicht aus den Augen verlieren. Und wir erinnern uns an den lachenden Soldaten in Syrien, der- was fuer ein herrlicher Spass!- im Vorbeifahren auf der Autobahn, oben auf der Ladeflaeche, sein Gewehr auf uns richtete und hoerbar durchlud. Und wir denken an die Millionen von Knaben auf der Welt, die hier im Internetcafe die gleichen Killerspiele perfekt beherrschen, wie ueberall. Die gleichen, blutspritzenden Games, die, nur abgewandelt, auch amerikanischen GIs im Training die Toetungshemmung austreibt. Wir sitzen ein paar Stunden im Netcafe und lesen auch in unseren Mails schlechte Nachrichten. Wir sind tatsaechlich am Vorabend des Krieges! Hier in Jerusalem sind wir sicher, denn die Altstadt und der Felsendom (die goldene Moschee) wird nicht beschossen werden. Und Saddam hat, anders als 1991, Israel nicht gedroht. Und er hat kaum noch Scuds, die bis hierher reichen. Und er weiss: Diesmal wuerden die Israelis zurueckschlagen. Griffe er mit Gas oder biologischen Waffen an, verloere er die moralische Unterstuetzung der kriegablehnenden Laender und riskierte sogar einen Atomschlag. Denn, obwohl nie bestaetigt, weiss doch jeder, dass Israel diese Waffen besitzt. Uebrigens auch chemische und biologische Waffen, genauso wie Amerika und Grossbritanien, Russland. Wir beschliessen, jetzt erstmal alles zu erledigen und die Stadt anzuschauen, uns ggf. einen Job zu suchen, um abzuwarten und in Ruhe zu entscheiden, ob und wann und wie wir weiterreisen. Geschrieben am 20.3. in Jerusalem
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