4/5/2003 Israel / Dead-Sea-Works
Im Sandsturm
Ein heisser Sturm und Wassermangel zwingen uns zur Umkehr und wir werden in einer Sience-Fiction-Fabrik gerettet
(Harald und Renata) Wir stehen frueh auf, um vor der Mittagshitze voranzukommen. Hinter En Boqeq wird die Bergkette flacher, schliesslich verschwindet sie ganz. Jetzt sieht die Wueste aus, wie wir uns eine vorstellen: flach, steinig-sandig, fast kahl. An einer Tank-Raststaette gibt es erstmal ein Fruehstueck mit Kaffee und Pittabrot und Auberginenpaste mit Knoblauch. Der Mann hinter der Theke spricht Russisch, kommt aus Rumaenien und schenkt uns am Ende das Fruehstueck. Bei "Lots Wife", einer Felsnadel in der Naehe des antiken Sodom, betreten wir eine Hoehle. Wegen Einsturzgefahr ist sie eigentlich gesperrt- Husten ist also nicht erlaubt. Drinnen ist es herrlich kuehl. Unsere Stirnlampen reichen nicht aus, um weit in die Hoehle vorzudringen. Am Eingang ist alles voller Leopardenspuren. Ob die Katze in der Tiefe der Hoehle schlaeft, ist nicht festzustellen, aber ihre Tatzenabdruecke sind ueberall. In der Negev leben, neben der im Aussterben begriffenen Grosskatze, auch die kleinste Wolfsrasse der Welt, sowie Streifenhyaenen und Fuechse, Steinadler, Geier, Wildesel, Gazellen und Wuestensteinboecke. Wir sind nicht die einzigen Hoehlenforscher - staendig halten Autos, betreten Touristen die Hoehle. So auch ein deutsches Ehepaar, unüberhörbar aus dem Schwabenland. Auf der Strasse finden wir mal einen ueberfahrenen Gecko, mal eine sandfarbene Eidechse, dann Hornissen, Schmetterlinge und als Kroenung einen grossen, farbenpraechtig-tuerkisschillernden Scarabaeus-Kaefer. Kari sitzt so oft es eben geht im Haenger. Die Temperatur steigt stetig, obwohl der vermeintliche Dunst sich als pulvrig-feiner Sand erwiesen hat und die Sonne verdeckt. Uns blaest ein anschwellender, heisser Wind entgegen. Wir passieren eine riesige Fabrikanlage, in der offensichtlich Salze gewonnen werden. Das Gelaende der Anlage sieht im Staub wie eine unwirkliche Szene eines Science-Fiction-Films aus. Ich trage laengst eine lange Hose, Struempfe, Wollhandschuhe, die lichtdichte Windjacke und das Schmaach als Turban, um keinen Sonnenbrand zu bekommen. Renata hat einen anderen Hauttyp und ist unempfindlicher. Die Hitze brennt unerbittlich, uns quaelen Kopfschmerzen. Schliesslich geht es nicht mehr weiter. Der naechste Halt liegt 26 km vor uns. Unter den jetzigen Umstaenden sind das 3-4 Stunden Weg. Wir lassen die Raeder auf der Strasse stehen und gehen unter einer Akazie in Sonnendeckung. Kari ist jetzt fast panisch, gehorcht keinem Kommando mehr, kriecht unter den Boden des aufgebauten Innenzeltes im Kernschatten des Baumes. Sie hechelt selbst nach einer Stunde Ruhe im Schatten noch so schnell sie vermag. Um 15 Uhr dreht der Sandsturm auf Nord. Wir packen hastig zusammen, wobei wir unter einem der Beschwerungssteine fuer das Zelt einen schwarzen, fingernagelgrossen Skorpion entdecken und steigen auf die Raeder, aber jetzt wird es windstill. Nach 5oo Metern kommt der Wind aus Sueden- glutheiss, unertraeglich. Vor dem weissen Sandmehlwind suchen wir Schutz in einer Bushaltestelle, deren Metallstaebebank trotz Schatten so heiss ist, dass wir sie nicht anfassen koennen. Unsere Wasservorraete reichen fuer einen stundenlangen Kampf gegen diese Wetterverhaeltnisse nicht mehr aus, letztlich wuerden wir wahrscheinlich ein Auto anhalten muessen. Ich spreche aus, was nicht mehr zu vermeiden ist: Wir muessen zur Fabrik zurueckfahren, um Wasser aufzunehmen und den kuehleren Abend abzuwarten. Das ist uns in acht Monaten noch nicht passiert. Der Sturm treibt uns vor sich her, nach 6 km erreichen wir den Eingangsbereich der Fabrik “Dead Sea Works”. Im hochmodernen Wachhaus sprudle ich eine Erklaerung hervor, die einer der drei jungen "Maenner in Grau" freundlich unterbricht: ”Welcome! Ruhen sie sich aus, setzen sie sich. Was wollen sie trinken, etwas zu essen, Huehnchen vielleicht etc.?" Wir sind in einem klimatisierten Paradies angekommen. Kari darf mit ins Kuehle. Wir trinken Cola und Wasser, ich schuette binnen Minuten etwa zwei Liter Wasser in mich hinein. Und Meil faehrt uns zu einer Unterkunftsbaracke des Wachpersonals, damit wir dort Duschen koennen. Danach stehen die Haare zu Berge, weil das Wasser so salzig ist. Aber das kuehle Wasser ist ein Segen. Der Wachhabende heisst Schmuki, sein Freund und Kollege Meil. Sie verwoehnen uns nach Strich und Faden. Unmengen an gebratenen Huehnchen, Reis, Backkartoffeln, Hammelfleisch, Gemuese, Salaten werden aufgefahren. Dann folgen Milchkaffee, Kuchen, Plaetzchen. Den Grabstein auf unseren Hunger setzt Pfefferminztee, mit frischen Blaettern. Ein Fernseher zeigt Live-Bilder aus Bagdad eines amerikanischen Nachrichtensenders. Im Studio in Amerika haben derweil zwei Kommentatoren und eine miniberockte Kollegin offensichtlich viel Spass. Locker, laessig, Scherze machend, befragen sie die Vor-Ort-Reporter im Irak aus, die in kugelsicheren Westen in den Ruinen von Bagdad stehen, im Hintergrund fahren Panzer. Blendet man den Ton aus, koennte man glauben, es ginge im Studio um die neuesten, lustigen Klatschmeldungen aus der High Society. Makaber. So wird aus Info-tainment War-tainment. Die Alliierten haben den Flughafen eingenommen und dringen aus drei Richtungen in die Stadt aus 1001er-Nacht ein. Das haette sich Scheherazade nicht traeumen lassen. Der irakische Informationsminister, ein salbadernder Kasper, der offensichtlich luegt, dass sich die Balken biegen, hat grosse Auftritte und ebensolche Sprueche. Wo aber ist Saddam Hussein? So langsam glaube ich tatsaechlich, er ist tot. Oder es ist eine Finte, um unterzutauchen wie Bin Laden. Der Sandsturm haelt an, draussen sind es 35 Grad (spaeter sagt man uns, im Wind seien es 42 Grad im Schatten gewesen). Schmucki wird bald heiraten und wohnt in Demona, einer Kleinstadt inmitten der Negev-Wueste. Er und Meil waren bis vor ein paar Monaten noch Soldaten. Das Militaer ist in Israel der Anfang so mancher Karriereleiter. Die Beiden glauben, dass es in Palaestina Frieden nur nach Krieg gibt, dass habe die Vergangenheit erwiesen. Die “Araber” akzeptierten nur Staerke und Macht. Und dass Scharon die radikale Schass-Partei nicht mehr ins Kabinett gelassen hat, macht sie optimistisch darüber, dass es Frieden geben werde. “Dead-Sea-Works” gewinnt hier ueber ein aufwaendiges Elektrolyseverfahren Salpeter und gehoert zu 40 % dem deutschen Volkswagenkonzern. Wir sollen in Sichtweite vom Wachhaus auf einem kleinen Wiesenstueck zelten. Aber dort stehen Reihen LKWs, deren Motoren die ganze Nacht laufen werden, um die Klimaanlagen zu betreiben. Also ziehen wir ein paar Meter weiter und bauen das Zelt hinter einem Erdwall auf. Die Nacht ist trotz Verkehrslaerms ruhig. Geschrieben am 9.4. in Tamra/Ir Ovot
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