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Reisetagebuch

3/20/2003   Ost-Jerusalem

Am ersten Kriegstag in Jerusalem

Wir suchen eine neue Unterkunft / Renata geht um die Altstadt, waehrend ich Interviews mache

(Harald und Renata) Wir kruemeln gerade die Fruehstuecksteller im Speisesaal voll, als Oda, eine ganz in Schwarz gekleidete, aeltere Nonne aus Palaestina, an unseren Tisch tritt und fragt:" You heard, they started the war this morning?" Unsere Unterhaltung verstummt je, die gute Laune ist dahin: "Was? So schnell?"

Ja, nun ist es traurige Wirklichkeit und das Rad der Geschichte dreht sich wieder schwungvoll, mit viel Tamtam, grossen Worten, vielen Versprechungen, im Takt der falschen Dirigenten. Ist wirklich alles versucht worden? Ist es tatsaechlich unumgaenglich? Wir glauben nicht. Wir denken, dass selbst mit einem militaerischen Sieg der USA und ihrer Unterstuetzer die Rechnung nicht aufgeht. Das der Zorn der Araber in der ganzen Welt noch groesser wird, dass der Spalt immer weiter aufgeht zwischen Ost und West. Wie viele Menschenleben werden jetzt "praeventiv" geopfert, um wie viele theoretisch zu retten? Wie viele neue, islamistische Gewalttaeter werden jetzt neu erschaffen? Die Araber lieben Hussein nicht, aber sie bewundern ihn vielerorts, weil er sich dem aufdringlichen Amerika und dem Lebensstil entgegenstellt, den sie einerseits als Faszinosum, aber viel staerker als Bedrohung ihrer Kultur betrachten.

Die Diskussionen an den Tischen drehen sich nur noch um das Thema Krieg. Und wir eilen zum Fernseher, um die ersten Bilder zu sehen. Die beige-gekleideten "Good Guys" sieht man in den Euronews, die "Bad Boys" in Al Jazeera, dem meist gesehenen, arabischen Fernsehsender aus Katar. Oder im irakischen Fernsehen, dass Bilder des Staates zeigt, schoene Gebaeude, Parks, Naturlandschaften, vor allem die Hauptstadt, die Industrie, arbeitende Menschen, untermalt von Geigenmusik. Und Mr. Hussein, der freundlich laechelt. Wenn man an die unvorstellbaren Grausamkeiten im Irak denkt, die die UNO-Menschenrechtskommission seit Jahren auflistet und die dieser Mann zu verantworten hat, kann einem die Galle hoch kommen. (Einen Ausschnitt werden wir spaeter vorstellen).

Renata geht mit Kari um die Altstadt herum, es nieselt und ist kuehl. Sie trifft im christlichen Viertel einen palaestinensischen Ladeninhaber, der sich mit ihr lange unterhaelt. Khaled erklaert, dass keine Touristen mehr kommen und die wirtschaftliche Lage desolat ist, alle haben Angst vor den Anschlaegen und dem Krieg. Er schenkt ihr zum Abschied Ohrringe.

Ich mache erste Interviews. Mit unserem neuen Stativ baue ich mich vor Oda auf und bitte auch Schwester Ruth, die Leiterin des Konvents, vor die Kamera: "Was fuehlen Sie heute, angesichts der Nachrichten? Was denken Sie ueber diesen Krieg? Was hoffen Sie fuer die Zukunft?"

Wir wollen uns um eine preiswertere Unterkunft bemuehen, auch wenn man uns hier schon entgegengekommen ist. Im oesterreichischen Hospiz in der Altstadt soll es Volontaerstellen geben, d.h. Unterkunft und Verpflegung frei, meist noch ein kleines Taschengeld dazu. Wir wissen ja nicht, wie lange wir noch in Israel bleiben (muessen).

Aber an der Tuer haengt ein nett-unfreundliches Schild: No cats, no birds etc. Von Hunden ist zwar nicht die Rede, wahrscheinlich, weil man davon ausgeht, dass ja wohl niemand ernsthaft einen Hund ins Hospiz mitbringen will. Das wars dann wohl, wir drehen auf dem Absatz herum und schauen unseren Hund vorwurfsvoll an.

Telefonisch haben wir uns schon gestern um eine solche Stelle bemueht, aber es gab keinen Internetanschluss und keine freie Verpflegung und kein Taschengeld, dafuer jede Menge Klos zu putzen.

Wir stehen zum ersten Mal auch an der Klagemauer. Besser gesagt, wir koennen sie von weitem sehen, weil wir keinen Zutritt mit Hund haben (vorwurfsvoller Seitenblick nach unten rechts). Dahinter die goldene Kuppel des Felsendoms und rechts davon die graue der Al-Aksa-Moschee. Von hier ist dem Koran nach Mohammed auf seinem Pferd in den Himmel geritten. Es ist die heiligste Staette der Moslems in Palaestina.

Auf dem Rueckweg durch das arabische Viertel werden wir Lieblingsfeinde einer Gruppe arabischer Jungs, die die Verschmutzung ihres Viertels durch die Anwesenheit unseres Hundes verhindern wollen und folglich fliegt bald der erste Stein. Auf einem oeffentlichen WC stelle ich den vermeintlichen Werfer, aber er wars nicht (sagt er) und so ziehen wir uns taktisch zurueck, ich rueckwaerts gehend, um evtl. anfliegende Geschosse rechtzeitig zu sehen (vorwurfsvoller Blick nach unten links).

Wir essen eine Pitta in einem Imbiss im Suk. Am Nebentisch unterhaelt sich der Besitzer mit zwei Englaendern ueber den Krieg. Ich bitte die Drei zum Interview und dann kehren wir ins Paulus-Haus und an den Fernseher zurueck.

Was der Krieg uns noch bescheren wird, steht in den Sternen.

Geschrieben am 26.3. in Ost-Jerusalem


 


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