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Reisetagebuch

3/24/2003   Ost-Jerusalem

Das moderne Jerusalem

Wir erhalten eine wichtige Nachricht / die "Neustadt", der Garten Gethsemane und der Oelberg.

(Harald und Renata) Waehrend des Fruehstuecks tauschen wir uns mit den wenigen anderen Gaesten ueber den Kriegsverlauf aus. Der Vormarsch der Amerikaner geht nicht so reibungslos voran, wie von diesen erhofft. Der Irak kaempft erbittert gegen die Ueberlegenheit der Alliierten. Die Schiiten im Sueden ergeben sich nicht, die Kurden im Norden wollen (noch) nicht kaempfen, die Tuerken marschieren an der Grenze auf, um die Kurden zu bekaempfen, Bagdad wird weiter bombardiert und weltweit gibt es Demonstrationen gegen den Krieg, gegen die USA und England.

Ein Anruf aus der Heimat ernuechtert uns endgueltig: Die aegyptische Regierung erlaubt das Fahren mit Raedern nur im Sinai, nicht aber nach Kairo und entlang des Nil! Und wir brauchen wohl doch ein Visum der Botschaft in Tel Aviv. So ein Kaese- es gibt keine Alternativroute durch die Sahara gen Sueden.

Wir kegeln alles hin und her: Laenger hier bleiben und arbeiten gehen, nach Zypern uebersetzen und dort radeln, bis die Lage uebersichtlich ist, doch nach Jordanien fahren usw.

Die Lage in Aegypten ist angespannt, weil dort, wie auch in Jordanien, die Menschen mit den Entscheidungen ihrer Regierungen nicht einverstanden sind. Hunderttausende gehen auf die Strassen, verbrennen Puppen und Flaggen, nur starke Polizeiaufgebote verhindern Schlimmeres. Ob solche Bevoelkerungen noch zwischen z.B. britischen und deutschen Radlern unterscheiden, darf bezweifelt werden.

Wir muessen noch einige Dinge erledigen und viel haben wir auch noch nicht gesehen. Also schieben wir die Entscheidung ueber die Weiterreise noch auf.

Heute gehen wir in die "Neustadt" Jerusalems. Unsere Raeder brauchen neue Ketten, Renatas Lichtanlage ist nutzlos und soll durch eine zweite Stirnlampe ersetzt werden, wir wollen ein Blitzlicht fuer die Digitalkamera kaufen, CDs mit Fotos brennen, dieselben per Mail versenden (das alte Problem) und Stangen organisieren, die unsere Deutschlandfahne und eine jeweilige Landesflagge tragen koennen, um zu verdeutlichen, dass wir Deutsche und somit Gegner dieses Krieges sind.

Die Sonne scheint zoegerlich, aber wenn sie auf die hellen Steine der Haeuser trifft, leuchten diese und mit dem weiss-blauen Himmel und den dunkelgruenen Zypressen und Kiefern zusammen, ergibt sich eine wunderschoene Komposition.

Ueberall um die Altstadt gibt es Parkanlagen und Wiesen, Baenke laden zum Verweilen ein, hunderte von Gedenksteinen erklaeren, welche Privatpersonen durch Stiftung den Bau der jeweiligen Anlage ermoeglicht haben. Vor allem amerikanische und kanadische Juden sind es, die Gelder gegeben haben, um Jerusalem schoener zu machen. Und das ist gelungen, ohne Zweifel. Es ist die schoenste Stadt, die ich je gesehen habe. Ueberall wird gebaut, wie auch in Tel Aviv und Haifa gesehen. Wie sonst auch haette in nur ca. 50 Jahren und trotz all der Kriege ein solcher Staat mit diesen Staedten, dieser Landwirtschaft und dem erstaunlichen Strassenbau entstehen koennen? In den Parkanlagen liegen braune Plastikrohre, durch die im Sommer die Bewaesserung erfolgt, dort wachsen Kakteen, Agaven, zwitschern unbekannte Vogelarten, stehen Kunstwerke aus Bronze und Stein.

Man kann diese Leistung nur bewundern, den Sinn fuer das Schoene, die gute Integration des Neuen in das Alte. Die hebraeische Sprache (die Bibelsprache), vor 1948 nur noch von wenigen verwendet, wurde erst bei Staatsgruendung wiederbelebt und heute sprechen selbst die Juden im Ausland Hebraeisch.

Die Musik ist eigen, aber es gibt einen zunehmenden Trend zu arabischen Klaengen und Einfluessen. Vielleicht ist das eine zaghafte Blume und ein Fingerzeig, der eine moegliche Zukunft der Kulturen aufzeigt.

Wir kaufen in einer winzigen Seitengasse einer Fussgaengerzone in einem Outdoor-Laden eine weitere Stirnlampe. Sie soll 150 Stunden Brenndauer haben und das glauben wir auch (unsere Cat-Eye-Fahrradlampe brennt immer noch- seit Deutschland ohne Batteriewechsel- ein Wunderwerk der Technik).

Das Blitzlicht muss bestellt werden.

In den Geschaeften gibt es zu kaufen, was das Herz begehrt. Hier sehen wir viele orthodoxe Juden, die Frauen bedecken ihre Haare komplett mit gewickelten Kopftuechern. Ihre Kleidung besteht aus hochgeschlossenen, langen und weiten Kleidern, die die Koerperkonturen verwischen, in gedeckten Farben, um nicht auffaellig zu sein. Dazu werden oft auch Huete getragen, meist im Stil der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts- gross, pottfoermig, vornehmlich schwarz, dazu flache Schuhe.

Die Maenner tragen schwarze Anzuege, Huete und Schuhe, dazu weisse Hemden. Die Gesichter sind meist bleich und viele Maenner tragen lange Baerte.

Jerusalem ist nicht wie Israel. Landesweit ueberwiegt westliche Kleidung, wie wir sie in Deutschland kennen. Lediglich die oft getragenen Kippas (kleine, runde Kaeppchen) der Maenner und Knaben fallen auf.

Erstaunlich ist die Vielfalt der Gesichter: Wir erkennen am leichtesten die schlanken, dunklen, huebschen Gesichter der Aethiopier, aber auch die kantigeren, arabischen Zuege der Iraker und Yemeniten, leicht zu identifizieren sind auch die Russen, mit oft blonden (oder blondierten) Haaren, heller Haut und slawischen Wangen. Es zeigt die Toleranzfaehigkeit dieser Gesellschaft und das Hauptkriterium des Zusammenhaltes, das Judentum, auch wenn wir Eingebuergerte getroffen haben, die als Juden einwanderten, aber Christen oder Agnostiker, oder zumindest nicht praktizierende Juden sind. Nirgendwo haben wir so viele Sprachen gehoert. Zuhause spricht man die eigene Herkunftssprache weiter, dazu Hebraeisch, Englisch, oft etwas Arabisch. Durch die Praesenz der Kirchen aus aller Welt wird hier in Jerusalem u.a. auch Armenisch und Griechisch lebendig erhalten. Die Araber sprechen notwendigerweise Hebraeisch, erstaunlich oft auch Englisch. Jedenfalls haben wir nirgends Sprachprobleme.

Nach einem Fussmarsch entlang der Jaffastrasse, die am gleichnamigen Tor zur Altstadt beginnt, finden wir einen Fahrradladen, dessen Personal selbst Radsport betreibt und somit auch reparaturerfahren ist. Morgen frueh koennen wir die Raeder abgeben und uebermorgen soll alles fertig sein. Und zwei Fiberglasstangen fuer unsere Fahnen gibt es auch. Renata ersteht einen neuen Tachometer, da der alte bei einem Sturz beschaedigt wurde. Unser Weg fuehrt uns an der Cinemathek vorbei durch das Wadi unter dem Jaffator. Hier liegt auch ein Freilichttheater- wie schoen muss es hier im Sommer sein, abends ein Konzert unter freiem Himmel, auf den uralten Steinen zu sitzen und diese Kulisse ringsum.

Renata geht ins Paulus-Haus zurueck und ich gehe im mittlerweile aufgekommenen Regen entlang der Altstadtmauer zum juedischen Friedhof, der im Wadi am Fusse des Tempelberges beginnt und sich bis zum Oelberg hinauf zieht. Im Wadi stehen mehrere Felsengraeber, die aus dem Berg herausgeschlagen wurden. Auch im Friedhofsgelaende gibt es zahlreiche Grabhoehlen, einige sind in juengster Zeit eingestuerzt. Auch eine Grabanlage, die den lykischen Graebern in der Tuerkei aehnelt, faellt auf. Jeder fromme Jude wuenscht sich, hier am Oelberg begraben zu sein.

Enge Gassen fuehren bergauf durch den Garten Gethsemane, an der bunt bemalten "Kirche der Nationen" vorbei, die von 12 Laendern in Auftrag gegeben wurde. Darueber steht die russisch-orthodoxe Maria-Magdalene-Kirche mit goldenen Zwiebeltuermen- leider beide geschlossen, trotzdem ich waehrend der Oeffnungszeiten da bin.

Oben auf dem Oelberg ist es menschenleer. Ein paar uralte, zerfledderte Oelbaeume erinnern daran, woher dieser Huegel seien Namen bekam.

Um 18.30 muss ich zum Abendessen zurueck sein und spute mich entsprechend.

Abends sehen wir im Fernsehen die neuesten Nachrichten. Proteste in Deutschland, Frankreich, Spanien, England, auch in den USA ein paar tausend. Und die ersten Bilder toter Soldaten, abgeschossene Hubschrauber. Erste Gefangene der Iraker, die unter Schock stehen. Der Vormarsch stockt im Sueden, in den Staedten hat sich der nicht uniformierte Gegner unter die Zivilbevoelkerung gemischt- Guerillakampf. Das kann dauern und uns die Reise unmoeglich machen.

Geschrieben am 29.3. in Jerusalem


 

 

 


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